Grundpreisangabe bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform

Die Angabe von Grundpreisen ist im deutschen Preisangabenrecht eine feste Größe – sie soll Preisvergleiche für Verbraucher erleichtern. Doch gilt die Pflicht zur Grundpreisangabe auch für Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform, die scheinbar „nach Stück“ verkauft werden? Diese Frage hat der BGH in seinem Urteil vom 23.03.2023 (Az.: I ZR 17/22) eindeutig bejaht. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für den Online-Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln.
1. Hintergrund: Was regelt die Preisangabenverordnung?
Die Preisangabenverordnung (PAngV) verpflichtet Unternehmer zur Angabe eines Grundpreises bei bestimmten Warenangeboten. Der Grundpreis ist der Preis je Mengeneinheit – etwa je 100 g oder 1 kg – und dient der Vergleichbarkeit verschiedener Produkte.
§ 4 Abs. 1 Satz 1 PAngV (früher: § 2 Abs. 1 PAngV a.F.) lautet:
„Wer als Unternehmer Verbrauchern Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbietet oder als Anbieter dieser Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat neben dem Gesamtpreis auch den Grundpreis unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar anzugeben.“
Allerdings galt diese Verpflichtung nicht für Produkte, die „üblicherweise nach Stückzahlen in Verkehr gebracht werden“. Diese Ausnahmeregelung stand im Mittelpunkt der streitigen Auseinandersetzung.
2. Der Sachverhalt: Was war passiert?
Die Beklagte betreibt einen Online-Shop, in dem sie u. a. Aminosäureprodukte in Kapselform vertreibt. Diese Produkte werden in Dosen mit einer bestimmten Anzahl von Kapseln verkauft – beispielsweise 120 Kapseln pro Dose.
Auf ihrer Webseite hatte die Beklagte ausschließlich den Endpreis für das jeweilige Produkt angegeben – also beispielsweise „29,90 € für 120 Kapseln“. Ein Grundpreis, etwa in Euro pro 100 g, fehlte.
Ein Wettbewerbsverband sah darin einen Verstoß gegen die PAngV. Er argumentierte, Nahrungsergänzungsmittel würden nicht nach Stückzahlen, sondern typischerweise nach Wirkstoffmenge bzw. Gewicht wahrgenommen und bewertet. Die Verbraucher seien daher auf eine Grundpreisangabe angewiesen, um vergleichen zu können.
Die Beklagte widersprach: Die Kapseln würden nach Stück verkauft, daher greife die Ausnahmeregelung. Zudem sei eine Grundpreisangabe bei derart unterschiedlichen Produkten irreführend und nutzlos.
3. Der Prozessverlauf: Von Hamburg bis Karlsruhe
3.1 Entscheidung des OLG Hamburg (3 U 66/21)
Das OLG Hamburg sah in der fehlenden Grundpreisangabe einen Wettbewerbsverstoß und verurteilte die Beklagte zur Unterlassung. Die Richter führten aus, dass Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform nicht „üblicherweise“ nach Stückzahl in den Verkehr gebracht würden.
Die maßgebliche Verkehrsauffassung gehe vielmehr davon aus, dass der Wirkstoffgehalt bzw. das Gewicht entscheidend sei. Verbraucher kauften diese Produkte nicht wegen der Anzahl der Kapseln, sondern wegen der versprochenen Wirkung, die sich aus der Menge der Inhaltsstoffe ergebe.
3.2 Revision vor dem BGH
Die Beklagte legte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Sie meinte, das Berufungsgericht habe die Realität verkannt: Nahrungsergänzungsmittel würden sehr wohl stückweise verkauft, und eine Grundpreisangabe sei irreführend. Außerdem seien Nahrungsergänzungsmittel rechtlich als „dosierte Lebensmittel“ definiert, was eine Stückverkaufsabsicht unterstelle.
Doch der BGH bestätigte das Urteil des OLG Hamburg in vollem Umfang.
