Erschleichen einer einstweiligen Verfügung ist missbräuchlich

Einstweilige Verfügungen sind ein effektives Mittel des Eilrechtsschutzes, insbesondere im Lauterkeitsrecht. Sie dienen dazu, Wettbewerbsverstöße kurzfristig zu unterbinden, bevor ein irreparabler Schaden entsteht. Doch mit großer Macht kommt große Verantwortung: Wer das Verfahren instrumentalisiert, um sich durch bewusstes Vorenthalten relevanter Informationen einen Vorteil zu verschaffen, riskiert die Unzulässigkeit seines Begehrens.
Das zeigt die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe vom 23.05.2023 (Az. 15 O 29/23 KfH) in bemerkenswerter Deutlichkeit. Dort ging es um nicht weniger als den Versuch, eine einstweilige Verfügung durch gezieltes Verschweigen gegnerischer Einlassungen zu "erschleichen" – ein Vorgehen, das das Gericht als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8c Abs. 1 UWG einstufte.
Gesetzlicher Rahmen: § 8c UWG und die Grenzen der Rechtsverfolgung
§ 8c Abs. 1 UWG stellt klar, dass die Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche unzulässig ist, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt. Das ist dann der Fall, wenn sachfremde Ziele im Vordergrund stehen oder die Umstände der Rechtsverfolgung den Anschein erwecken, dass das Verfahren vorrangig dazu dient, Mitbewerber unbillig zu behindern.
Ein besonders gewichtiger Anwendungsfall: Der Antragsteller nutzt das Eilverfahren strategisch aus, indem er relevante Informationen unterdrückt, um eine Entscheidung ex parte, also ohne Anhörung der Gegenseite, zu erzwingen.
Der Sachverhalt: Wie der Antragsteller den Eindruck der Untätigkeit erzeugte
In dem vom LG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um zwei Parteien, die sich im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegenüberstanden. Die Antragstellerin hatte die Antragsgegnerin am 05.05.2023 wegen eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes abgemahnt und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Sie setzte eine Frist zur Reaktion bis zum 12.05.2023.
Was die Antragstellerin im anschließenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch verschwieg: Bereits am 08.05.2023 hatte der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin der Antragstellerin seine Mandatierung angezeigt. Am 12.05.2023 ging eine inhaltliche Erwiderung auf die Abmahnung bei der Antragstellerin ein. Diese Reaktion erfolgte nur geringfügig verspätet – um gerade einmal vier Stunden und 15 Minuten über die gesetzte Frist hinaus.
Am 15.05.2023 stellte die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim LG Karlsruhe. Dabei legte sie lediglich die eigene Abmahnung vom 05.05.2023 vor, nicht jedoch die Reaktion der Gegenseite. Im Gegenteil: Sie behauptete tatsachenwidrig, es sei keine inhaltliche Stellungnahme zur Abmahnung erfolgt.
Entscheidungsgründe des LG Karlsruhe: Ein klarer Fall von Rechtsmissbrauch
Das LG Karlsruhe ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten handelte.
Verletzung der Wahrheitspflicht
Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO trifft jede Partei die Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Darstellung des Sachverhalts. Diese Pflicht gilt auch und gerade im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Wer relevante Informationen verschweigt, riskiert die Ablehnung seines Antrags wegen fehlender prozessualer Voraussetzungen.
Das Gericht stellte fest, dass die Antragstellerin bewusst gegen diese Pflicht verstoßen habe. Zwar habe sie nicht explizit gelogen, doch die Behauptung, die Gegenseite habe sich nicht geäußert, war angesichts der vorliegenden Reaktion eindeutig falsch.
Vereitelung rechtlichen Gehörs
Das Gericht hob zudem hervor, dass durch das Verschweigen der gegnerischen Reaktion der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gezielt umgangen werden sollte. Das ist besonders relevant, da Eilverfahren oft ex parte, also ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Gegenseite, entschieden werden. Gerade deshalb trifft den Antragsteller eine gesteigerte Darlegungspflicht.
Das Gericht formulierte hierzu:
"Insofern kann zu berücksichtigen sein, dass der Antragsteller im auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Verfahren die Antwort des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung nicht offenlegt und auf diese Weise dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (...) vereitelt."
Differenzierte Betrachtung des Rechtsmissbrauchs
Das LG betonte, dass nicht jedes Verschweigen automatisch zum Rechtsmissbrauch führt. Es komme vielmehr auf eine Einzelfallabwägung an. Ausschlaggebend sei die Intensität des Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht:
- Am schwersten wiege das ausdrückliche Bestreiten einer Reaktion trotz Kenntnis.
- Etwas weniger gravierend sei das Unterlassen des Hinweises auf telefonische Kontakte oder eine nicht übermittelte schriftliche Stellungnahme.
Im vorliegenden Fall erkannte das Gericht eine besonders gravierende Form des Verstoßes, da bewusst der Eindruck einer Untätigkeit der Gegenseite erzeugt wurde.
Keine Bagatelle trotz Fristversäumnis
Besonders bemerkenswert: Das Gericht bewertete die geringfügige Fristüberschreitung um gut vier Stunden nicht als entscheidungserheblich. Entscheidend sei allein, dass die Stellungnahme vor Antragsstellung einging und somit der Antragstellerin bekannt war:
"Das geringfügige Überschreiten der von der Antragstellerin gesetzten Frist ist (...) nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung."
Praktische Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des LG Karlsruhe ist von erheblicher praktischer Tragweite, da sie klare Maßstäbe für die Zulässigkeit von Anträgen im einstweiligen Verfügungsverfahren aufzeigt.
Für Antragsteller:
- Offenlegungspflichten ernst nehmen: Auch geringfügig verspätete Reaktionen müssen offengelegt werden.
- Keine tatsachenwidrigen Behauptungen: Eine bewusste Irreführung kann zur Unzulässigkeit führen.
- Dokumentationspflicht: Schriftliche und mündliche Kontakte müssen dokumentiert und ggf. vorgelegt werden.
Für Antragsgegner:
- Sofortreaktion bei Eilmaßnahmen: Bei falschen Behauptungen sollte unmittelbar auf § 8c UWG verwiesen werden.
- Fristüberschreitungen begründen: Auch geringfügige Verspätungen müssen klar erläutert werden.
- Rechtliches Gehör einfordern: Die Verweigerung rechtlichen Gehörs kann die Verfügung zu Fall bringen.
Fazit: Klare Grenzen für taktisches Vorgehen im Eilrechtsschutz
Die Entscheidung des LG Karlsruhe zeigt mit großer Klarheit, dass das Eilverfahren keine "Blackbox" für taktische Winkelzüge ist. Wer das Gericht gezielt durch Weglassen von Informationen manipuliert, verliert nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern auch den Anspruch auf Rechtsschutz.
Der Fall ist ein mahnendes Beispiel dafür, dass Transparenz, Fairness und prozessuale Sorgfalt im Eilrechtsschutz oberste Priorität haben.
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