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Exzessiver DSGVO-Auskunftsanspruch

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat die Rechte von Betroffenen erheblich gestärkt – auch im Arbeitsverhältnis. Einer der zentralen Pfeiler ist dabei das Recht auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO. Doch was passiert, wenn ein ehemaliger Arbeitnehmer von diesem Recht in sehr weitreichender Weise Gebrauch macht – etwa um hunderte Dokumente, E-Mails und Notizen zu sich zu erhalten? Kann ein Arbeitgeber dies ablehnen mit dem Argument, das sei „exzessiv“ oder gar „rechtsmissbräuchlich“?

Mit dieser spannenden Konstellation hatte sich das OLG Nürnberg (Urt. v. 29.11.2023 – 4 U 347/21) zu beschäftigen – und fällte ein Urteil, das Betroffene stärken und Arbeitgeber zum Umdenken zwingen dürfte.

Der Sachverhalt – Was ist passiert?

Der Kläger war über viele Jahre hinweg bei der beklagten Firma beschäftigt – zuletzt sogar in einer herausgehobenen Stellung als Vorstandsmitglied. Nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen machte er einen umfangreichen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO geltend.

Was wollte der Kläger genau wissen?

Der Kläger forderte umfassende Auskunft über sämtliche personenbezogenen Daten, die das Unternehmen zu seiner Person gespeichert hatte. Dabei ging es ihm ausdrücklich nicht nur um die Daten im zentralen Stammsystem, sondern insbesondere auch um:

  • E-Mail-Verläufe,
  • Protokolle von Vorstandssitzungen,
  • interne Notizen,
  • mögliche Korrespondenz mit Dritten,
  • Metadaten und Verarbeitungshistorien.

Der Arbeitgeber hingegen erfüllte das Auskunftsbegehren nur rudimentär: Er stellte ausschließlich Informationen aus dem Stammsystem zur Verfügung und lehnte eine weitergehende Prüfung mit der Begründung ab, der Antrag sei „exzessiv“ und damit „rechtsmissbräuchlich“.

Das Unternehmen verwies dabei auf den enormen organisatorischen und technischen Aufwand, den die vollständige Durchsuchung und Aufbereitung aller denkbaren Datensätze verursachen würde – zumal es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter handelte, bei dem kein aktives Beschäftigungsverhältnis mehr bestehe.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg – Klare Kante pro Datenschutzrecht

1. Kein Rechtsmissbrauch trotz erheblichen Umfangs

Das OLG Nürnberg entschied: Allein der Umfang des Auskunftsbegehrens macht es nicht exzessiv oder missbräuchlich. Der Maßstab ist klar: Es ist allein auf die gesetzlichen Voraussetzungen in Art. 15 DSGVO abzustellen.

Wörtlich führt das Gericht aus:

„Dies gilt auch, wenn die Auskunft gem. Art. 15 DSGVO beim Verantwortlichen sehr viel Aufwand verursacht, da der Aufwand des Verantwortlichen für Art. 15 DSGVO keine Rolle spielt …“

Bedeutung: Unternehmen können sich nicht darauf berufen, dass die Auskunft zu arbeitsintensiv sei – das Gesetz kennt diesen Einwand nicht. Der Schutz der personenbezogenen Daten und das Transparenzprinzip stehen im Vordergrund.

2. Das Motiv des Klägers ist irrelevant

Die Beklagte argumentierte weiter, dass der Kläger die Auskunft „nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen“, sondern aus prozessstrategischen Motiven beantrage – etwa, um Daten für eine Parallelklage vor einem anderen Gericht zu nutzen.

Das OLG wies diesen Einwand mit Nachdruck zurück:

„Nach Wortlaut und Zweck von Art. 12 Abs. 5 S. 1, Art. 15 DSGVO liegt kein Missbrauch vor, wenn ein Betroffener das Auskunftsrecht (auch) für datenschutzfremde Motive verwendet …“

Bedeutung: Auch wenn ein ehemaliger Arbeitnehmer Auskunft verlangt, um eine Kündigungsschutzklage vorzubereiten oder Vergleichsverhandlungen zu stärken, ist das rechtlich unproblematisch. Das Gesetz macht keine Vorgaben zu den Beweggründen des Antragstellers – und Gerichte dürfen diese ebenfalls nicht prüfen.

3. Nicht jede Weite ist „exzessiv“ im Sinne der DSGVO

Der Arbeitgeber berief sich auf Art. 12 Abs. 5 DSGVO, wonach ein „offenkundig unbegründeter oder exzessiver Antrag“ abgelehnt werden kann. Das Gericht präzisierte jedoch:

  • Die Schwelle für „Exzessivität“ sei hoch.
  • Ein Antrag ist nicht exzessiv, nur weil er umfassend ist.
  • Erst mehrfache Wiederholungen oder sinnentleerte Anfragen können als missbräuchlich eingestuft werden.

Im vorliegenden Fall handelte es sich aber um den ersten Auskunftsantrag überhaupt – damit war eine solche Schwelle nicht erreicht.

4. Zumutbarkeit für den Verantwortlichen nicht entscheidend

Ein Kernaspekt des Urteils: Das Gericht stellte klar, dass die zumutbare Belastung für den Arbeitgeber keine Rolle spielt. Mit anderen Worten:

„Ob die Beantwortung der Anfrage viel Arbeit, Zeit oder Geld kostet, ist für die Zulässigkeit nicht relevant.“

Das folgt direkt aus dem Schutzgedanken der DSGVO: Der Betroffene hat einen Anspruch auf volle Transparenz – nicht nur solange es dem Unternehmen passt.

Praxishinweis für Arbeitgeber

Die Entscheidung hat gravierende Auswirkungen für Arbeitgeber:

  • Datenschutzprozesse müssen DSGVO-konform organisiert sein.
  • Eine vollständige Dokumentation und strukturierte Datenhaltung wird wichtiger denn je.
  • Standardisierte Verfahren zur Bearbeitung von Art. 15 DSGVO-Anträgen sind dringend anzuraten.
  • Es empfiehlt sich, Ressourcen, Systeme und Schulungen vorzuhalten, um eine rasche, vollständige und rechtssichere Auskunft geben zu können.

Fazit: Kein Auskunftsanspruch ist zu groß – aber das System muss vorbereitet sein

Das OLG Nürnberg hat ein wichtiges Signal gesetzt: Die Rechte von Betroffenen dürfen nicht durch organisatorische Hürden ausgehöhlt werden. Selbst wenn ein Auskunftsbegehren „exzessiv erscheint“, ist es aus rechtlicher Sicht in aller Regel nicht rechtsmissbräuchlich, sondern ein zulässiges Mittel der Informationsbeschaffung im datenschutzrechtlichen Sinne.

Für Arbeitgeber heißt das: Vorbereitung ist Pflicht. Denn die DSGVO nimmt auch bei aufwendigen Konstellationen keine Rücksicht – und das ist gut so: Transparenz, Kontrolle und Nachvollziehbarkeit sind zentrale Prinzipien der modernen Datenverarbeitung.

Wenn Sie Beratung benötigen zur praktischen Umsetzung von DSGVO-Auskunftspflichten oder zur Verteidigung gegen überbordende Forderungen: Unsere Kanzlei unterstützt Sie kompetent und rechtssicher.

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