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Für Online-Coaching-Programme gilt das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht und das FernUSG

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Online-Coachings sind längst kein Nischentrend mehr. In Zeiten zunehmender Digitalisierung erfreuen sich digitale Mentoring-Programme, Persönlichkeitsentwicklungs-Coachings und Gründerschulungen enormer Beliebtheit. Was inhaltlich oft hochprofessionell aufbereitet ist, wird jedoch aus juristischer Sicht vielfach unzulänglich umgesetzt – mit weitreichenden Folgen. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2024 (Az.: 6 U 46/24) hat diesen Umstand nun deutlich gemacht und dabei gleich zwei zentrale rechtliche Normkomplexe in den Mittelpunkt gerückt: das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht und das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Das Urteil dürfte für zahlreiche Coaching-Anbieter eine Zäsur darstellen – denn es verpflichtet zur sorgfältigen rechtlichen Prüfung des eigenen Angebots.

Der konkrete Fall: Ein Mentoring-Programm für Existenzgründer und seine rechtlichen Fallstricke

Der Kläger war Kfz-Mechaniker in Ausbildung. Um sich beruflich neu zu orientieren, buchte er ein kostenpflichtiges Online-Mentoring-Programm. Ziel war es, das notwendige Wissen für den Aufbau einer eigenen Online-Marketing-Agentur zu erwerben. Angeboten wurde das Coaching vollständig digital – mit Lernplattform, Videoinhalten, Live-Calls und begleitender Facebook-Gruppe. Die Beklagte, Anbieterin des Programms, hatte für dieses Angebot jedoch keine Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz eingeholt.

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob der Kläger zur Zahlung der vereinbarten Coachinggebühren verpflichtet war, obwohl er den Vertrag nach kurzer Zeit widerrufen hatte. Die Anbieterin vertrat den Standpunkt, dass der Kläger als zukünftiger Unternehmer nicht mehr unter den Verbraucherschutz falle und daher weder ein Widerrufsrecht bestehe noch das FernUSG Anwendung finde. Das sah das OLG Stuttgart jedoch anders.

Verbraucher bleibt, wer erst gründen will

Das Gericht stellte zunächst klar, dass der Kläger sehr wohl als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB zu qualifizieren sei. Der Umstand, dass das Coachingprogramm der Vorbereitung einer selbstständigen Tätigkeit dienen sollte, sei hierfür nicht entscheidend. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob der Vertragsschluss einer bereits aufgenommenen unternehmerischen Tätigkeit diene oder ob der Teilnehmer sich zunächst erst das erforderliche Wissen aneignen müsse. Solange Letzteres der Fall sei, verbleibe die Person in der Rolle des Verbrauchers. Dass der Kläger die Buchung aus einem beruflichen Interesse vorgenommen habe, ändere daran nichts, solange er sich noch nicht konkret gewerblich betätigt habe. Entscheidend sei die Abgrenzung zum unternehmerischen Handeln, das eine gewisse organisatorische Struktur und konkrete wirtschaftliche Zielverfolgung voraussetzt – bloße Vorbereitungshandlungen reichen hierfür nicht aus.

Diese Klarstellung ist besonders relevant für alle Coaching-Angebote, die sich explizit an sogenannte „Sidepreneure“, angehende Gründer oder Neuorientierer richten. Auch in diesen Konstellationen behalten Teilnehmende grundsätzlich ihre verbraucherschützende Position – und damit auch ihr Widerrufsrecht nach § 355 BGB.

Widerrufsrecht gilt – auch im digitalen Zeitalter

Da der Vertrag im Rahmen eines Fernabsatzes abgeschlossen wurde, bestand zugunsten des Klägers ein Widerrufsrecht. Die Anbieterin hatte allerdings versäumt, ordnungsgemäß über dieses Recht zu belehren. Deshalb verlängerte sich die Widerrufsfrist auf zwölf Monate und vierzehn Tage. Innerhalb dieser Frist hatte der Kläger den Vertrag wirksam widerrufen.

Ein häufiges Missverständnis besteht darin, dass Online-Angebote, insbesondere digitale Dienstleistungen ohne physische Lieferung, nicht widerrufbar seien. Tatsächlich kann das Widerrufsrecht unter bestimmten Bedingungen vorzeitig erlöschen – etwa, wenn der Kunde ausdrücklich zustimmt, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Leistung vor Ablauf der Frist beginnt und der Verbraucher auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Doch genau das war im vorliegenden Fall nicht korrekt umgesetzt worden. Das OLG betonte, dass schon formale Fehler in der Belehrung dazu führen können, dass sich die Widerrufsfrist drastisch verlängert. Anbieter, die ihren Kunden den Eindruck vermitteln, sie könnten sich nicht mehr vom Vertrag lösen, obwohl dies gesetzlich vorgesehen ist, riskieren damit die komplette Rückabwicklung ihrer Verträge.

