Herkunftstäuschung im Wettbewerbsrecht – Praxisleitfaden
Herkunftstäuschung begegnet Unternehmen an vielen Stellen des Marktes – im Regal, im Online-Shop, auf Social Media und in Werbekampagnen. Schon kleine Gestaltungsentscheidungen können beim Publikum den Eindruck wecken, ein Produkt stamme von einem bestimmten Hersteller oder aus einer bestimmten Region. Das birgt handfeste Risiken: Abmahnungen, einstweiliger Rechtsschutz, kostspielige Verpackungswechsel und Marketingstopps oder gar die Einstellung von Produktion und Auslieferung sind mögliche Folgen. Gleichzeitig schützt eine klare Herkunftskommunikation die eigene Marke, reduziert Reklamationen und stärkt das Vertrauen Ihrer Kunden.
Im Kern geht es um zwei Blickrichtungen, die häufig ineinandergreifen. Die betriebliche Herkunft betrifft die Frage, welchem Unternehmen ein Produkt zugeordnet wird. Entscheidend ist der Gesamteindruck: Farbe, Form, Anordnung von Gestaltungselementen, Markenhinweise, Preisumfeld und Vertriebsort prägen die Verkehrsauffassung. Die geografische Herkunft knüpft an Ort, Region oder Land an. Begriffe wie „aus Bayern“, Siegel, Flaggen, Landkarten oder Formulierungen à la „Made in …“ können Erwartungen an Qualität, Verarbeitung oder Wertschöpfungstiefe wecken. Missverständnisse entstehen nicht erst bei falschen Aussagen, sondern auch dort, wo mehrdeutige Signale ungeprüft übernommen werden.
Warum ist das für Ihr Unternehmen relevant? Weil Herkunftssignale Kaufentscheidungen merklich beeinflussen. Look-alike-Verpackungen, Private-Label-Strategien, aber auch Produktseiten, App-Icons und Shop-Layouts können Nähe zu einem Marktführer suggerieren – teils unbeabsichtigt. Ebenso sensibel sind Regionsangaben bei Mischfertigungen oder globalen Lieferketten. Wer hier frühzeitig prüft und sauber kommuniziert, vermeidet Konflikte und erhält Handlungsspielräume für Design und Marketing.
Ziel dieses Beitrags ist es, Ihnen Orientierung zu geben, typische Risikofelder zu erkennen und rechtssicher zu agieren. Sie erfahren, welche rechtlichen Maßstäbe im Wettbewerbsrecht eine Rolle spielen, wie die Gerichte den Gesamteindruck bewerten, welche Abstands- und Kennzeichnungsmaßnahmen praktikabel sind und wie Sie „Made in …“-Angaben transparent gestalten. Zudem erhalten Sie Hinweise zur Durchsetzung eigener Positionen und zur Abwehr fremder Ansprüche – mit praxistauglichen Checklisten für Ihren Pre-Launch-Prozess.
Was bedeutet „Herkunftstäuschung“?
Rechtlicher Rahmen
Herkunftstäuschung durch Produkt- und Verpackungsnachahmung
Geografische Herkunftstäuschung („Made in …“ & Co.)
Typische Fallkonstellationen aus der Praxis
Beweisfragen und Risikofaktoren
Ansprüche und Folgen
Durchsetzung und Abwehr in der Praxis
Checkliste zum Mitnehmen
Fazit
Was bedeutet „Herkunftstäuschung“?
Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die Aufmachung eines Produkts, einer Verpackung oder eines Online-Auftritts beim Publikum den Eindruck erweckt, das Angebot stamme von einem bestimmten Unternehmen oder sei wirtschaftlich verbunden mit diesem – obwohl das nicht zutrifft. Gemeint ist die betriebliche Herkunft, also die Zuordnung eines Produkts zu einem bestimmten Hersteller oder Anbieter. Diese Zuordnung dient im Markt als Orientierungssignal: Sie steht für Verantwortlichkeit, gleichbleibende Qualität und Wiedererkennbarkeit. Wird dieses Signal verzerrt, kann der Wettbewerb spürbar beeinträchtigt werden.
Wichtig: Maßstab ist der Gesamteindruck aus Sicht des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers. Es geht nicht um einzelne Details, sondern um das Zusammenspiel von Form, Farbe, Layout, Produktname, Markenhinweisen, Preisumfeld, Vertriebskanal und Präsentation.
Abgrenzung zur Verwechslungsgefahr im Markenrecht und zum Designrecht
- Markenrecht: Das Markenrecht schützt Kennzeichen wie Wort-, Bild- und Wort/Bildmarken. Kennzeichen sind einerseits die eingetragenen Registermarken. Aber auch geschäftliche Bezeichnungen (Unternehmenskennzeichen und Werktitel) genießen Schutz nach den Bestimmungen des Markenrechts. Eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr setzt voraus, dass ein geschütztes Zeichen (oder ein ähnliches) verwendet wird, sodass das Publikum eine gedankliche Verbindung zur Marke herstellt. Herkunftstäuschung im Wettbewerbsrecht erfasst auch Fälle ohne Markenbenutzung, etwa wenn die Ausstattung (Trade Dress) eines marktprägenden Produkts nachgeahmt wird. Umgekehrt kann eine prägnante Eigenmarke des Nachahmers eine Verwechslungsgefahr mindern, wenn sie den Gesamteindruck deutlich prägt.
- Designrecht: Das Designrecht schützt die Erscheinungsform eines Erzeugnisses (Linien, Konturen, Farben, Gestalt) – in der Regel nach Eintragung. Wettbewerbsrechtliche Herkunftstäuschung knüpft nicht an ein eingetragenes Recht an, sondern an die wettbewerbliche Eigenart eines Erscheinungsbildes und die vermeidbare Nähe des Nachahmers. Designschutz und UWG-Schutz können nebeneinanderstehen; sie verfolgen jedoch unterschiedliche Ansätze.
