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Fliegender Gerichtsstand im UWG: Einschränkung nur bei Missbrauchsgefahr

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Der sogenannte fliegende Gerichtsstand ist ein juristischer Dauerbrenner im Wettbewerbsrecht – geliebt von Anspruchsstellern, gefürchtet von Beklagten. Er ermöglicht es, Gerichte an jedem „Erfolgsort“ eines Wettbewerbsverstoßes anzurufen – bei Online-Verstößen bedeutet das: bundesweit. Doch gerade in Zeiten zunehmender Abmahnpraxis und digitaler Massenverfahren stellt sich die Frage: Wie weit darf das gehen?
Mit der Entscheidung des OLG Hamburg (Beschl. v. 22.05.2025 – 5 W 10/25) wurde nun deutlich gemacht: Nur bei Missbrauchsgefahr greift die neue Ausnahme vom fliegenden Gerichtsstand. Der Beitrag erläutert diese Entscheidung und ordnet sie rechtlich ein.

Gesetzlicher Rahmen: Was regelt § 14 UWG?

Die alte Rechtslage

Traditionell erlaubt § 14 Abs. 2 UWG, dass der Kläger bei Wettbewerbsverstößen zwischen mehreren Gerichtsständen wählen kann – darunter auch der sogenannte Erfolgsort (§ 32 ZPO). In der Praxis war dies meist Hamburg oder München, weil diese Gerichte eine hohe Spezialisierung auf UWG-Verfahren aufweisen.

Die Neuregelung

Mit der UWG-Reform 2024 wurde § 14 Abs. 2 UWG an das neue Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) angepasst. Dabei wurde der Begriff „Telemedien“ ersetzt durch „digitale Dienste nach § 1 Abs. 4 Nr. 1 DDG“.
Das Ziel war rein redaktionell: eine sprachliche Angleichung an den europäischen Digital Services Act (DSA). Der Gesetzgeber wollte keine inhaltliche Neuausrichtung der Zuständigkeitsregelungen.

Der Fall: Irreführende Testergebnisse und ein Online-Artikel

Die Antragstellerin beantragte im Eilverfahren, dass ein Artikel der Berliner Morgenpost offline genommen wird. Der Grund: Die Testergebnisse zu Matratzen seien irreführend, also ein Wettbewerbsverstoß gem. §§ 5, 5a UWG.

Zuständigkeitsort war aus Sicht der Antragstellerin das LG Hamburg – ein häufiger Anlaufpunkt bei Online-Verstößen.

Doch das Landgericht lehnte die Zuständigkeit ab: Der Artikel sei nicht speziell auf Hamburg bezogen, Hamburg somit kein Erfolgsort.

Die Antragstellerin legte Beschwerde ein – und bekam Recht.

Die Entscheidung des OLG Hamburg vom 22.05.2025 (Az. 5 W 10/25)

Hamburg ist Erfolgsort – bei Online-Verstößen bundesweit

Das OLG stellte klar: Bei Online-Veröffentlichungen ist jeder Ort, an dem die Seite abgerufen werden kann, ein potenzieller Erfolgsort. Die bloße Tatsache, dass ein Artikel in Hamburg abrufbar ist, reicht für die örtliche Zuständigkeit aus.

Kein Ausschluss nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG

Zwar sieht § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG eine Einschränkung des Gerichtsstandwahlrechts vor – jedoch nur bei Missbrauchsgefahr durch massenhaftes Vorgehen. Das OLG Hamburg stellte fest:

„Die besondere Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens ist vorliegend nicht gegeben.“

Denn es ging hier nicht um eine Abmahnwelle, sondern um die rechtliche Beurteilung eines einzelnen Artikels.

Bedeutung der Gesetzesänderung: Kein Paradigmenwechsel

Die Änderung des Gesetzes (Ersetzung von „Telemedien“ durch „digitale Dienste“) ist laut dem OLG nur redaktioneller Natur. Die grundsätzliche Möglichkeit, den Erfolgsort zu wählen, bleibt bestehen:

„Diese redaktionelle Folgeänderung führt zu keiner anderen Auslegung.“

Praktische Auswirkungen für Wettbewerbsverfahren

Der fliegende Gerichtsstand lebt weiter – mit Einschränkungen

Die Möglichkeit, bei Online-Wettbewerbsverstößen den Ort der Klage selbst zu wählen, bleibt grundsätzlich bestehen. Die Rechtsprechung knüpft das Wahlrecht allerdings an eine Bedingung: Es darf keine Missbrauchsgefahr bestehen – etwa durch serienhafte Abmahnungen, massenhafte Unterlassungsanträge oder reine „Abmahnindustrie“.

Einzelfallprüfung bleibt entscheidend

Die Entscheidung stärkt die Einzelfallbetrachtung. Kläger müssen darlegen, dass ihr Vorgehen nicht Teil einer Massenstrategie ist. Das OLG Hamburg bezieht sich hier auch auf eigene frühere Rechtsprechung (z.B. 5 U 65/22 und 3 U 78/23).

Keine automatische Sperre für Online-Fälle

Ein reiner Online-Verstoß genügt nicht, um das Wahlrecht einzuschränken. Die digitale Veröffentlichung allein rechtfertigt keine automatische Einschränkung des Gerichtsstandes.

Fazit: Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Die Entscheidung des OLG Hamburg ist ein klares Signal an Abmahner und Gerichte: Der fliegende Gerichtsstand bleibt auch weiter erhalten – aber nur bei redlichem Vorgehen. Wer strategisch klagt und Gerichte mit Massenanträgen beschäftigt, verliert das Wahlrecht.

Für Unternehmen bedeutet das:

  • Einzelfälle mit Substanz können weiterhin an spezialisierten Gerichtsstandorten wie Hamburg verhandelt werden.
  • Missbrauch wird eingegrenzt, ohne legitime Klagen zu blockieren.
  • Die Reform des UWG hat keinen grundsätzlichen Kurswechsel gebracht – sie ist eine Folge der Umsetzung des europäischen Digital Services Act.

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