EuGH bestätigt Haftung von Lieferanten als Quasi-Hersteller

Haftung bei fehlerhaften Produkten: Auch Lieferanten betroffen
Wer fehlerhafte Produkte in den Verkehr bringt, muss auch für diese einstehen. Nach der europäischen Produkthaftungsrichtlinie haftet nicht nur der tatsächliche Hersteller des Produkts, sondern auch Personen oder Unternehmen, die ihren Namen oder andere Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringen und so den Anschein erwecken, am Produktionsprozess beteiligt gewesen zu sein. Nun hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass diese strenge Haftung als „Quasi-Hersteller“ auch Lieferanten treffen kann, wenn diese mit dem Hersteller den Namen teilen.
Hintergrund: Schadensersatzklage gegen Ford-Vertriebsgesellschaft
Im Jahr 2001 hatte ein italienischer Verbraucher ein Fahrzeug der Marke Ford von einer in Italien ansässigen Vertragshändlerin der Marke erworben. Dieses Fahrzeug war von einer in Deutschland ansässigen Ford-Gesellschaft hergestellt worden. Anschließend wurde es über eine italienische Ford-Vertriebsgesellschaft (Ford Italia) an die Vertragshändlerin geliefert, welche sich in Italien befindet. Als bei einem Unfall ein Airbag des Fahrzeugs nicht funktionierte, hat der Verbraucher die Vertragshändlerin sowie Ford Italia vor den italienischen Gerichten auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Hierbei hat sich Ford Italia gegen die Klage mit dem Argument zur Wehr gesetzt, dass sie das Fahrzeug nicht hergestellt, sondern nur geliefert habe. Schließlich ist die Frage der Haftung des Lieferanten dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden. Konkret sollte geklärt werden, ob eine Haftung eines Lieferanten als „Quasi-Hersteller“ nach der Produkthaftungsrichtlinie auch dann in Betracht kommt, wenn der Lieferant weder seinen Namen noch sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt angebracht hat, aber der Lieferant einen Namen, ein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen besitzt, der bzw. das mit dem des Herstellers ganz oder teilweise übereinstimmt.
EuGH-Entscheidung: Haftung als „Quasi-Hersteller“ ohne aktive Handlung möglich
Nun hat der EuGH klargestellt, dass es für eine Haftung eines Lieferanten als „Quasi-Hersteller“ unerheblich ist, ob der Lieferant selbst physisch ein Erkennungszeichen auf diesem Produkt angebracht hat oder ob sein Name nur die vom Hersteller auf dem Produkt angebrachte Angabe (vorliegend Ford) enthält, die mit dem Namen des Herstellers übereinstimmt. Der Lieferant nutze die Übereinstimmung zwischen der in Rede stehenden Angabe und seinem eigenen Firmennamen zu seinem eigenen Vorteil, so das Gericht. So möchte er sich den Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber als den für die Qualität des Produkts Verantwortlichen präsentieren und bei ihnen ein vergleichbares Vertrauen hervorrufen, als wenn das Produkt unmittelbar vom Hersteller erlangt worden wäre. Der EuGH war demnach der Auffassung, dass die Verwendung des Erkennungszeichens in der Firmenbezeichnung ausreiche, um sich im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie als „Hersteller“ auszugeben. Nur so könne Verbraucherschutz gewährleistet werden, da andernfalls die Bedeutung des Begriffs „Hersteller“ eingeschränkt werde.
Produkthaftungsrichtlinie: EuGH erweitert die Haftung über den Wortlaut hinaus
Mit dieser Auslegung geht der EuGH über den Wortlaut der Produkthaftungsrichtlinie hinaus, denn dieser setzt für eine Einstufung als „Quasi-Hersteller“ eine aktive Handlung voraus. Es wird vom „Anbringen“ eines Namens oder Erkennungszeichens gesprochen. Hierdurch wurde bewusst das Risiko für Händler erweitert, neben den Herstellern ebenfalls verschuldensunabhängig nach der Produkthaftungsrichtlinie in Anspruch genommen zu werden.
Auswirkungen auf Lieferanten: Haftungsrisiko bei neuen Richtlinien bleibt bestehen
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Haftungsfrage bei Produkten. Insbesondere Konzern(vertriebs)gesellschaften, welche auch die Herstellerbezeichnung in ihrem Firmennamen tragen, sollten sich künftig auf eine Inanspruchnahme einstellen, auch wenn diese bislang nicht zu erwarten war. Da die neue Produkthaftungsrichtlinie, welche die aktuelle ablösen wird, derartige Sachverhalte nicht weniger streng regeln wird, kann man davon ausgehen, dass der EuGH seine verbraucherfreundliche Linie fortführen wird. Denn die Regelung zum „Quasi-Hersteller“ wurde in vergleichbarer Form in die Neufassung übernommen.
Empfehlung: Lieferanten sollten Nutzung von Herstellerkennzeichen überdenken
Wirtschaftsakteure, die Kennzeichen von Herstellern prominent in ihrem Außenauftritt nutzen, sollten sich daher auf eine Inanspruchnahme einstellen, da sie stets in die (Produkt-) Haftung genommen werden können. Diese wären gut beraten, die möglichen Konsequenzen eines solchen Falles im Vorfeld mit ihren Vertriebspartnern vertraglich zu regeln. Insbesondere sollte sich ein Lieferant die Frage stellen, wie stark er die Erkennungszeichen des Herstellers in seine eigene Firmierung und seinen eigenen Auftritt aufnehmen möchte. Auch wenn die Anpreisung des Herstellernamens verlockend ist, gilt hier nun der Grundsatz, dass es wohl am sichersten sein wird, den Herstellernamen aus der eigenen Bezeichnung herauszunehmen.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 19.12.2024, Az. C-157/23
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Produkthaftung von Lieferanten nach EuGH-Urteil
1. Können Lieferanten nach der Produkthaftungsrichtlinie haftbar gemacht werden?
Ja, der EuGH hat entschieden, dass auch Lieferanten als „Quasi-Hersteller“ haften können, wenn ihr Firmenname oder Erkennungszeichen mit dem des tatsächlichen Herstellers übereinstimmt und damit beim Verbraucher Vertrauen erzeugt wird.
2. Muss der Lieferant seinen Namen aktiv auf dem Produkt anbringen?
Nein, es reicht aus, dass der Lieferant einen Namen oder ein Zeichen verwendet, das mit dem Herstellernamen übereinstimmt. Eine aktive Anbringung auf dem Produkt ist nicht erforderlich, um als „Quasi-Hersteller“ zu gelten.
3. Welche Auswirkungen hat das EuGH-Urteil auf die neue Produkthaftungsrichtlinie?
Die neue Produkthaftungsrichtlinie wird die Haftung nicht lockern. Wirtschaftsakteure sollten damit rechnen, dass die Auslegung des EuGH künftig ebenfalls Anwendung findet und entsprechende Vorkehrungen treffen.
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