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Expressversand darf nicht voreingestellt sein

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Was auf den ersten Blick harmlos wirkt, kann rechtlich brisant sein: Ein Online-Shop bietet seinen Kunden eine teurere Versandoption automatisch an – wer sparen will, muss selbst aktiv werden. Genau das hat der bekannte Händler PEARL praktiziert. Das Landgericht Freiburg hat dieser Praxis mit Urteil vom 16.06.2023 (Az. 12 O 57/22 KfH) nun eine klare Absage erteilt. Der Fall zeigt: Transparenz im Onlinehandel ist mehr als ein Lippenbekenntnis – sie ist gesetzlich verpflichtend.

Was war geschehen?

Im Onlineshop der PEARL GmbH war beim Bestellvorgang standardmäßig der kostenpflichtige Express-Versand voreingestellt. Wer lediglich den Standardversand – also die kostengünstigere Option – nutzen wollte, musste diese aktiv auswählen. Der Expresszuschlag wurde dabei nicht sofort deutlich, sondern erst am Ende des Bestellvorgangs ausgewiesen.

Ein klassischer Opt-Out-Mechanismus, der den Verbraucher durch Inaktivität in eine teurere Leistung manövriert. Das Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sah darin einen Wettbewerbsverstoß – und klagte mit Erfolg.

Die Entscheidung des LG Freiburg – Klare Worte zum Verbraucherschutz

Das Landgericht Freiburg im Breisgau stellte unmissverständlich klar:

„Nach § 312a Abs. 3 Satz 2 BGB darf im elektronischen Geschäftsverkehr der Unternehmer die Zahlungsvereinbarung über eine Nebenleistung nicht durch eine Voreinstellung herbeiführen.“

Anders ausgedrückt: Verbraucher dürfen nicht durch Untätigkeit (opt-out) zu kostenpflichtigen Zusatzleistungen verpflichtet werden. Eine aktive Zustimmung (opt-in) ist erforderlich.

Kein Raum für Ausnahmen

Besonders deutlich wurde das Gericht bei der Frage, ob PEARL durch Transparenz punkten könne. Das Unternehmen hatte argumentiert, der Bestellvorgang sei ausreichend klar und verständlich gestaltet gewesen. Doch das LG Freiburg erteilte auch dieser Verteidigung eine klare Absage:

  • Die Vorschrift des § 312a Abs. 3 BGB sei eindeutig.
  • Eine einschränkende Auslegung, wie von PEARL gefordert, komme nicht in Betracht.
  • Auch die Aufmachung der Preisgestaltung sei nicht wirklich transparent.

Denn: Der angezeigte Produktpreis lautete auf 111,99 Euro – ebenso wie die „Gesamtsumme“. Der Expresszuschlag tauchte erst später im Bestellprozess auf. Ein durchschnittlicher Verbraucher könne diesen leicht übersehen, so das Gericht.

Was sagt § 312a Abs. 3 BGB genau?

Der Gesetzestext ist klar und sollte in diesem Zusammenhang wörtlich zitiert werden:

„Eine Vereinbarung, die auf eine über das vereinbarte Entgelt für die Hauptleistung hinausgehende Zahlung des Verbrauchers gerichtet ist, kann ein Unternehmer mit einem Verbraucher nur ausdrücklich treffen. Schließen der Unternehmer und der Verbraucher einen Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr, wird eine solche Vereinbarung nur Vertragsbestandteil, wenn der Unternehmer die Vereinbarung nicht durch eine Voreinstellung herbeiführt.“

Damit schützt das Gesetz Verbraucher vor ungewollten Zusatzkosten, insbesondere durch psychologisch geschickt platzierte Einstellungen im Bestellprozess.

Wettbewerbsrechtlicher Hintergrund

Die Entscheidung stützt sich nicht nur auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), sondern auch auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer gesetzliche Vorschriften verletzt, die dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. § 312a Abs. 3 BGB zählt genau zu diesen verbraucherschützenden Normen – und damit ist eine Voreinstellung für kostenpflichtige Zusatzleistungen wettbewerbswidrig.

Was bedeutet die Entscheidung für Onlinehändler?

Die Folgen des Urteils sind klar und praxisrelevant:

  • Express-Versand darf nicht voreingestellt sein.
  • Der Kunde muss sich aktiv für eine kostenpflichtige Zusatzleistung entscheiden.
  • Transparenz allein genügt nicht, wenn durch die Gestaltung irreführende Effekte entstehen.
  • Unfaire Opt-Out-Mechanismen können als wettbewerbswidrig abgemahnt werden.

Kritik an der Opt-Out-Praxis – Verbraucherrecht im Fokus

Gerade im digitalen Zeitalter, in dem Kaufentscheidungen oft binnen Sekunden getroffen werden, ist es besonders wichtig, dass Verbraucher nicht durch versteckte Zusatzkosten oder vermeintlich bequeme Voreinstellungen getäuscht werden.

Die Praxis von PEARL reiht sich ein in eine lange Liste von Fällen, in denen Händler versuchen, durch „smarte“ Usability-Gestaltung zusätzliche Umsätze zu generieren – zu Lasten der Klarheit und Fairness.

Unsere Einschätzung als Kanzlei

Die Entscheidung des LG Freiburg ist rechtlich überzeugend und dogmatisch sauber hergeleitet. Sie betont die strikte Anwendung des § 312a Abs. 3 BGB – ohne Spielraum für Ausnahmen durch „Transparenzbehauptungen“ seitens der Anbieter.

Für Händler bedeutet das:

  • Wer Zusatzleistungen anbieten möchte, muss dies über ein aktives Auswahlfeld tun.
  • Opt-Out-Lösungen sind nicht zulässig, selbst wenn sie auf den ersten Blick transparent erscheinen.

Für Verbraucher bedeutet das:

  • Sie genießen mehr Schutz im digitalen Geschäftsverkehr.
  • Sie sollen nicht durch kognitive Überforderung oder Nachlässigkeit zur Zahlung gedrängt werden.

Fazit: Kein Platz für „versteckte“ Zusatzkosten im E-Commerce

Das Urteil des LG Freiburg hat Signalwirkung. Es macht klar: Im Onlinehandel gilt das Prinzip der aktiven Zustimmung. Der Trend zur Monetarisierung über voreingestellte Zusatzleistungen verstößt gegen geltendes Verbraucherrecht – und stellt eine unzumutbare Belastung für Käufer dar.

Online-Händler tun gut daran, ihre Checkout-Prozesse jetzt zu überprüfen. Wer weiterhin auf Opt-Out setzt, riskiert nicht nur eine Abmahnung, sondern auch einen deutlichen Reputationsschaden.

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