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Neuer Hamburger Brauch - Ein Leitfaden zu Unterlassungserklärung und Vertragsstrafe

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Unterlassungserklärungen spielen eine zentrale Rolle im deutschen Recht, insbesondere im Wettbewerbs-, Urheber- und Markenrecht. Sie dienen dazu, Streitigkeiten über rechtswidriges Verhalten zu beenden, ohne ein langwieriges Gerichtsverfahren durchlaufen zu müssen. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung verpflichtet den Unterlassungsschuldner dazu, künftig ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, andernfalls droht ihm eine Vertragsstrafe.

Traditionell beinhalten solche Erklärungen eine feste, konkret bezifferte Vertragsstrafe. Jedoch wurde im Rahmen der Praxis eine flexiblere Methode entwickelt: der sogenannte "Hamburger Brauch". Diese Variante erlaubt es, die Vertragsstrafe nach billigem Ermessen des Gläubigers festzulegen und bietet zahlreiche Vor- und Nachteile für beide Seiten. In diesem Artikel beleuchten wir die Ursprünge, rechtlichen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen des "Neuen Hamburger Brauchs", illustrieren diese durch praxisnahe Beispiele und einschlägige Rechtsprechung und schließen mit einer Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Regelung.

Was ist der "Hamburger Brauch"?

Der "Hamburger Brauch" beschreibt eine Praxis bei der Gestaltung strafbewehrter Unterlassungserklärungen, bei der die Höhe der Vertragsstrafe nicht von vornherein festgelegt wird. Stattdessen wird sie vom Unterlassungsgläubiger im Falle eines Verstoßes nach billigem Ermessen bestimmt. Diese Festlegung kann vom Unterlassungsschuldner gerichtlich überprüft werden, falls er die Höhe der Strafe für unangemessen hält.

Die Besonderheit dieses Ansatzes liegt in seiner Flexibilität. Während eine festgelegte Vertragsstrafe starr ist und gegebenenfalls in keinem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht, kann der "Hamburger Brauch" die individuellen Umstände eines Verstoßes besser berücksichtigen. Er wird insbesondere in Situationen angewendet, in denen es schwierig ist, eine angemessene Strafe im Voraus zu beziffern, beispielsweise bei Verstößen im Online-Bereich oder bei neuen Rechtsverletzungen mit unklarer Reichweite.

Historische Entwicklung und rechtlicher Hintergrund: "Neuer" vs. "alter" Hamburger Brauch

Der Begriff "Hamburger Brauch" hat sich historisch entwickelt, um die Praxis der Festlegung von Vertragsstrafen zu flexibilisieren. Ursprünglich bezeichnete der sogenannte "alte Hamburger Brauch" eine Methode, bei der die Vertragsstrafe zwar nicht konkret beziffert, jedoch auf eine moderate und fest definierte Obergrenze beschränkt wurde. Diese Praxis bot den Vorteil, dass Schuldner die möglichen Konsequenzen eines Verstoßes besser einschätzen konnten, ohne jedoch die Flexibilität bei der Durchsetzung der Strafen aufzugeben.

Der "Neue Hamburger Brauch", wie er sich heute etabliert hat, verzichtet hingegen auf eine solche Obergrenze. Stattdessen wird die Höhe der Vertragsstrafe allein nach billigem Ermessen des Gläubigers festgelegt. Dieses Ermessen wird durch die Gerichte überprüfbar gemacht, um Missbrauch vorzubeugen. Der entscheidende Vorteil liegt in der größeren Anpassungsfähigkeit an die konkreten Umstände eines Verstoßes. Der Schuldner hat jedoch keine direkte Kontrolle über die potenzielle Höhe der Vertragsstrafe, was zu Unsicherheiten führen kann.

Abgrenzung zum alten Hamburger Brauch

Während der alte Hamburger Brauch durch seine Kombination aus Flexibilität und Vorhersehbarkeit charakterisiert war, bietet der neue Hamburger Brauch eine stärkere Anpassung an die individuellen Umstände des Einzelfalls. Dies geht jedoch auf Kosten der Planungssicherheit für den Schuldner.