Praxisgedanke: „Look-alike“ reicht nicht automatisch – entscheidend ist der Gesamteindruck
Nicht jede Ähnlichkeit ist unzulässig. Viele Branchen nutzen ähnliche Grundfarben, typografische Trends oder Funktionsformen. Unlauter wird es erst, wenn
- das Vorbild über wettbewerbliche Eigenart verfügt (es also als Herkunftshinweis taugt),
- die Nachahmung den prägenden Gesamteindruck nahezu übernimmt und
- eine vermeidbare Herkunftstäuschung entsteht, die durch zumutbare Abstandsmaßnahmen hätte verhindert werden können.
Was erzeugt Abstand?
- Prominente, eigenständige Kennzeichnung: Markenname und Logo so platzieren, dass sie den Auftritt sichtbar prägen
- Gestaltungsänderungen am Kernbild: Proportionen, Farbkonzept, Blickfang-Elemente, Anordnung der Produktinformationen spürbar variieren
- Klarer Produktname statt „Me-too-Benennung“: Keine Anlehnung an prägende Wortbestandteile des Marktführers
- Konsequente Distanz im Marketing: Bildsprache, Claims und Präsentation nicht „im Stil von …“ aufziehen
Worauf achten Gerichte besonders?
- Grad der Übernahme (identisch, nachschaffend, nur anlehnend)
- Eigenart und Bekanntheit des Vorbilds
- Kennzeichnung des Nachahmers und deren Sichtbarkeit
- Marktumfeld (Regalplatz, Online-Listing, Preisnähe, Werbeumfeld)
- Verkehrsauffassung im Ergebnis: Wirkt das Angebot wie aus demselben Betrieb oder wie aus verbundenen Unternehmen?
Merke: Ein „Look-alike“ ist nicht per se unzulässig. Entscheidend ist, ob der Gesamteindruck beim Verbraucher eine betriebliche Zuordnung zum Vorbild nahelegt – und ob dieser Effekt durch zumutbare Distanz vermeidbar gewesen wäre.
Rechtlicher Rahmen
Unlauterkeitsmaßstab nach UWG: Irreführung und ergänzender Leistungsschutz
Das UWG schützt die lautere Herkunftskommunikation auf zwei Ebenen. Zum einen verbietet das Irreführungsverbot, dem Publikum falsche oder missverständliche Vorstellungen zu vermitteln – darunter fällt auch die Täuschung über betriebliche oder geografische Herkunft. Maßstab ist, wie der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame Verbraucher die Darstellung versteht. Zum anderen greift der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz, wenn Gestaltungen ohne formale Schutzrechte nachgeahmt werden und dadurch eine vermeidbare Herkunftstäuschung entsteht.
Wichtig: Entscheidend ist stets der Gesamteindruck des Marktauftritts. Einzelne, isolierte Übereinstimmungen genügen regelmäßig nicht; prägend ist das Zusammenspiel von Form, Farbe, Anordnung, Markeneinsatz, Preisumfeld und Präsentation.
Herkunftstäuschung durch Nachahmung: Voraussetzungen des § 4 Nr. 3 UWG
§ 4 Nr. 3 UWG erfasst Nachahmungen von Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers. Drei Bausteine sind zentral:
- Wettbewerbliche Eigenart des Vorbilds
Das Erscheinungsbild des Produkts oder der Verpackung muss geeignet sein, als Herkunftshinweis zu wirken. Eigenart kann sich aus der Kombination von Gestaltungsmerkmalen ergeben und verstärkt sich durch Bekanntheit am Markt. - Nachahmung und Grad der Übernahme
Je näher der Gesamteindruck an das Vorbild heranreicht (identisch, nachschaffend, bloß anlehnend), desto eher entsteht ein Herkunftsrisiko. Branchentypische Grundelemente bleiben frei, prägende Kernmerkmale des Vorbilds nicht. - Unlauterkeitsumstände (lit. a–c)
Unlauter handelt insbesondere, wer
a) eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt (fehlender Gestaltungsabstand, unzureichende Kennzeichnung),
b) die Wertschätzung des Vorbilds unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt (Rufanknüpfung), oder
c) die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt.
Praxismaßstab zur Vermeidbarkeit: Zumutbare Abstandsmaßnahmen sind etwa ein prominenter, eigenständiger Markenauftritt, spürbare Layout-Abwandlungen bei Blickfangelementen, klare Produktbezeichnungen ohne Anlehnung und eine distanzierende Präsentation im Vertriebskontext.
Irreführung über geografische Herkunft: „Made in …“ und Regionsangaben
Aussagen wie „Made in …“, Landesflaggen, Landkarten, Regions-Claims oder regionale Qualitätssiegel wecken regelmäßig Erwartungen an Ort der Wertschöpfung, Qualitätskontrolle und Fertigungstiefe. Irreführend ist eine Darstellung, wenn die beim Publikum naheliegende Vorstellung mit der tatsächlichen Produktions- und Prüfrealität nicht hinreichend übereinstimmt.
- Erwartungshorizont: Häufig wird angenommen, dass prägende Herstellungsschritte und qualitätsbestimmende Prozesse im genannten Land stattfinden. Eine bloße Endmontage oder Verpackung genügt dafür in der Regel nicht.
- Klarstellende Zusätze: Bei Mischfertigung helfen präzise Angaben (z. B. „entwickelt in …, Endmontage in …“) und eine stimmige Gesamtkommunikation im Shop, auf dem Produkt und in der Werbung.
- Siegel und Regionalhinweise: Auch grafische Elemente können Herkunftsvorstellungen prägen. Wer mit Regionen wirbt, sollte Nachweise zur Wertschöpfungskette bereithalten und die Verwendung konsistent gestalten.
Merke: Nicht die juristische Feinabgrenzung des Zollrechts steht im Vordergrund, sondern die Verbrauchererwartung im konkreten Werbe- und Produktkontext.
Zusammenspiel mit Marken-, Design- und Kennzeichnungsrecht
- Markenrecht: Schützt Kennzeichen gegen Verwechslungsgefahr. Selbst wenn keine markenmäßige Benutzung vorliegt, kann das UWG greifen, wenn die Ausstattung eines Produkts als Herkunftsträger nachgeahmt wird. Umgekehrt kann ein prägnanter eigener Markenauftritt das Verwechslungsrisiko mindern, ersetzt aber nicht den erforderlichen Gestaltungsabstand.
