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Formelhafte Individualverträge unterliegen der Inhaltskontrolle

BGH, Urteil vom 20.03.2014, Az. VII ZR 248/13
| Rechtsanwalt Frank Weiß

Verträge werden häufig zwischen ungleichen Parteien geschlossen. Damit der schwächere Vertragspartner nicht unangemessen benachteiligt wird, hat das Bürgerliche Gesetzbuch die Inhaltskontrolle eingeführt und erklärt entsprechende Vertragsklauseln für unwirksam. Dies gilt dann, wenn eine Vertragspartei vorformulierte Vertragsbedingungen vorlegt, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen Bestandteil des Vertrages werden. Ausgenommen von dieser strikten Inhaltskontrolle sind die sogenannten Individualverträge, bei denen die Vertragsparteien die Bedingungen im Einzelnen aushandeln. Unter dem Verweis, es liege ein solcher Individualvertrag vor, versuchen deshalb „starke“ Vertragspartner mitunter die Inhaltskontrolle zu ihren Gunsten zu umgehen. Einen solchen Fall aus der Baubranche hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden.

Der Rechtsstreit: Eine Bauträgerin hat mit einem Generalunternehmer im Mai 2005 einen Werkvertrag zur Errichtung von 62 Townhäusern, zwei Torhäusern und einer Tiefgarage im Wert von rund 18 Mio. Euro netto geschlossen. Das Bauvorhaben sollte in acht Teilabschnitte untergliedert und finanziell abgewickelt werden. Zur Frage der Stellung von Sicherheiten vereinbarten die Parteien je Bauabschnitt Zug um Zug eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 Prozent der Auftragssumme gegen eine Zahlungsbürgschaft der Bauträgerin auszutauschen. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die Bauträgerin 5 Prozent der Brutto-Schlussrechnungssumme für die Dauer des Gewährleistungszeitraums als Sicherheit einbehält. In einem schriftlichen Verhandlungsprotokoll hielten die Parteien zusätzlich fest, dass es sich bei dem Werkvertrag um einen Individualvertrag handelt und dass jede Vertragsklausel ausgiebig und ernsthaft diskutiert und verhandelt worden sei. Beim fünften Bauabschnitt tauschten die Parteien vereinbarungsgemäß die Bürgschaftsurkunden aus. Der Generalunternehmer stellte jedoch den Bau nicht fertig, und es kam 2007 zur beiderseitigen Kündigung. Danach hat der Generalunternehmer keine weiteren Arbeiten vorgenommen, keine Mängel beseitigt und wurde insolvent. Die Bauträgerin verlangte deshalb von der Bank des Generalunternehmers die Auszahlung der Bürgschaft, weil die Bauleistungen mangelhaft gewesen seien, und erhob Klage. Das Landgericht Berlin wies diese erstinstanzlich zurück (Entscheidung vom 28.12.2012, Az. 91 O 137/10). Die Klägerin legte daraufhin beim Kammergericht Berlin Berufung ein, das das vorinstanzliche Urteil aufhob und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwies (Entscheidung vom 08.03.2013, Az. 7 U 40/12). Die Beklagte beantragte daraufhin beim Bundesgerichtshof Revision. Dessen 7. Zivilsenat stellte mit Urteil vom 20. März 2014 das Urteil des Landgerichts wieder her (Az. VII ZR 248/13).

Der Senat erörterte in seinem Urteil vor allem drei Aspekte: ob es sich bei dem Werkvertrag um einen Individualvertrag handelt, ob die Vertragserfüllungsbürgschaft und die Gewährleistungsbürgschaft rechtmäßig sind. Im Hinblick auf den Charakter des Werkvertrages folgten die Richter im Wesentlichen den Einschätzungen der beiden Vorinstanzen, die ihn unter Verweis auf die zahlreich enthaltenen formelhaften Formulierungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen bewertet hatten. Nach Überzeugung des Senats sei „das Vertragswerk umfassend aus der Sicht der Klägerin als Auftraggeber formuliert“ und enthalte Klauseln, die für den Generalunternehmer nachteilig seien. Es handele sich bei den Bedingungen um Vorformulierungen, die für eine Vielzahl von Fällen ausgelegt sei. Die Einstufung eines Vertrags als Individualvertrag bedürfe nicht nur eines Verhandelns, sondern eines Aushandels. Dies bedeute, so die Richter, dass alle vorgeschlagenen Bestimmungen „ernsthaft zur Disposition“ gestellt werden und „dem Vertragspartner Gestaltungsraum zur Wahrung eigener Interessen“ eingeräumt werden müsse. Der protokollarischen Erklärung, dass es sich um einen Individualvertrag handele, komme keine rechtserhebliche Bedeutung zu, denn die Entscheidung darüber stehe nicht zur Disposition der Vertragsparteien, sondern unterliege dem „zwingenden Recht“.

Im Hinblick auf die Vertragserfüllungsbürgschaft hielt der Senat deren Höhe von 10 Prozent der Auftragssumme für nicht unangemessen. Er kritisierte jedoch die Modalitäten zur Rückgabe der Bürgschaft. Diese solle nicht nach der Abnahme des Baus, sondern erst nach Klärung der Abrechnung erfolgen, was unter Umständen einen längeren Zeitraum nach der Abnahme beanspruchen könne. Den Werkvertrag könne man dabei so auslegen, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft auch für Mängelansprüche herangezogen werden könnte, die nach der Abnahme entstünden. Diese kundenfeindlichste Vertragsauslegung müsse, so der Senat, nach der gültigen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 04.07.2013, Az. VII ZR 249/12) bei der Inhaltskontrolle zugrunde gelegt werden. Nach einem anderen BGH-Urteil wird aber ein Vertragspartner unangemessen benachteiligt, wenn für mögliche Gewährleistungsansprüche eine Sicherheit von 10 Prozent der Auftragssumme als Sicherheit verlangt wird (BGH, Urteil vom 05.05.2011, Az. VII ZR 179/10). In Verbindung mit der zudem im Werkvertrag vereinbarten Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme kam der Senat daher zu dem Ergebnis, dass die Beklagte zutreffend eine Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung durch die Klägerin geltend machen kann, was zur Abweisung der Klage führt.

BGH, Urteil vom 20.03.2014, Az. VII ZR 248/13

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