Vorteile des "Hamburger Brauchs"

Der "Hamburger Brauch" bietet eine Vielzahl von Vorteilen, die ihn zu einer beliebten Methode machen:

  1. Flexibilität: Die Höhe der Vertragsstrafe wird individuell an die Schwere des Verstoßes angepasst. Dies stellt sicher, dass kleine Verstöße nicht unverhältnismäßig hoch geahndet werden und schwere Verstöße eine angemessene Sanktion erfahren.
  2. Praktikabilität: In vielen Fällen ist es schwierig, eine angemessene Vertragsstrafe im Voraus zu bestimmen. Der "Hamburger Brauch" löst dieses Problem, indem er die Entscheidung über die Höhe der Strafe auf den Zeitpunkt eines möglichen Verstoßes verschiebt.
  3. Abschreckung: Die Ungewissheit über die genaue Höhe der Vertragsstrafe kann als zusätzlicher Anreiz dienen, die Unterlassungsverpflichtung einzuhalten. Dies ist insbesondere bei Wiederholungstätern von Bedeutung.
  4. Verhältnismäßigkeit: Da die Vertragsstrafe nach billigem Ermessen festgelegt wird, kann sie besser an die Umstände des Einzelfalls angepasst werden, was eine gerechtere Behandlung beider Parteien ermöglicht.

Nachteile des "Hamburger Brauchs"

Trotz seiner Vorteile ist der "Hamburger Brauch" nicht frei von Kritik und Nachteilen:

  1. Unklarheit für den Schuldner: Der Unterlassungsschuldner weiß bei Abgabe der Unterlassungserklärung nicht, welche Konsequenzen bei einem Verstoß auf ihn zukommen. Diese Unsicherheit kann zu erheblichen Risiken führen.
  2. Potenzial für Rechtsstreitigkeiten: Da die Angemessenheit der Vertragsstrafe gerichtlich überprüft werden kann, kann dies zu einer erhöhten Anzahl an Streitfällen führen. Besonders dann, wenn Gläubiger und Schuldner unterschiedliche Vorstellungen über die Angemessenheit der Strafe haben.
  3. Missbrauchsgefahr durch den Gläubiger: Es besteht die Gefahr, dass Gläubiger die Vertragsstrafe absichtlich unverhältnismäßig hoch ansetzen, um den Schuldner unter Druck zu setzen. Zwar kann dies gerichtlich überprüft werden, doch bis dahin können für den Schuldner erhebliche Nachteile entstehen.
  4. Fehlende Planungssicherheit: Besonders für Unternehmen kann die Unsicherheit über die Höhe potenzieller Vertragsstrafen problematisch sein, da dies die Risikobewertung erschwert.

Praxisbeispiele und Rechtsprechung

Beispiel 1: Markenrechtsverletzung Ein kleines Unternehmen verwendet unbefugt das geschützte Logo eines Mitbewerbers. Nach einer Abmahnung gibt das Unternehmen eine Unterlassungserklärung nach "Hamburger Brauch" ab. Einige Monate später wird das Logo erneut unrechtmäßig verwendet. Der Gläubiger legt eine Vertragsstrafe von 20.000 Euro fest. Das Unternehmen hält diese Summe für überzogen. Das Gericht reduziert die Strafe auf 7.500 Euro und stellt fest.

Beispiel 2: Wettbewerbsrechtliche Irreführung Ein Online-Shop betreibt irreführende Werbung für ein Sonderangebot, das in Wahrheit nicht verfügbar ist. Nach einer Abmahnung verpflichtet sich der Shopbetreiber, auf diese Werbemaßnahme zu verzichten. Bei einem erneuten Verstoß wird die Vertragsstrafe auf 10.000 Euro festgelegt. Der Schuldner akzeptiert diese Summe, da sie in einem nachvollziehbaren Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht.

Fazit

Der "Hamburger Brauch" ist ein wichtiges Instrument, das Flexibilität und Fairness in die Gestaltung von Unterlassungserklärungen bringt. Er bietet die Möglichkeit, Vertragsstrafen individuell und verhältnismäßig zu gestalten, birgt jedoch auch Risiken wie Unsicherheit und potenzielle Rechtsstreitigkeiten. Die Rechtsprechung des BGH hat die Zulässigkeit und Bedeutung dieses Ansatzes mehrfach bekräftigt, was seine Relevanz für die Praxis unterstreicht.

Für alle Beteiligten ist es essenziell, die Vor- und Nachteile des "Hamburger Brauchs" sorgfältig abzuwägen und die Regelungen klar zu formulieren, um unnötige Streitigkeiten zu vermeiden. In einer zunehmend komplexen Rechtslandschaft erweist sich der "Hamburger Brauch" als ein flexibles und anpassungsfähiges Mittel, um den unterschiedlichen Interessen von Gläubigern und Schuldnern gerecht zu werden.

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