- Designrecht: Schützt die Erscheinungsform (eingetragenes Design). Der UWG-Schutz ist rechtsoffen und kann neben Designrechten eingreifen, insbesondere wenn der formale Schutz fehlt oder ausgelaufen ist.
- Spezielle Kennzeichnungsvorschriften: Branchenrecht (z. B. lebensmittelrechtliche Herkunftsangaben, branchenspezifische Qualitäts- oder Regionalsiegel) setzt zusätzliche Leitplanken. Wer hier sauber arbeitet, reduziert zugleich das Risiko wettbewerbsrechtlicher Irreführung.
Für Sie wichtig: Prüfen Sie frühzeitig die wettbewerbliche Eigenart relevanter Marktvorbilder, definieren Sie einen sichtbaren Abstand, gestalten Sie Herkunftsaussagen präzise und halten Sie Dokumentation zu Entwicklungs- und Wertschöpfungsschritten bereit. Das senkt Angriffsflächen – und stärkt die Glaubwürdigkeit Ihres Auftritts.
Herkunftstäuschung durch Produkt- und Verpackungsnachahmung
Wettbewerbliche Eigenart: Wann besitzt ein Produkt Schutzwürdigkeit?
Ein Produkt oder seine Verpackung besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn seine Gestaltung aufgrund prägender Merkmale geeignet ist, als Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu dienen. Maßgeblich ist der Gesamteindruck – also das Zusammenspiel aus Form, Proportionen, Farb- und Typografie-Konzept, Anordnung der Informationen, Blickfangelementen und haptischen Besonderheiten der Verpackung.
Woran orientiert sich die Praxis?
- Kombination prägender Merkmale: Einzelne frei verwendbare Elemente (z. B. Grundfarben, Standardschriften) können in der Summe einen herkunftshinweisenden Auftritt bilden.
- Bekanntheit verstärkt Eigenart: Ein marktpräsentes Vorbild mit konsistentem Auftritt strahlt stärker herkunftshinweisend.
- Technische Notwendigkeit zählt nicht: Merkmale, die ausschließlich technisch bedingt sind, tragen zur Eigenart regelmäßig nicht bei.
- Branchentypische Codes bleiben frei: Was in der Branche üblich ist (z. B. Blau für Wasser, Grün für Bio), begründet für sich genommen selten Eigenart – entscheidend ist die besondere Ausprägung.
Merke: Eigenart ist kein Luxus des Marktführers. Auch jüngere oder Nischenprodukte können eigenartig sein, wenn ihr Auftritt wiederkehrend, prägnant und konsistent ist.
Grad der Übernahme: identisch, nachschaffend, bloß anlehnend
Je näher der Nachahmer an den prägenden Gesamteindruck heranrückt, desto eher entsteht ein Herkunftsrisiko.
- Identische Übernahme: Die Kerngestaltung wird nahezu vollständig übernommen. Hohes Risiko einer Herkunftstäuschung, selbst bei eigenem Markenaufdruck.
- Nachschaffende Übernahme: Die prägenden Merkmale werden in ihrer Wirkung getroffen, auch wenn Details abweichen. Risiko hängt davon ab, ob der herkunftsbildende Kern getroffen wird.
- Bloß anlehnende Gestaltung: Es werden nur allgemeine Stilmittel oder branchenübliche Codes übernommen. Häufig zulässig, sofern der Abstand zum Vorbild erkennbar bleibt.
Wichtig: Ein eigener Markenname hilft, ersetzt aber nicht den notwendigen Gestaltungsabstand, wenn die Gesamterscheinung weiterhin die Nähe zum Vorbild vermittelt.
Vermeidbarkeit der Täuschung: Abstandsmaßnahmen und Kennzeichnung
Herkunftstäuschung ist unlauter, wenn sie vermeidbar gewesen wäre. Vermeidbar ist sie regelmäßig, wenn zumutbare Abstandsmaßnahmen nicht ausgeschöpft wurden:
- Deutliche, eigenständige Kennzeichnung: Markenname und Logo prominent im Blickfang, nicht nur im Kleingedruckten oder auf der Rückseite.
- Layout-Abwandlungen am Kernbild: Farbkonzept, Flächenaufteilung, Formgebung der Blickfangelemente, Bildwelt und Typografie spürbar verändern.
- Abkehr von prägenden „Signaturen“ des Vorbilds: Keine Übernahme markanter Farbstreifen, Rahmenformen, Kappen- oder Etikettkonturen, die das Vorbild ausmachen.
- Klarer Produktname statt Anlehnung: Keine Benennungen, die an den Wortlaut oder die Klangwirkung des Marktführers erinnern.
- Konsistente Distanz im Marketing: Keine Präsentation „im Stil von …“; auch in Werbemitteln, Bannern und Social Posts gestalterisch Abstand halten.
Praxis-Tipp: Ein Disclaimer („keine Verbindung zu …“) wird selten als ausreichend angesehen. Entscheidend ist, dass der erste Eindruck bereits Distanz vermittelt.
Rolle von Preis, Vertriebsumfeld und Regalplatzierung für die Verkehrsauffassung
Die Verkehrsauffassung entsteht nicht im luftleeren Raum. Kontext beeinflusst, wie Verbraucher die Herkunft einschätzen:
- Preisnähe: Ein deutlich günstigeres „Look-alike“ neben dem Original kann den Eindruck einer Zweitlinie desselben Herstellers erwecken. Umgekehrt kann ein abweichendes Preisgefüge Distanz signalisieren – ohne den notwendigen Gestaltungsabstand aber keine Garantie.
- Regal- und Listenplatzierung: Seitliche Nachbarschaft, gemeinsame Aktionsflächen, Cross-Promotions oder identische Kategorieschilder verstärken den Eindruck wirtschaftlicher Verbindung. Online gilt Entsprechendes für Search-Result-Layouts, Thumbnails und Filterkacheln.
- Vertriebskanal und Zielgruppe: Discounter, Drogerie, Premiumhandel oder Direkt-zu-Kunde – jedes Umfeld prägt Erwartungen. Ein „Me-too“-Auftritt wirkt in Vergleichssituationen besonders herkunftsnah.
