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Heimliche Videoaufnahmen in der Wohnung: Was ist strafbar

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Versteckte Kameras im privaten Raum sorgen regelmäßig für rechtliche Diskussionen. In Wohngemeinschaften, Partnerschaften oder auch bei Nachbarschaftskonflikten greifen Menschen – teils aus Misstrauen, teils aus Neugier – zu technischen Überwachungsmitteln.

Aber: Wann wird eine heimlich installierte Kamera im Wohnbereich strafbar?
Und: Reicht die bloße Aufnahme aus, um sich nach § 201a StGB strafbar zu machen – oder braucht es mehr?

Mit dieser spannenden Frage befasste sich das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 18.03.2025. Die Entscheidung zeigt eindrucksvoll, dass der Schutz der Privatsphäre zwar ein hohes Gut ist – die Strafbarkeit heimlicher Aufnahmen aber differenziert beurteilt werden muss.

Der Sachverhalt: Eine heimliche Kamera im WG-Zimmer

a) Die Konstellation

Der Angeklagte und das spätere mutmaßliche Opfer lebten zusammen in einer Wohngemeinschaft. Ohne Wissen seines Mitbewohners installierte der Angeklagte eine Kamera im Zimmer des Mitbewohners. Es handelte sich um eine verdeckt angebrachte, bewegungssensitive Kamera, die über mehrere Tage hinweg Aufnahmen anfertigte.

b) Die Inhalte der Aufnahmen

Die Aufnahmen zeigten den Mitbewohner in alltäglichen Situationen. Er war dabei stets bekleidet. Zu sehen war unter anderem, wie er:

  • im Zimmer las,
  • putzte,
  • sich von A nach B bewegte.

Er war auf den Bildern teilweise nur von hinten oder seitlich erkennbar. Nacktheit, intime Handlungen oder besonders persönliche Tätigkeiten zeigten die Aufnahmen nicht.

c) Entdeckung und Strafanzeige

Die Kamera wurde durch Zufall entdeckt, als sich der Mitbewohner über ein blinkendes Licht wunderte. Er informierte daraufhin die Polizei. Der Angeklagte räumte die Installation der Kamera ein. Ziel sei es gewesen, sich über das Verhalten des Mitbewohners zu „informieren“.

Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB) ein.

Das Urteil der Vorinstanz: Verurteilung durch das Amtsgericht Warendorf

Das Amtsgericht Warendorf verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe. Zur Begründung führte es aus:

  • Der höchstpersönliche Lebensbereich sei bereits durch die heimliche Aufnahme an sich verletzt worden.
  • Allein die Tatsache, dass eine Person in ihrem privaten Rückzugsraum heimlich aufgenommen werde, reiche aus.
  • Ob die Aufnahmen intime Handlungen zeigten, sei nicht entscheidend – entscheidend sei allein die Herstellung der Bilder ohne Wissen der betroffenen Person im geschützten Wohnraum.

Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein.

Die Entscheidung des OLG Hamm: Keine automatische Strafbarkeit

Das OLG Hamm hob das Urteil des Amtsgerichts auf – und stellte damit klar:
Nicht jede heimlich gefertigte Aufnahme in der Wohnung erfüllt automatisch den Straftatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

a) Rechtliche Einordnung des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB

§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt die unbefugte Herstellung eines Bildes, das geeignet ist, den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person zu verletzen, wenn die Aufnahme in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum erfolgt, unter Strafe.

Entscheidend ist laut OLG Hamm dabei:

  • Es handelt sich um ein Erfolgsdelikt, nicht um ein Gefährdungsdelikt.
  • Es muss durch die Aufnahme selbst eine konkrete Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs vorliegen.
  • Es reicht nicht, dass sich die Aufnahme räumlich im privaten Umfeld (z. B. Schlafzimmer, Wohnzimmer) ereignet.
  • Maßgeblich ist vielmehr der Inhalt der Aufnahme.

b) Was ist der „höchstpersönliche Lebensbereich“?

Der höchstpersönliche Lebensbereich umfasst nach ständiger Rechtsprechung:

  • Intime Körperpflege (z. B. Duschen, Umziehen, Toilettengänge),
  • Nacktheit,
  • intime Gespräche oder psychisch besonders schutzbedürftige Situationen,
  • emotionale Ausnahmesituationen (z. B. Weinen, Beten, Trauern).

Nicht darunter fallen:

  • Neutrale Alltagstätigkeiten,
  • bloße Anwesenheit in einem Raum,
  • äußere Merkmale, sofern keine intime Information transportiert wird.

c) Warum lag im konkreten Fall keine Strafbarkeit vor?

Das OLG stellte fest, dass die heimlich gefertigten Aufnahmen:

  • keine Nacktheit zeigten,
  • keine intimen oder emotional besonderen Situationen dokumentierten,
  • den Mitbewohner nur bekleidet und in neutralem Kontext (Lesen, Putzen) darstellten,
  • keine „Bloßstellung“ oder „Herabwürdigung“ erkennen ließen.

Deshalb fehle der erforderliche Verletzungserfolg. Ohne diesen sei der Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt.

Ergebnis und Verfahrensausgang

Das OLG Hamm:

  • hob das Urteil des Amtsgerichts Warendorf auf,
  • verwies die Sache zurück zur neuen Verhandlung,
  • betonte, dass die neue Instanz den konkreten Inhalt der Aufnahmen detailliert prüfen müsse,
  • erklärte, dass eine Verurteilung nicht auf der bloßen Tatsache der Aufnahme basieren dürfe.

Bewertung der Entscheidung

a) Klarstellung für die juristische Praxis

Die Entscheidung hat hohe praktische Relevanz, denn sie:

  • präzisiert die Voraussetzungen des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB,
  • vermeidet eine Ausuferung der Strafbarkeit, die jede heimliche Aufnahme in der Wohnung erfassen würde,
  • schützt die Intimsphäre, ohne eine generelle Überwachungsstrafbarkeit einzuführen,
  • stärkt die Differenzierung zwischen Privatsphäre und höchstpersönlichem Lebensbereich.

b) Kritik an der Vorinstanz

Das Amtsgericht Warendorf hatte offenbar nicht sauber zwischen dem geschützten Raum und dem geschützten Lebensbereich unterschieden. Es stellte zu stark auf die bloße Heimlichkeit und den Ort der Aufnahme ab – und ignorierte die Anforderungen an den Verletzungserfolg.

Das OLG korrigierte diese Fehlinterpretation und forderte eine konkrete, einzelfallbezogene Prüfung.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Hamm bringt rechtsdogmatische Klarheit:
Nicht jede heimliche Aufnahme in der Wohnung ist strafbar.

Der § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB schützt nicht jede Form des Privaten, sondern nur den besonders geschützten, höchstpersönlichen Lebensbereich – und das auch nur dann, wenn durch die Aufnahme selbst ein konkreter Eingriff erfolgt.

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