4. Die Entscheidung des BGH im Detail
Der Bundesgerichtshof wies die Revision zurück und bestätigte, dass auch für Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform eine Pflicht zur Grundpreisangabe besteht. Die wesentlichen Erwägungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
4.1 Maßgeblich ist die Verkehrsauffassung
Der BGH stellt klar: Ob eine Ware „üblicherweise nach Stückzahl in den Verkehr gebracht“ wird, ist eine Frage der Verkehrsauffassung – also wie der durchschnittliche Verbraucher das Produkt wahrnimmt.
„Die Ermittlung der Verkehrsauffassung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung dahin, ob das Berufungsgericht den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft hat und die Beurteilung mit den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen in Einklang steht.“
Das OLG habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Stückzahl der Kapseln nicht ausschlaggebend für die Kaufentscheidung ist. Vielmehr interessiere sich der Verbraucher für die Menge des enthaltenen Wirkstoffs – also etwa „1200 mg L-Arginin pro Tagesdosis“.
4.2 Kein Inverkehrbringen „nach Stückzahl“
Entscheidend sei nicht, ob die Produkte in Kapseln abgefüllt sind, sondern wie sie aus Sicht der Verbraucher angeboten werden:
„Dass Nahrungsergänzungsmittel gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 NemV Lebensmittel sind, die in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, bedeutet nicht zugleich, dass sie nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden.“
Die Dosierungsform sei nicht mit einer typischen Stückverkaufsabsicht gleichzusetzen. Dies gelte umso mehr, als Nahrungsergänzungsmittel in unterschiedlichsten Formen – als Pulver, Flüssigkeit oder Kapseln – auftreten können.
Auch die Tatsache, dass die Kapselhülle mitverzehrt wird, spiele keine Rolle. Für den Verbraucher komme es nicht auf die Kapsel selbst an, sondern auf den enthaltenen Wirkstoff.
5. Irreführung durch Grundpreisangabe? BGH verneint
Die Beklagte argumentierte, eine Grundpreisangabe nach Gewicht sei irreführend, weil Aminosäureprodukte in ihrer Zusammensetzung und Qualität stark variierten. Verbraucher könnten aus dem Preis pro 100 g keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Nutzen ziehen.
Auch dieses Argument ließ der BGH nicht gelten:
„Eine hieraus resultierende Irreführung des Verkehrs über die Werthaltigkeit der einzelnen Aminosäureprodukte ist nicht zu befürchten.“
Der Zweck der Grundpreisangabe sei gerade nicht, die Qualität eines Produkts zu beurteilen, sondern den Preisvergleich zu erleichtern. Das Gewicht sei ein objektives Kriterium – unabhängig davon, ob der Verbraucher auf andere Faktoren Wert lege.
Ein Vergleichbarkeitserfordernis sei nicht Voraussetzung der Grundpreisangabe – auch bei Kaffee, Müsli oder Fruchtsäften gibt es qualitative Unterschiede, ohne dass dies die Pflicht zur Grundpreisangabe aushebelt.
6. Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Der BGH stellt unmissverständlich klar:
▶ Auch bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform ist der Grundpreis anzugeben.
▶ Die Ausnahme für „stückweise in Verkehr gebrachte“ Produkte greift nicht, wenn das Produkt nach Wirkstoffmenge oder Gewicht bewertet wird.
▶ Eine Irreführung ist nicht zu befürchten – im Gegenteil: Die Grundpreisangabe schafft Preistransparenz.
Für Händler und Hersteller bedeutet das:
Die Verpflichtung zur Grundpreisangabe besteht auch bei Kapselprodukten – und zwar unabhängig davon, ob diese „stückweise dosiert“ sind. Wer online oder stationär vertreibt, muss den Grundpreis (z. B. €/100 g) gut sichtbar angeben.
7. Fazit: Transparenz geht vor – auch bei Kapseln
Mit dieser Entscheidung beseitigt der BGH eine langjährige Streitfrage. Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform sind nicht von der Pflicht zur Grundpreisangabe ausgenommen. Entscheidend ist nicht die Darreichungsform, sondern die Erwartung der Verbraucher und der Zweck der Preisangabenverordnung: Transparenz beim Preisvergleich.
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