- Präsentationsdetails: Größe der Produktabbildung, Thumbnail-Zuschnitt, Platz des Markenlogos, Position des Blickfangs – schon kleine UI- und PoS-Entscheidungen beeinflussen den Gesamteindruck.
Bottom line: Herkunftstäuschung wird im Gesamtkontext bewertet. Wer Gestaltung, Kennzeichnung und Vertriebsumfeld zusammen denkt, reduziert Risiken spürbar.
Geografische Herkunftstäuschung („Made in …“ & Co.)
Wann eine Regions- oder Länderangabe als Qualitätsversprechen verstanden wird
Angaben wie „Made in Germany“, „aus dem Allgäu“ oder die Darstellung einer Nationalflagge werden vom Publikum häufig nicht nur geografisch, sondern als Qualitäts- und Verantwortlichkeitsversprechen verstanden. Der Verkehr erwartet in der Regel, dass prägende Herstellungsschritte, die Qualitätskontrolle und das Know-how maßgeblich im bezeichneten Land oder der genannten Region angesiedelt sind. Eine bloße Endmontage oder das Umpacken genügt dafür meist nicht. Entscheidend ist, was der durchschnittliche Verbraucher in der konkreten Präsentation vernünftigerweise erwartet.
Wichtig: Die Verbraucherauffassung kann von zoll- oder außenwirtschaftsrechtlichen Ursprungsregeln abweichen. Für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung zählt, welchen Eindruck Ihre Werbe- und Produktkommunikation tatsächlich erweckt.
Kriterien für eine zulässige Herkunftsangabe
Eine Herkunftsangabe ist regelmäßig unbedenklich, wenn die folgende Erwartung des Publikums nicht enttäuscht wird:
- Wertschöpfungsschritte: Qualitätsbestimmende Fertigungs- oder Veredelungsschritte finden überwiegend im bezeichneten Land statt.
- Technik & Know-how: Konstruktion, Rezeptur, Entwicklungsleitung oder Schlüsselkomponenten werden wesentlich dort verantwortet.
- Endmontage & Prüfung: Die Endmontage ist mehr als ein bloßes Zusammensetzen; Funktionsprüfung und Freigabe erfolgen vor Ort.
- Lieferkette & Konsistenz: Produkt, Verpackung, Online-Shop und Werbung vermitteln ein stimmiges Gesamtbild – ohne widersprüchliche Signale.
Praxis-Tipp: Wenn einzelne Schritte im Ausland erfolgen, helfen präzise, nicht beschönigende Zusätze wie „entwickelt in Deutschland, Endmontage in Tschechien“ oder „Röstung in Italien, Abfüllung in Österreich“. Je konkreter und konsistenter, desto geringer das Risiko einer Fehlvorstellung.
Visuelle Herkunftshinweise: Flaggen, Landkarten, Ortsnamen, Regional-Siegel
Herkunftseindrücke entstehen nicht nur durch Text. Flaggen, Landumrisse, Ortsnamen, Trachtenmotive, Dialektbegriffe oder Regional-Siegel können bereits die Erwartung wecken, dass wesentliche Schritte aus der beworbenen Region stammen. Das gilt auch für Farb- und Bildwelten, die typisch für ein Land stehen.
Wichtig: Wer Regionalsiegel oder Gütezeichen einsetzt, sollte deren Vergabekriterien einhalten und die Nutzung dokumentieren. Ein Siegel, das beim Verbraucher Qualitäts- oder Herkunftsvorstellungen auslöst, erfordert eine entsprechend belastbare Wertschöpfung und Kontrolle.
Mischfertigung, Importverpackungen und klarstellende Zusätze
Globale Lieferketten sind üblich. Genau deshalb sind klare, ausgewogene Erläuterungen wichtig:
- Mischfertigung: Wenn Bauteile oder Zutaten aus mehreren Ländern stammen, nennen Sie die prägenden Schritte und die abschließende Qualitätskontrolle. Vermeiden Sie pauschale „Made in …“-Claims, wenn der Gesamteindruck sonst überhöht wirkt.
- Importverpackungen: Wer Original-Importverpackungen mit ausländischen Herkunftshinweisen nutzt, sollte prüfen und anpassen, ob diese mit der tatsächlichen Wertschöpfung für den hiesigen Markt übereinstimmen. Ein zusätzlicher klarstellender Aufkleber kann sinnvoll sein – er muss sichtbar und verständlich sein.
- Klarstellungen statt Kosmetik: Formulierungen wie „designed in …“ werden oft als weicher wahrgenommen und ersetzen kein „Made in …“, wenn die Gesamtpräsentation gleichwohl eine umfassende Fertigung suggeriert.
- Online- und POS-Konsistenz: Produktdetailseite, Datenblatt, Hangtag, Etikett und PoS-Material sollten deckungsgleich kommunizieren. Abweichungen erhöhen das Risiko einer Irreführung.
- Dokumentation: Halten Sie für kritische Claims Nachweise bereit (Fertigungsprotokolle, Prüfberichte, Spezifikationen). Das erleichtert die Verteidigung gegenüber Mitbewerbern und Behörden.
Merke: Je stärker eine Angabe als Qualitäts- und Verantwortlichkeitsversprechen verstanden wird, desto höher die Anforderungen an Wertschöpfungstiefe, Kontrolle und Konsistenz. Klare, präzise Zusätze reduzieren Missverständnisse – und damit Ihr Risiko.
Typische Fallkonstellationen aus der Praxis
„Look-alikes“ im Lebensmittel- und Drogerieregal
Look-alikes entstehen häufig durch nahe Farbkonzepte, ähnliche Flächenaufteilungen und prägende Blickfangelemente wie Streifen, Kappenformen oder Etikettkonturen. Der Eindruck einer wirtschaftlichen Verbindung wird durch Regalnachbarschaft, Preisnähe und gemeinsame Aktionsflächen verstärkt.
