Zum Hauptinhalt springen

Facebook-Scraping Schadensersatz

| Rechtsanwalt Frank Weiß

In Zeiten, in denen Datenlecks zum Alltag digitaler Kommunikation gehören, gewinnt die Frage nach dem Ausgleich immaterieller Datenschutzschäden zunehmend an Bedeutung. Mit einem Hinweisbeschluss vom 9. Januar 2025 (Az. 5 U 173/23) hat das Oberlandesgericht Celle (Beschl. 09.012025 - Az.: 5 U 173/23) eine besonders praxisrelevante und richtungsweisende Klarstellung getroffen: Schon der bloße Kontrollverlust über personenbezogene Daten, wie er etwa im Rahmen des Facebook-Scrapings stattgefunden hat, ist als immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO zu qualifizieren und rechtfertigt einen Regel-Schadensersatz i.H.v. 100 Euro.

Was zunächst wie eine Bagatelle wirken mag, hat das Potenzial, die Rechtswirklichkeit in Massenschadensverfahren dauerhaft zu verändern. Der vorliegende Beitrag beleuchtet ausführlich den zugrundeliegenden Sachverhalt, analysiert die dogmatische Herleitung, die Entscheidungsgründe sowie deren praktische und prozessuale Auswirkungen.

I. Sachverhalt: Facebook-Datenleck und Scraping-Vorfälle

Im Jahr 2021 wurden weltweit mehr als 533 Millionen personenbezogene Datensätze von Facebook-Nutzern durch ein sogenanntes "Scraping" abgegriffen und öffentlich gemacht. Die Daten stammten aus den Jahren 2018 bis 2019 und wurden von Dritten durch automatisiertes Auslesen (Scraping) von öffentlich einsehbaren Facebook-Profilen erhoben. Enthalten waren unter anderem:

  • Namen,
  • Telefonnummern,
  • Geburtsdaten,
  • Wohnorte,
  • E-Mail-Adressen,
  • biografische Angaben.

Viele Nutzer hatten nie ihre ausdrückliche Einwilligung zur Übermittlung oder Öffnung dieser Daten gegeben. Damit war für Millionen Betroffene ein massiver Kontrollverlust über ihre eigenen personenbezogenen Daten eingetreten. Die Daten wurden teilweise über Telegram-Bots oder in Hackerforen angeboten. Die Verantwortlichkeit wurde Facebook (jetzt Meta) zugeschrieben, da die Plattform keine ausreichenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen getroffen hatte, um ein solches Scraping zu verhindern.

Zahlreiche Nutzer strengten infolgedessen Klagen nach Art. 82 DSGVO an, um immateriellen Schadensersatz wegen Kontrollverlusts über ihre Daten zu verlangen. Dabei waren die Erfolgsaussichten zunächst unklar. Viele erstinstanzliche Gerichte lehnten Entschädigungen ab, weil kein konkreter Schaden (z. B. finanzielle Nachteile oder psychische Belastungen) nachgewiesen wurde.

Ein Kurswechsel kam mit dem Grundsatzurteil des BGH vom 18.11.2024 (VI ZR 97/22), der feststellte, dass der Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten als solcher bereits ein immaterieller Schaden ist.

II. Der Hinweisbeschluss des OLG Celle vom 09.01.2025 (Az. 5 U 173/23)

Das OLG Celle nahm den Faden des BGH auf und konkretisierte dessen Auslegung für die Praxis. In seinem Hinweisbeschluss legte der Senat dar:

Der objektive Kontrollverlust als immaterieller Schaden:

Das OLG bejaht klar, dass bereits der bloße Verlust der Datenkontrolle einen zu ersetzenden immateriellen Schaden darstellt. Das Gericht verweist ausdrücklich auf die Rn. 31 des BGH-Urteils, wonach es keiner besonderen subjektiven Betroffenheit bedarf:

"Der bloße objektive Kontrollverlust stellt bereits einen immateriellen Schaden dar und es bedarf keiner sich daraus entwickelnden besonderen Befürchtungen oder Ängste."

Pauschale Entschädigungssumme von 100 Euro:

Das OLG legt sich auf eine einheitliche Schadenssumme fest, die auch ohne weitere Darlegung ausgeurteilt werden kann. Diese Bewertung stützt es auf Rn. 99 und 100 des BGH-Urteils:

"Für den bloßen Kontrollverlust als solchen würde der Senat nach Maßgabe seines derzeitigen Beratungsstandes einen immateriellen Schaden in Höhe von 100 € als angemessen ansehen."

