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Erstbegehungsgefahr - Alles was Sie wissen müssen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Stellen Sie sich vor, ein Konkurrent kündigt an, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, das Ihre geschützten Rechte verletzen könnte. Noch ist nichts passiert – doch die Gefahr ist real. Können Sie rechtlich einschreiten, bevor der Schaden eintritt? Genau hier kommt das Konzept der Erstbegehungsgefahr ins Spiel.

Während die Wiederholungsgefahr bereits eine frühere Rechtsverletzung voraussetzt, reicht bei der Erstbegehungsgefahr eine ernsthafte, greifbare Bedrohung aus, um rechtliche Schritte zu rechtfertigen. Doch wann ist eine solche Gefahr wirklich gegeben? Reicht es aus, wenn jemand behauptet, ein bestimmtes Recht zu haben? Wie sieht es aus, wenn ein Produkt auf einer Messe gezeigt wird oder eine Firma neu in ein Register eingetragen wird?

In diesem Beitrag beleuchten wir die verschiedenen Szenarien, in denen eine Erstbegehungsgefahr entsteht – und wann sie eben nicht vorliegt. Anhand von Praxisbeispielen, Urteilen und konkreten Kriterien zeigen wir, wie Gerichte diese Rechtsfigur bewerten und welche Rolle sie im Wettbewerbs- und Markenrecht spielt. Denn eines ist sicher: Die Grenze zwischen einer bloßen Spekulation und einer tatsächlichen rechtlichen Bedrohung ist oft schmaler, als es scheint.

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Definition & Relevanz: Die Erstbegehungsgefahr liegt vor, wenn eine rechtswidrige geschäftliche Handlung droht, aber noch nicht begangen wurde. Sie erfordert konkrete, objektive Anhaltspunkte – bloße Spekulationen reichen nicht aus.
  • Typische Fälle: Eine Erstbegehungsgefahr kann entstehen durch die öffentliche Berühmung eines Rechts, das Ausstellen eines Produkts auf einer Messe oder eine Eintragung in ein Register, wenn daraus eine rechtswidrige Handlung abgeleitet werden kann.
  • Ausräumung & rechtliche Folgen: Im Gegensatz zur Wiederholungsgefahr kann die Erstbegehungsgefahr durch eine eindeutige Erklärung oder ein gegenteiliges Verhalten ausgeräumt werden – eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ist nicht erforderlich.

 

Was versteht man unter Erstbegehungsgefahr

Die Erstbegehungsgefahr bezeichnet die ernsthafte und greifbare Gefahr, dass eine rechtswidrige geschäftliche Handlung in naher Zukunft droht. Während die Wiederholungsgefahr bereits eine begangene Rechtsverletzung voraussetzt, beruht die Erstbegehungsgefahr darauf, dass ein objektiver Anlass zu der Befürchtung besteht, dass der Unternehmer eine wettbewerbswidrige Handlung begehen wird.

BGH, Urt. v. 22.10.2010, I ZR 17/05, Tz. 23 – Pralinenform II

Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch setzt ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte voraus, dass der andere sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird.
Die die Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände müssen die drohende Verletzungshandlung so konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind.

Daraus folgt: Eine Erstbegehungsgefahr kann nicht auf bloßen Vermutungen beruhen, sondern erfordert konkrete, objektive Anhaltspunkte für eine drohende Rechtsverletzung.

1. Erstbegehungsgefahr durch Berühmung eines Rechts

Eine Erstbegehungsgefahr kann entstehen, wenn jemand öffentlich oder in einem Rechtsstreit behauptet, ein bestimmtes Recht zu haben, eine bestimmte Handlung vornehmen zu dürfen. Dies wird als „Berühmung eines Rechts“ bezeichnet.

BGH, Urt. v. 20.12.2018, I ZR 112/17, Tz. 61 – Crailsheimer Stadtblatt II

Die Verteidigung der eigenen Rechtsansicht kann erst dann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn nicht nur der eigene Standpunkt vertreten wird, sondern auch die Bereitschaft erkennbar ist, sich unmittelbar oder in naher Zukunft entsprechend zu verhalten.

Wichtig:

  • Die bloße Verteidigung einer Rechtsauffassung im Prozess begründet keine Erstbegehungsgefahr.
  • Erst wenn der Beklagte klar erkennen lässt, dass er sich auch in Zukunft so verhalten wird, kann eine Erstbegehungsgefahr entstehen.

2. Erstbegehungsgefahr durch Ausstellen auf einer Messe

Die Präsentation eines Produkts auf einer Messe kann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn sie darauf hindeutet, dass das Produkt in Deutschland verkauft werden soll.

BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 19, 21 – Keksstangen

Ob die Ausstellung eines Produkts auf einer Messe ein hinreichend konkreter Umstand für die Erwartung ist, dass der Aussteller das Produkt in naher Zukunft in Deutschland anbieten und vertreiben wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Allein die Präsentation eines Produkts auf einer Messe reicht nicht in jedem Fall für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr aus.