Woran Sie Risiken erkennen:
- Das Vorbild ist bekannt und über längere Zeit konsistent aufgetreten
- Ihre Gestaltung trifft den herkunftsbildenden Kern (z. B. charakteristische Farbbänder + Bildanordnung)
- Der eigene Markenhinweis ist im ersten Blick nicht dominant
Was in der Praxis hilft:
- Abstandsmaßnahmen am Blickfang (andere Proportionen, andere Hauptfarbe, veränderte Bildlogik)
- Prominente, eigenständige Kennzeichnung auf der Front
- Abkehr von Signaturen des Vorbilds (typische Rahmen, Deckelform, Etikettkontur)
- Kontext mitdenken: Platzierung, Preisstrategie, PoS-Material
Private-Label vs. Markenartikel
Hausmarken dürfen im selben Regal bestehen, geraten aber schnell in die Nähe eines Marktführers, wenn Gestaltungsrhythmus und Key-Visuals übernommen werden. Ein eigenes Markenlogo allein erzeugt nicht zwingend genug Distanz.
Leitplanken für Private Labels:
- Eigenes Designsystem definieren (Palette, Typografie, Icon-Stil, Bildsprache), das kategorieübergreifend trägt
- Kernlook des Marktführers bewusst nicht nachzeichnen, sondern alternative Gestaltungslogik wählen
- Produktnamen ohne Anlehnung an prägende Wortbestandteile des Vorbilds
- Freigabeprozess mit dokumentierter Eigenentwicklungs- und Distanzprüfung
Produkt-Webseiten, App-Icons und Shop-Layouts (digitaler „Trade Dress“)
Auch digital prägt der Gesamteindruck: Farbwelten, Kachelformen, Icon-Stile, Header-Aufbau, Bildstil, Call-to-Action-Platzierung und App-Icons/Favicons. Ein UI, das den Look & Flow eines Mitbewerbers nachzeichnet, kann herkunftsnah wirken.
Risikofaktoren:
- App-Icon mit ähnlicher Farbfläche, Symbolik und Kontur
- Startseiten-Hero und Produktkacheln in nahezu identischem Raster
- Formulierungen und Screenshots „angelehnt an …“ in Werbemitteln
Sichere Gestaltung:
- Eigenständige Farb- und Ikonographie-Logik; andere Kontraste und Flächengewichte
- CTA-Design und Typografie-Hierarchie bewusst abweichend
- Store-Listings (App Stores, Marktplätze) nicht mit Bildwelten des Mitbewerbers bespielen
- UI-Guidelines dokumentieren und gegen Benchmarks prüfen
Domain- und Unternehmensbezeichnungen mit Nähe zum Mitbewerber
Domains und Firmennamen, die klanglich/optisch an Mitbewerber erinnern oder beschreibende Zusätze wie „-shop“, „-official“, „-service“ anheften, können betriebliche Verbindung suggerieren. Gleiches gilt für Subdomains oder Verzeichnisse, die Nähe inszenieren.
Worauf Sie achten sollten:
- Verwechslungsnahe Schreibweisen, auch als Tippfehler-Varianten
- Kombination aus Mitbewerbername + Branchenbegriff („official“, „support“, „partner“)
- Logo-/CI-Nähe auf der Landingpage
Besser so:
- Eigenständige Firmierung und Domain, die keinen Bezug zum Mitbewerber trägt
- Klarer Disclaimer kann ergänzen, ersetzt jedoch keinen Gestaltungsabstand
- Impressum und Unternehmensangaben deutlich und konsistent
Werbung „im Stil von …“ und Influencer-Placements
Kampagnen „im Stil von …“ oder Influencer-Posts, die Bildsprache, Claims oder Jingles eines Marktführers aufgreifen, vermitteln leicht eine Lizenz- oder Konzernnähe. Das gilt besonders bei Side-by-Side-Inszenierungen, Hashtags und Vergleichsclaims.
Praxisregeln:
- Keine Nachzeichnung prägender Claims, Jingles, Audio-Logos oder Bildkompositionen
- Briefings für Agenturen/Creator mit klaren roten Linien (No-Gos, Vergleichsdarstellung, Markenverwendung)
- Vergleichende Werbung nur mit sachlicher, überprüfbarer Gegenüberstellung und neutralem Layout
- Hashtags/Tags ohne fremde Marken, wenn dadurch Verbindung suggeriert werden könnte
- Kennzeichnung von Werbung sauber umsetzen; Disclosure ersetzt keinen Distanzbedarf
Merke: In allen Konstellationen entscheidet der konkrete Gesamteindruck. Wer frühzeitig Abstand im Kernbild, prominente Eigenkennzeichnung und konsistente Kommunikation sicherstellt, reduziert das Risiko einer Herkunftstäuschung spürbar – im Regal, online und in der Werbung.
Beweisfragen und Risikofaktoren
Verkehrsauffassung: Indizien, Marktauftritt, interne Produktentwicklung
Ob der Verkehr eine betriebliche Verbindung annimmt, beurteilen Gerichte nach dem Gesamteindruck. Dabei stützen sie sich häufig auf die eigene Erfahrung, auf Dokumente und auf Befragungen, wenn diese methodisch tragfähig sind. Eine aufwendige Verkehrsbefragung ist nicht zwingend erforderlich, kann aber ein starkes Indiz liefern.
Worauf es in der Praxis ankommt:
- Marktauftritt des Vorbilds: Bekanntheit, Kontinuität des Designs, Werbedruck, Regalpräsenz. Je prägnanter das Original, desto eher prägt es die Erwartung.
- Marktauftritt des Nachahmers: Sichtbarkeit der Eigenmarke, Distanz in Farb- und Layoutlogik, Präsentation im Shop/Online-Katalog.
- Interne Entwicklungsunterlagen: Moodboards, Briefings, Styleguides, Iterationsstände. Verweise „am Beispiel von …“ oder „bitte an X anlehnen“ sprechen gegen Eigenentwicklung und belegen die Vermeidbarkeit der Nähe.
- Externe Indizien: Presse/Influencer-Reaktionen („sieht aus wie …“), Händlerfeedback, Reklamationen wegen Verwechslung.
Praxis-Tipp: Halten Sie eine saubere Design-Historie vor (Skizzen, Alternativen, Distanzentscheidungen). Das unterstützt die Argumentation, dass der Abstand bewusst hergestellt wurde.