Mit eingeschlossen in dieser Summe seien auch "Unannehmlichkeiten", die für jedermann mit einem solchen Kontrollverlust verbunden sind. Hierunter versteht das OLG allgemeine Verunsicherung, Ärger, Vertrauensverlust u.Ä.

Höherer Schadensersatz bei besonderen psychischen Folgen:

In Einzelfällen sei ein höherer Schadensersatz möglich, sofern die betroffene Person nachvollziehbar und konkret psychische Folgeerscheinungen wie etwa Ängste, Depressionen oder soziale Isolation darlegen kann. Als Beispiel wird ein Fall (Az. 5 U 262/24) genannt, in dem die Klägerin von Angstzuständen berichtete und in ärztlicher Behandlung war. Hier habe das Landgericht Hannover 500 € zugesprochen.

Das OLG weist darauf hin, dass diese psychischen Belastungen über das "allgemeine Unwohlsein" hinausgehen müssen. Im Streitfalle sei die Klagepartei anzuhören (§ 141 ZPO), und gegebenenfalls seien medizinische Gutachten in Erwägung zu ziehen.

III. Prozessuale Hinweise und Risiken: Die Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO

Besonders bemerkenswert ist, dass das OLG Celle auch explizit die Rolle der anwaltlichen Vertretung thematisiert. In Fällen, in denen Betroffene subjektive psychische Folgeerscheinungen schriftsätzlich behaupten, die sich im Prozess als unwahr herausstellen, könne dies Konsequenzen haben:

"Ein bewusster Verstoß gegen das zivilprozessuale Wahrheitsgebot gem. § 138 Abs. 1 ZPO kann eine Straftat darstellen."

Darüber hinaus erwägt das OLG die Anwendung von § 96 ZPO, also die Auferlegung der Kosten für eine Anhörung auf die Partei, die unrichtige Angaben gemacht hat. Diese Hinweise richten sich insbesondere an Kanzleien, die im Rahmen von Massenschadensklagen standardisierte Anträge mit pauschalierten Behauptungen stellen.

IV. Bewertung und Einordnung: Was bedeutet das für die Praxis?

Die Entscheidung des OLG Celle markiert eine Zäsur im Umgang mit immateriellen Datenschutzschäden. Die Anerkennung des objektiven Kontrollverlusts als eigenständigen Schaden ohne weitere Darlegung subjektiver Leidensfolgen ist aus Sicht des Datenschutzrechts ein bedeutender Fortschritt im Sinne des effektiven Grundrechtsschutzes.

Zugleich signalisiert das Gericht aber auch klare Grenzen für pauschalisierende Klagestrategien:

  • 100 € können pauschal zugesprochen werden,
  • alles darüber hinaus muss gut begründet und belegt werden,
  • unwahre Angaben können strafrechtliche Relevanz entfalten.

V. Fazit: DSGVO-Schadensersatz neu gedacht

Der Beschluss des OLG Celle ist mehr als eine Orientierungshilfe – er ist ein neuer rechtlicher Standard im Umgang mit Massendatenlecks wie Facebook-Scraping. Mit klaren Leitlinien zur Schadenshöhe, strikter Bindung an die Wahrheitspflicht und einem differenzierten Schadensverständnis setzt das Gericht ein starkes Zeichen für einen verhältnismäßigen, aber effektiven Datenschutz-Ausgleich.

Für Betroffene bedeutet dies: Wer von einem Datenleck betroffen ist, hat Anspruch auf 100 € –allein aufgrund des Kontrollverlusts.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Im Zeitalter digitaler Bewertungen auf Plattformen wie Google, Jameda, Kununu oder Trustpilot ist der gute Ruf eines Unternehmens oder Freiberuflers angreifbarer denn je. Negative…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Warum ist das Thema „Trennungsgebot im Werberecht“ aktuell und relevant? Das Werberecht erlebt durch die Digitalisierung der Medienwelt eine regelrechte Renaissance. Nie zuvor wu…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten des digitalen Handels steht eines fest: Wer günstiger ist, gewinnt. Das gilt auch – und besonders – für den Arzneimittelmarkt. Gerade Apotheken achten beim Einkauf versc…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die Werbung mit prominenten Gesichtern kann extrem wirksam sein – aber auch gefährlich, wenn sie ohne Erlaubnis erfolgt. Das hat das Landgericht Köln mit seinem Urteil zur Testimo…