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Fliegender Gerichtsstand im Wettbewerbsrecht

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Diskussion um den fliegenden Gerichtsstand im Wettbewerbsrecht hat durch die Reform des § 14 UWG im Dezember 2020 erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung einen Missbrauch des fliegenden Gerichtsstands verhindern, der bis dahin oft zur gezielten Wahl klägerfreundlicher Gerichte genutzt wurde. Die Einführung von § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG schränkte den fliegenden Gerichtsstand bei Internetverstößen ein, wenn der Beklagte einen Sitz in Deutschland hat. Ziel war es, die Prozessführung zu rationalisieren und eine Waffengleichheit zwischen Kläger und Beklagtem zu schaffen.

Die Neuregelung hat jedoch eine breite Debatte in der Rechtsprechung ausgelöst, da sie an einigen Stellen unklar formuliert ist. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob der Ausschluss des fliegenden Gerichtsstands nur auf bestimmte Verstoßarten beschränkt ist oder generell bei allen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien gilt. Verschiedene Gerichte haben diese Frage unterschiedlich beantwortet, was zu einer uneinheitlichen Rechtslage geführt hat.

1. LG Düsseldorf und OLG Düsseldorf: Konflikt um die Fortgeltung des fliegenden Gerichtsstands

LG Düsseldorf: Fortgeltung des fliegenden Gerichtsstands

Das LG Düsseldorf entschied in seinem Beschluss vom 15. Januar 2021 (Az. 38 O 3/21), dass der fliegende Gerichtsstand bei Wettbewerbsverstößen im Internet weiterhin gilt. Es argumentierte, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG nur dann greife, wenn der Verstoß spezifisch an Handlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpfe. Das Gericht erklärte:

„Der Ausnahmetatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG umfasst entgegen seines (insoweit missverständlichen) Wortlauts nicht jedes unlautere Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien, sondern ist seinem Sinn und Zweck nach beschränkt auf solche Zuwiderhandlungen, bei denen der geltend gemachte Rechtsverstoß tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpft.“

Das LG Düsseldorf stellte fest, dass der Gesetzgeber bewusst die ursprüngliche vollständige Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands aufgegeben habe und stattdessen eine eingeschränkte Regelung einführen wollte, um Missbrauch bei Abmahnungen zu verhindern.

OLG Düsseldorf: Widerspruch zur Entscheidung des LG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung des LG Düsseldorf mit Beschluss vom 16. Februar 2021 (Az. I-20 W 11/21) auf. Es vertrat die Auffassung, dass der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG keinen Raum für eine teleologische Reduktion lasse. Das OLG führte aus:

„Die Vorschrift ist eindeutig formuliert und sieht den Ausschluss des fliegenden Gerichtsstands für alle Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien vor, unabhängig davon, ob es sich um spezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten handelt.“

LG Düsseldorf bleibt bei seiner Ansicht

In einem weiteren Beschluss vom 26. Februar 2021 (Az. 38 O 19/21) hielt das LG Düsseldorf an seiner ursprünglichen Auffassung fest und widersprach damit erneut dem OLG Düsseldorf. Es argumentierte, dass der Gesetzgeber die Regelung bewusst offen formuliert habe, um Raum für eine differenzierte Auslegung zu lassen.

2. LG Frankfurt und OLG Frankfurt: Uneinigkeit innerhalb eines Gerichtsbezirks

LG Frankfurt (3. Kammer): Unterstützung der Ansicht des LG Düsseldorf

Das LG Frankfurt (3. Kammer) schloss sich der Argumentation des LG Düsseldorf an. In seinem Urteil vom 11. Mai 2021 (Az. 3-06 O 14/21) führte es aus:

„Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG ist dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass sie nur bei Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien Anwendung findet.“

Das Gericht begründete dies mit der Gesetzgebungshistorie, die darauf hindeute, dass der Gesetzgeber den fliegenden Gerichtsstand nur in spezifischen Missbrauchsfällen einschränken wollte.

OLG Frankfurt bestätigt diese Ansicht

Das OLG Frankfurt bestätigte diese Entscheidung in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2021 (Az. 6 W 83/21) und betonte die Notwendigkeit einer differenzierten Auslegung.

LG Frankfurt (2. Kammer): Abweichende Ansicht

Die 2. Kammer des LG Frankfurt vertrat jedoch die Auffassung, dass der fliegende Gerichtsstand bei allen Internetverstößen ausgeschlossen sei. In ihrem Beschluss erklärte sie:

„Eine teleologische Reduktion der Vorschrift kommt nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat bewusst eine klare Regelung geschaffen, die für alle Verstöße im elektronischen Geschäftsverkehr gilt.“

3. LG München: Differenzierte Auslegung

Das LG München schloss sich zunächst der restriktiven Auslegung des OLG Düsseldorf an. In seinem Beschluss vom 2. Juni 2021 (Az. 1 HK O 4892/21) erklärte es, dass der fliegende Gerichtsstand bei Verstößen im Internet grundsätzlich ausgeschlossen sei.

In einer späteren Entscheidung nahm das LG München jedoch eine differenziertere Haltung ein. Es entschied, dass der fliegende Gerichtsstand bei Verstößen, die sowohl online als auch offline begangen werden, weiterhin gelten könne:

„Bei medienübergreifenden Verstößen bleibt der fliegende Gerichtsstand bestehen, da das Missbrauchspotenzial hier nicht gegeben ist.“

4. LG Hamburg und OLG Hamburg: Einschränkende Auslegung

Das LG Hamburg entschied zunächst, dass der fliegende Gerichtsstand nur bei Verstößen gegen spezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten ausgeschlossen sei (Beschluss vom 26. August 2021, Az. 327 O 214/21).

Das OLG Hamburg fügte in seinem Urteil vom 7. September 2023 (Az. 5 U 65/22) eine weitere Differenzierung hinzu. Es erklärte:

„Die Beschränkung des fliegenden Gerichtsstands greift nur in Fällen, in denen ein massenhaftes Vorgehen mit besonderem Missbrauchspotenzial zu befürchten ist.“

5. LG Stuttgart: Klare Abgrenzung

Das LG Stuttgart entschied am 27. Oktober 2021 (Az. 11 O 486/21), dass der fliegende Gerichtsstand bei rein virtuellen Verstößen ausgeschlossen sei. Es stellte jedoch fest, dass bei medienübergreifenden Verstößen eine differenzierte Auslegung geboten sei:

„Die Neuregelung des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG ist auf rein virtuelle Verstöße beschränkt. Bei Verstößen, die sowohl online als auch offline begangen werden, bleibt der fliegende Gerichtsstand anwendbar.“

Fazit

Die Rechtsprechung zum fliegenden Gerichtsstand ist uneinheitlich und von regionalen Unterschieden geprägt. Während einige Gerichte eine restriktive Auslegung vertreten und den fliegenden Gerichtsstand bei Internetverstößen grundsätzlich ausschließen, plädieren andere für eine differenzierte Anwendung, die sich auf spezifische Verstoßarten beschränkt. Unternehmen sollten diese Uneinheitlichkeit bei der Planung von Rechtsstreitigkeiten berücksichtigen und sich rechtlich beraten lassen, um die bestmögliche Strategie zu entwickeln.

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