Bedeutung von Kennzeichnung und Distanz zum Original
Eine deutliche Eigenkennzeichnung (prominentes Logo, eigenständiger Markenname) wirkt entlastend, ersetzt aber keinen Gestaltungsabstand. Wenn Blickfang, Farbdramaturgie und Flächenaufteilung den Kernlook des Vorbilds treffen, bleibt das Herkunftsrisiko hoch – selbst bei gut sichtbarer Marke.
Worauf Sie achten sollten:
- Logo-Wirkung im ersten Blick: Prägt das eigene Zeichen wirklich den Gesamteindruck – oder tritt es nur ergänzend auf?
- Abkehr von prägenden Signaturen: Verändern Sie die Elemente, die das Vorbild wiedererkennbar machen (Rahmen, Streifen, Etikettkonturen, Bildlogik).
- Konsequenz über alle Kanäle: Front, Seiten, Rückseite, Produktdetailseite, Thumbnail, Bannermotive – konsistente Distanz verhindert, dass einzelne Medien die Nähe wieder herstellen.
Wichtig: Ein klarer Markenhinweis hilft, er neutralisiert eine herkunftsnahe Gesamterscheinung jedoch nicht zuverlässig.
Rolle von Abverkäufen, Marktforschung und internen Freigabedokumenten
- Abverkaufszahlen & Marktperformance: Ein sprunghafter Absatz nach Relaunch kann als Indiz gelesen werden, sagt für sich genommen aber wenig über die Motivation der Käufer. Aussagekräftiger sind Kaufgründe aus Befragungen und Beschwerden.
- Marktforschung: A/B-Tests, Blickverlaufsmessungen, Recall-/Recognition-Studien und Befragungen zur wahrgenommenen Unternehmenszuordnung sind hilfreich, wenn Stichprobe, Fragebogen und Auswertung stimmen. Selektive oder suggestive Tests verlieren Beweiskraft.
- Freigabe- und Compliance-Dokumente: Protokolle, in denen Distanzmaßnahmen diskutiert und beschlossen wurden, stützen die Verteidigung. Umgekehrt belasten Vermerke, die eine bewusste Nähe strategisch vorsehen.
Praxis-Tipp: Legen Sie früh einen Pre-Launch-Check fest (Design-Review, rechtliche Kurzprüfung, dokumentierte Abstandsentscheidung). Das reduziert Risiken und schafft belastbare Unterlagen für den Streitfall.
Merke
Ein prominenter Markenaufdruck ist hilfreich – er ersetzt den notwendigen Gestaltungsabstand jedoch nicht. Entscheidend bleibt, ob der Gesamteindruck eine betriebliche Verbindung nahelegt und ob diese Wirkung durch zumutbare Maßnahmen vermeidbar gewesen wäre.
Ansprüche und Folgen
Unterlassung und Beseitigung
Bei festgestellter Herkunftstäuschung steht typischerweise der Unterlassungsanspruch im Vordergrund. Er zielt darauf, künftige herkunftsnahe Gestaltungen zu verhindern. Voraussetzung ist regelmäßig eine Wiederholungsgefahr, die bereits durch einen begangenen Verstoß indiziert wird. Diese Gefahr lässt sich in der Praxis nur durch eine ernsthafte, strafbewehrte Unterlassungserklärung ausräumen.
Zum Unterlassungsanspruch tritt der Beseitigungsanspruch. Er verlangt, die Störquelle zu beseitigen, etwa durch Anpassung von Verpackungen, Überarbeitung von Online-Layouts oder Austausch irreführender Werbemittel. Der Beseitigungsanspruch kann im Extremfall sogar bis zum Warenrückruf führen. Welche Maßnahmen verlangt werden können, richtet sich nach dem Erforderlichen und Zumutbaren im Einzelfall.
Wichtig: Die Unterlassung umfasst regelmäßig auch kerngleiche Verletzungsformen – also Varianten, die den gleichen herkunftstäuschenden Effekt haben.
Auskunft und Schadensersatzmethoden
Um Ansprüche beziffern zu können, besteht ein Auskunftsanspruch über relevante Umsätze, Abgabemengen, Vertriebswege sowie ggf. Werbezeiträume. Er dient dazu, eine der anerkannten Schadensberechnungsmethoden zu wählen:
- Konkreter Schaden: Ersatz tatsächlich entstandener Beeinträchtigungen (z. B. entgangener Gewinn, Mehraufwand für Gegenmaßnahmen, bspw. zur Beseitigung der Marktverwirrung), soweit kausal und nachvollziehbar.
- Lizenzanalogie: Ansatz einer angemessenen fiktiven Lizenz, also der Vergütung, die für eine erlaubte Nutzung des herkunftsbildenden Auftritts gezahlt worden wäre. Diese Methode wird im Wettbewerbsrecht teils herangezogen, sofern Art und Umfang der Nutzung eine solche Bewertung tragen.
- Gewinnabschöpfung: In engen Grenzen kommt eine Herausgabe des Verletzergewinns in Betracht. Zudem sieht das Gesetz eine abschöpfende Abführung an den Staat vor, die besondere Voraussetzungen enthält und in der Praxis eher selten greift.
Praxis-Hinweis: Ohne belastbare Auskunft ist eine seriöse Schadensbezifferung schwierig. Saubere Dokumentation im eigenen Haus und frühzeitige Sicherung gegnerischer Daten sind daher wertvoll.
Rückruf/Entfernung aus dem Handel als Zumutbarkeitsfrage
Die Pflicht zum Rückruf oder zur Entfernung herkunftstäuschender Produkte aus dem Handel hängt von der Zumutbarkeit ab. Maßgeblich sind unter anderem:
- Einflussmöglichkeiten auf die Vertriebsstufen
- Intensität der Täuschung und Reichweite des Angebots
- Kosten und Aufwand eines Rückrufs im Verhältnis zum Schutzziel
- Schnelle Alternativen, z. B. Überkleber oder Umetikettierung, die den täuschenden Eindruck kurzfristig neutralisieren
Je eher eine wirksame Sofortmaßnahme möglich ist, desto eher wird sie erwartet.