Daraus folgt:

  • Auf Publikumsmessen, auf denen Verbraucher die Produkte direkt kaufen oder bestellen können, spricht viel für eine Erstbegehungsgefahr.
  • Auf Fachmessen, bei denen nur Geschäftspartner anwesend sind, kann dies anders zu bewerten sein.

3. Erstbegehungsgefahr durch Eintragung in ein Register

Eine Eintragung in ein öffentliches Register kann darauf hinweisen, dass eine geschäftliche Tätigkeit in naher Zukunft beginnen wird.

Wie bei der Anmeldung eines Zeichens als Marke ist bei der Eintragung einer Gesellschaft im Partnerschaftsregister zu vermuten, dass ein Anbieten von Leistungen für den eingetragenen Geschäftszweck in naher Zukunft ebenso bevorsteht wie eine Werbung für diese Leistungen.

Daraus folgt:

  • Die Eintragung allein genügt nicht immer, aber sie kann ein starkes Indiz für eine drohende Handlung sein.

4. Erstbegehungsgefahr durch Verhalten im Ausland

Eine Rechtsverletzung im Ausland führt nicht automatisch zur Erstbegehungsgefahr für das Inland.

BGH, Urt. v. 23.2.2017, I ZR 92/16, Tz. 46 – Mart-Stam-Stuhl

Die Verletzung eines nur in einem anderen Staat gültigen Schutzrechts begründet nicht automatisch eine Erstbegehungsgefahr für eine Verletzung eines Schutzrechts in Deutschland.

Daraus folgt:

  • Wer im Ausland rechtsverletzend handelt, aber keine Anzeichen zeigt, dass er dies in Deutschland tun wird, begründet keine Erstbegehungsgefahr für Deutschland.
  • Es muss konkret belegt werden, dass das Verhalten auch in Deutschland droht.

5. Erstbegehungsgefahr durch Gesetzesänderung

Wenn eine Handlung früher erlaubt war, aber durch eine Gesetzesänderung verboten wird, entsteht nicht automatisch eine Erstbegehungsgefahr.

BGH, Urt. v. 24.7.2014, I ZR 221/12, Tz. 19 – Original Bach-Blüten

Eine Erstbegehungsgefahr durch ein in der Vergangenheit zulässiges Verhalten, das erst durch eine spätere Gesetzesänderung unzulässig geworden ist, besteht nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die eine Zuwiderhandlung in der Zukunft konkret erwarten lassen.

Daraus folgt:

  • Die Gesetzesänderung allein reicht nicht aus, wenn keine Anzeichen bestehen, dass der Unternehmer weiterhin so handeln wird.
  • Erst wenn konkrete Hinweise auf eine künftige Verletzung vorliegen, besteht Erstbegehungsgefahr.

Ausräumung der Erstbegehungsgefahr

Die Erstbegehungsgefahr kann leichter ausgeräumt werden als die Wiederholungsgefahr.

BGH, Urt. v. 4.12.2008, I ZR 94/06, Tz. 12

Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr genügt ein der Verhaltensweise, die sie begründet hat, entgegen gesetztes Verhalten („actus contrarius“).

Daraus folgt:

  • Eine eindeutige Erklärung oder ein nachweislich anderes Verhalten kann die Erstbegehungsgefahr beseitigen.
  • Es ist keine strafbewehrte Unterlassungserklärung notwendig.

Fazit: Wann besteht eine Erstbegehungsgefahr?

Eine Erstbegehungsgefahr besteht, wenn:

  • Konkrete objektive Anhaltspunkte für eine drohende Rechtsverletzung vorliegen.
  • Sich jemand ausdrücklich das Recht vorbehält, eine Handlung zu begehen (Rechtsberühmung).
  • Ein Produkt auf einer Messe oder durch eine Registereintragung für den deutschen Markt vorbereitet wird.
  • Ein früher legales Verhalten durch eine Gesetzesänderung verboten wurde und konkrete Anzeichen bestehen, dass die Handlung fortgesetzt wird.

Eine Erstbegehungsgefahr besteht nicht, wenn:

  • Die Vermutung nur auf bloßen Spekulationen beruht.
  • Ein Unternehmen sich lediglich gegen eine Klage verteidigt, ohne das Verhalten tatsächlich ausführen zu wollen.
  • Eine Handlung nur im Ausland stattgefunden hat, ohne Anzeichen für eine Umsetzung im Inland.
  • Eine Gesetzesänderung allein ohne weitere Indizien keine konkrete Gefahr begründet.

Diese Analyse zeigt, dass die Erstbegehungsgefahr nur unter konkreten, objektiven Bedingungen angenommen werden kann und nicht allein auf Vermutungen basieren darf.

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