Das FernUSG: Ein oft übersehenes Gesetz mit großer Wirkung

Neben dem BGB spielte in diesem Fall das Fernunterrichtsschutzgesetz eine zentrale Rolle. Dieses Gesetz findet immer dann Anwendung, wenn ein Vertrag zur Vermittlung von Kenntnissen abgeschlossen wird und der Unterricht überwiegend im Fernunterricht erfolgt. Bereits das Bereitstellen von Lerninhalten über digitale Plattformen, ergänzt durch persönliche Betreuung oder Rückfragen in Live-Calls, erfüllt häufig diese Voraussetzungen.

Besonders bedeutsam war im Urteil des OLG Stuttgart die Feststellung, dass es für die Anwendung des FernUSG keines formalisierten Prüfungsverfahrens bedarf. Bereits die Möglichkeit, Fragen zu stellen, Rückmeldungen zu erhalten und einen Lernfortschritt über Chats oder Video-Konferenzen kontrollieren zu lassen, genüge. Nicht entscheidend sei, ob diese Lernerfolgskontrolle tatsächlich stattfindet – es reiche bereits aus, dass der Vertrag dem Lernenden das Recht auf eine solche Kontrolle einräume.

Im konkreten Fall sah das Mentoring-Programm die Möglichkeit regelmäßiger Videokonferenzen und die Nutzung einer Online-Community vor, über die Teilnehmer Fragen stellen und sich Feedback einholen konnten. Diese Strukturen genügten dem OLG Stuttgart, um von einem Fernunterricht im Sinne des Gesetzes auszugehen.

Da das Coachingprogramm jedoch ohne die erforderliche Zulassung gemäß § 12 FernUSG angeboten wurde, war der Vertrag nichtig. Das hatte zur Folge, dass der Kläger weder zur Zahlung verpflichtet war noch die Anbieterin aus dem Vertrag Leistungen fordern konnte. Auch Rückzahlungsansprüche für bereits gezahlte Beträge wären in dieser Konstellation denkbar.

Konsequenzen für Coaching-Anbieter: Rechtskonforme Gestaltung ist unerlässlich

Das Urteil des OLG Stuttgart ist ein Weckruf für die gesamte Coaching-Branche. Es zeigt in aller Deutlichkeit, dass auch digitale Angebote strengen rechtlichen Anforderungen unterliegen – selbst dann, wenn sie modern, agil oder innovativ daherkommen. Wer Coachingprogramme vertreibt, sollte die zentrale Frage, ob das FernUSG Anwendung findet, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eine strukturierte Wissensvermittlung mit interaktiven Elementen, insbesondere wenn diese regelmäßig stattfinden und ein Mitwirken der Teilnehmer beinhalten, kann sehr schnell zur Anwendbarkeit des Gesetzes führen.

Gleiches gilt für das Widerrufsrecht, dessen Reichweite in der Praxis oft unterschätzt wird. Eine korrekte Widerrufsbelehrung, gegebenenfalls in Kombination mit einer wirksamen Zustimmung zur vorzeitigen Leistungsbeginn und dem ausdrücklichen Verzicht auf das Widerrufsrecht, ist Pflicht. Nur auf dieser Grundlage kann eine rechtssichere Vertragsgestaltung gelingen.

Fazit: Rechtssicherheit schützt nicht nur den Kunden – sondern auch Ihr Geschäftsmodell

Wer digitale Coaching-Dienstleistungen anbietet, bewegt sich nicht im rechtsfreien Raum. Gerade weil die Branche wächst und zunehmend professionalisiert wird, ist die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen entscheidend für nachhaltigen Erfolg. Das OLG Stuttgart hat mit seiner Entscheidung einen wichtigen Meilenstein gesetzt und klargestellt, dass Verbraucherschutz und Anbieterpflichten auch im Online-Business gelten – vielleicht gerade dort. Die Botschaft ist eindeutig: Wer rechtlich sauber arbeitet, schützt nicht nur seine Kunden, sondern auch das eigene Geschäftsmodell.

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