Vertragsstrafe bei Unterlassungserklärung
Geben Sie eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, wird daraus ein Vertragsverhältnis. Jeder Verstoß löst dann die Vertragsstrafe aus – zusätzlich zu gesetzlichen Ansprüchen. Üblich sind Klauseln, die eine angemessene Vertragsstrafe vorsehen; deren Höhe kann nach dem sogenannten Neuen Hamburger Brauch im billigen Ermessen des Gläubigers festgesetzt und gerichtlich überprüft werden.
Wichtig: Die Unterlassungserklärung erfasst häufig auch kerngleiche Handlungen. Interne Freigabeprozesse sollten deshalb angepasst werden, damit nicht aus Versehen ähnliche Gestaltungen wieder den Strafmechanismus auslösen.
Kurzfazit: Unterlassung sichern, Täuschungsquelle beseitigen, Auskunft beschaffen, Schadensweg wählen, Zumutbarkeit beim Rückruf prüfen und interne Prozesse auf Vertragsstrafe-Risiken trimmen. So halten Sie das Risiko beherrschbar und schaffen klare Verhältnisse.
Durchsetzung und Abwehr in der Praxis
Ablauf einer Abmahnung und mögliche Reaktionsstrategien
Kommt eine Abmahnung ins Haus, zählt Struktur vor Schnelligkeit. Ein bewährter Workflow:
- Eingang sichern & Frist prüfen: Zustellungsdatum notieren, Fristen und Vorfristen notieren, Versand- und Beleglage sichern.
- Sofortmaßnahmen: Auffällige Werbemittel pausieren, problematische Layouts offline nehmen, PoS-Materialien stoppen, ohne bereits Schuld einzuräumen.
- Beweissicherung: Screenshots mit Zeitstempel, Testkauf, Handels- und Kampagnendaten sichern. Interne Design- und Freigabeunterlagen zusammentragen.
- Risikobild erstellen: Eigenart des Vorbilds, Gestaltungsabstand, Kennzeichnungsstärke, Marktumfeld, „Made in …“-Kommunikation.
- Zurückweisen, verhandeln oder modifizieren: Eine vorformulierte Unterlassungserklärung ist oft zu weit; prüfen Sie Gegenstand, Reichweite (Kerngleichheit), Vertragsstrafe und Verpflichtungsdauer. Häufig ist eine modifizierte Erklärung sinnvoller als ein pauschales Nein.
- Schutzschrift erwägen: Wenn mit einem Eilverfahren zu rechnen ist, kann eine Schutzschrift sinnvoll sein, um das Gericht frühzeitig über Ihre Argumente zu informieren.
- Kommunikationsplan: Händler, Marktplätze und Agenturen früh einbinden, um Streueffekte zu vermeiden.
Wichtig: Eine übereilte, zu weitreichende Unterlassungserklärung bindet Sie lange. Präzision zahlt sich aus.
Einstweiliger Rechtsschutz: Eilbedürftigkeit und Glaubhaftmachung
Im Wettbewerbsrecht wird häufig im Eilverfahren geklärt. Zwei Punkte sind entscheidend:
- Eilbedürftigkeit: Gerichte erwarten, dass der Antrag zeitnah gestellt wird. Interne Prüf- und Abstimmungszeiten sollten daher schlank organisiert sein.
- Glaubhaftmachung: Anspruch und Dringlichkeit werden über Belege glaubhaft gemacht: eidesstattliche Versicherungen, dokumentierte Marktauftritte, Screenshots, Testkaufbelege, Media-Flight-Pläne, Händlerlisten. Je besser Ihre Dokumentation, desto stabiler Ihre Position.
Für die Abwehr gilt: Schutzschrift, schnelle Gegenbelege (eigene Designhistorie, Abstandsmaßnahmen, Konsistenz der Herkunftsangaben) und eine klare Alternativgestaltung erhöhen die Chancen, eine Verfügung abzuwehren oder deren Reichweite zu begrenzen.
Verteidigungspunkte: fehlende Eigenart, ausreichender Abstand, abweichende Verkehrsauffassung
In der Sache kommen typischerweise folgende Argumente in Betracht:
- Fehlende wettbewerbliche Eigenart: Vorbild nutzt branchenübliche Gestaltungscodes oder funktional bedingte Elemente; der konkrete Kernlook sei nicht herkunftsbildend.
- Ausreichender Gestaltungsabstand: Prominente Eigenkennzeichnung, veränderte Blickfangelemente, andere Farb- und Flächenlogik, abweichende Produktbenennung; im Zusammenspiel prägt dies den Gesamteindruck eigenständig.
- Abweichende Verkehrsauffassung: Zielgruppe, Preis- und Vertriebsumfeld, Regal- bzw. Listing-Positionierung, UI-Layout. Unterlagen aus Marktforschung oder Händlerfeedback können stützen.
- Vermeidbarkeit verneint: Zumutbare Abstandsmaßnahmen seien ergriffen worden; ein Disclaimer allein war nicht ausschlaggebend, sondern die Gesamtgestaltung.
- Geografische Herkunft: „Made in …“-Angaben sind präzisiert (entwickelt/Endmontage/Prüfung) und konsistent über Etikett, Datenblatt und Produktseite; Nachweise zur Wertschöpfung liegen vor.
- Formales/Prozessuales: Unbestimmtheit der Abmahnung, überzogener Streitwert, fehlende Dringlichkeit, Verwirkungstatbestände. In geeigneten Konstellationen kann eine negative Feststellungsklage erwogen werden.
Frühe Gestaltungsprüfung spart Kosten und reduziert Prozessrisiken
Die effektivste Verteidigung ist ein sauberer Pre-Launch-Prozess:
- Red-Flag-Check von Produkt, Verpackung, Website, App-Icon und Kampagnenmaterial.
- Abstands-Benchmarks: visuelle Matrix mit Vorbildern; definieren Sie No-go-Elemente (Farbbänder, Konturen, Kappenformen, Claim-Pattern).
- Eigenes Designsystem: Farb-/Typo-/Icon-Guides, die kategorieübergreifend tragen und Abstand sichern.
- Substantiation für Herkunftsangaben: Lieferkettendokumente, Prüfberichte, Verantwortlichkeitsmatrix für „entwickelt in / montiert in / geprüft in“.
- Freigabe-Workflow mit Rechts-Checkpoint und Dokumentation (Entwürfe, Alternativen, Begründung der Distanz).
- Agentur- und Lieferantenverträge mit klaren IP- und Indemnity-Klauseln, Pflicht zur Eigenständigkeit und Belegvorhaltung.
- Fallbacks: vorab definierte Schnellmaßnahmen (Überkleber, Online-Layout-Variante B), um bei Beanstandung sofort umstellen zu können.
Merke: Frühe, dokumentierte Distanzentscheidungen sind doppelt wertvoll – sie vermeiden Konflikte und liefern im Streitfall die besten Belege.
Checkliste zum Mitnehmen
Eigenart prüfen
- Kernbild identifizieren: Welche prägende Kombination aus Farbe, Form, Flächenaufteilung, Typografie und Bildwelt macht Ihr Produkt unverwechselbar?
- Branchencodes vs. Besonderheiten: Was ist branchenüblich (frei) und was ist besonders ausgeprägt (schutzwürdig)?
- Vergleichsmatrix anlegen: Relevante Vorbilder nebeneinanderstellen; Gemeinsamkeiten und Abstände markieren.
- Dokumentieren: Erkenntnisse, Alternativen und Ablehnungsgründe festhalten – das hilft später bei der Beweisführung.
Abstand herstellen
- Blickfang verändern: Hauptfarbe, Proportionen, Bildlogik und Konturen spürbar abwandeln.
- Signaturen meiden: Keine Übernahme prägender Farbbänder, Rahmen, Etikettkonturen oder Kappenformen des Vorbilds.
- Eigenes Designsystem: Konsistente Regeln für Palette, Typo, Icons und CTA-Stil festlegen – auch digital (App-Icon, Shop-Raster).
- Kontext mitdenken: Preisnähe, Regal-/Listing-Nachbarschaft und Aktionsflächen können Nähe verstärken – ggf. bewusst entzerren.
Kennzeichnung stärken
- Prominenter Markenauftritt: Logo und Markenname im Erstblick sichtbar, nicht nur rückseitig oder im Kleingedruckten.
- Namenslogik ohne Anlehnung: Keine „Me-too“-Benennungen; eigenständige Produktnamen wählen.
- Kanal-Konsistenz: Front/Seite/Rückseite, Produktdetailseite, Thumbnail, Banner – überall denselben starken Markenabdruck.
- Merke: Ein klarer Markenhinweis hilft – ersetzt aber nicht den notwendigen Gestaltungsabstand.
Regions-/Länderhinweise verifizieren
- Wertschöpfung prüfen: Wo finden qualitätsbestimmende Schritte, Endmontage und Prüfung tatsächlich statt?
- Präzise formulieren: Statt pauschal „Made in …“ besser klare Zusätze wie „entwickelt in …, montiert in …, geprüft in …“.
- Visuelle Signale bedenken: Flaggen, Landkarten, Ortsnamen, Regional-Siegel wecken Erwartungen – nur nutzen, wenn sie getragen werden.
- Belege bereithalten: Lieferantenerklärungen, Prüfberichte und Freigaben zentral ablegen; Shop, Etikett und Datenblatt auf Konsistenz checken.
Freigabeprozess dokumentieren
- Versionierung & Gate-Logs: Entwürfe, Distanzentscheidungen und Freigaben mit Datum sichern.
- PoS- und UI-Tests: Mockups für Regal/Listing/Thumbnail; Sichtbarkeit des Logos im Erstblick protokollieren.
- Plan B vorhalten: Überkleber, alternative Online-Layouts und Schnellmaßnahmen definieren.
- Vertragliche Absicherung: Agenturen/Lieferanten zur Eigenständigkeit, Belegvorhaltung und SLA für Anpassungen verpflichten.
Frühzeitig Rechtsrat einholen
- Trigger erkennen: Look-alike-Risiko, Private-Label-Nähe, starke Regionsclaims, hoher Launch-Druck oder Influencer-Kampagnen „im Stil von …“.
- Schnell-Check nutzen: Kurzes Pre-Launch-Review spart Kosten und reduziert Prozessrisiken.
- Im Streitfall vorbereitet: Dokumentation, Vergleichsmatrix, Nachweise zu Herkunft und Freigaben liegen abrufbereit vor.
Essenz: Früh prüfen, Abstand sichtbar machen, präzise kennzeichnen und sauber dokumentieren. So minimieren Sie das Risiko einer Herkunftstäuschung – im Regal wie online.
Fazit
Herkunftssignale entscheiden oft über Aufmerksamkeit und Vertrauen. Wer Eigenart und Gesamteindruck ernst nimmt, Gestaltungsabstand sichtbar macht, Herkunftsangaben präzise formuliert und Dokumentation konsequent führt, steuert Risiken – und schafft sich zugleich Wettbewerbsvorteile. So lassen sich Abmahnungen, eilbedürftige Verfahren und kostspielige Umstellungen deutlich besser vermeiden.
Unser Angebot: Schnell-Check mit klaren Handlungsempfehlungen
Wir prüfen Ihre Verpackung, Produktseiten/Shop-Auftritte, App-Icons/Banner sowie „Made in …“-Claims auf herkunftsrelevante Risiken und erarbeiten konkrete Maßnahmen:
- Ampelbewertung des Gestaltungsabstands und der Kennzeichnung
- Risiko-Map für Regal-/Listing-Kontexte und Preisnähe
- Textbausteine für transparente Herkunftsangaben (entwickelt/montiert/geprüft in …)
- Design-Empfehlungen für schnelle Abstandsgewinne (Plan-B-Layouts inklusive)
- Checkliste für Ihren Freigabeprozess mit klaren Verantwortlichkeiten
Wenn Sie möchten, beginnen wir mit einem kurzen Vorab-Scan Ihrer wichtigsten Produkte und Kampagnen. Sie erhalten klare Prioritäten und umsetzbare Next Steps – damit Ihr Marktauftritt sicher und stark bleibt.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
Alexander Bräuer
Andere über uns
WEB CHECK SCHUTZ
Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.
Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

