Zum Hauptinhalt springen

E-Mail-Anbieter muss bei rechtswidriger Bewertung Auskunft geben

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Bewertungen im Internet – Fluch oder Segen für Unternehmen?

Die digitale Öffentlichkeit lebt von Meinungen – ob auf Google, Jameda, Kununu oder Trustpilot. Bewertungen beeinflussen Kaufentscheidungen, Karrierewege und ganze Geschäftsmodelle. Doch während Lob im Netz zur kostenfreien Imagepflege werden kann, bergen anonyme Negativbewertungen ein erhebliches Risiko. Wie geht man juristisch vor, wenn sich hinter schwerwiegenden Vorwürfen lediglich eine E-Mail-Adresse verbirgt? Diese Frage rückte in den Mittelpunkt einer richtungsweisenden Entscheidung des Landgerichts München I (Beschluss v. 19.02.2025 – 25 O 9210/24), das sich mit der Offenlegung von Nutzerdaten durch einen E-Mail-Dienstleister – konkret: Google – befassen musste.

Der Ausgangsfall: Anonyme Kritik auf Kununu

Der Ausgangsfall spielt im bekannten Umfeld beruflicher Bewertungsplattformen. Ein Automobilunternehmen war auf Kununu anonym mit massiven Vorwürfen konfrontiert worden. In zwei Bewertungen, die öffentlich einsehbar waren, wurde unter anderem suggeriert, das Unternehmen entlasse systematisch ältere Mitarbeiter, verstoße gegen gesetzliche Vorgaben und beauftrage womöglich sogar die eigene Geschäftsleitung mit dem Schreiben positiver Bewertungen. Der Tenor war nicht nur kritisch, sondern in seiner Schärfe geeignet, dem betroffenen Unternehmen erheblichen Rufschaden zuzufügen. Zivilrechtlich und möglicherweise auch strafrechtlich stand der Vorwurf der Verleumdung im Raum.

Einzelfall ohne klare Identität: Der rechtliche Anfang

Rechtlich problematisch war jedoch nicht der Inhalt der Bewertung allein – sondern vor allem, dass die Verfasser anonym agierten. Kununu speicherte bei Registrierung lediglich die E-Mail-Adressen der Nutzer. Das Unternehmen hatte also keine greifbaren personenbezogenen Informationen – außer zweier Gmail-Adressen. Damit begann der juristische Weg zur Identifikation der Bewertenden – und führte schließlich vor das Landgericht München I.

Erste juristische Schritte: Auskunft über die Plattform

Zunächst versuchte das Unternehmen auf zivilrechtlichem Wege, von Kununu Auskunft über die Verfasser zu erhalten. Das LG München I gab dem Unternehmen in einem früheren Verfahren recht und verpflichtete die Plattform zur Herausgabe aller vorhandenen Daten. Diese bestanden ausschließlich aus den verwendeten E-Mail-Adressen. Die Bewertungen wurden in der Zwischenzeit gelöscht, doch das Unternehmen wollte Klarheit – und Konsequenzen. Eine Gmail-Adresse allein verrät jedoch keine Identität. Der nächste logische Schritt war daher ein gerichtlicher Antrag auf Herausgabe der bei Google gespeicherten Bestandsdaten – Name und Adresse der Accountinhaber.

Google verweigert die Auskunft – unter Verweis auf Datenschutz

Google lehnte das Auskunftsersuchen außergerichtlich ab. Zur Begründung verwies der Konzern auf datenschutzrechtliche Erwägungen und das Telekommunikationsgeheimnis. Zwar möge es ein nachvollziehbares Interesse an der Offenlegung geben, jedoch sei dies nicht mit den Anforderungen des TDDDG (Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz) vereinbar. Die Gmail-Adressen seien Bestandteil eines Kommunikationsdienstes, über den keine rechtsverletzenden Inhalte veröffentlicht worden seien. Damit fehle die rechtliche Grundlage für eine Offenlegungspflicht. Das Unternehmen beantragte daraufhin gerichtliche Entscheidung – und das Landgericht München I setzte mit seinem Beschluss ein deutliches Zeichen.

Die Rechtsgrundlage: § 21 TDDDG als zivilrechtlicher Auskunftsanspruch

Zentraler Prüfstein der Entscheidung war § 21 Abs. 2 und 3 TDDDG. Diese Vorschrift sieht vor, dass Anbieter digitaler Dienste verpflichtet sein können, Auskunft über Bestandsdaten ihrer Nutzer zu geben, wenn dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist. Genau an diesem Punkt nahm das Gericht eine intensive rechtliche Analyse vor. Es stellte zunächst fest, dass Google mit seinem E-Mail-Dienst eindeutig als Anbieter digitaler Dienste im Sinne des Gesetzes einzustufen ist. Die Tatsache, dass die streitgegenständlichen Bewertungen nicht über Google Mail veröffentlicht wurden, änderte daran nichts. Entscheidend sei allein, ob Google über personenbezogene Daten verfüge, die für die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs erforderlich seien – und ob diese Herausgabe verhältnismäßig sei.

Recht auf Auskunft überwiegt in diesem Fall den Datenschutz

Das Gericht bejahte beides. Es erklärte, dass ein zivilrechtlicher Anspruch durchaus vorliegen könne, insbesondere dann, wenn durch die Inhalte der Bewertungen Rechte des Unternehmens verletzt worden seien. Als betroffene Schutzgüter nannte das Gericht das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Unternehmenspersönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB. Die Bewertung sei geeignet, den sozialen Geltungsanspruch des Unternehmens in gravierender Weise zu beeinträchtigen – ein Unterlassungsanspruch stehe damit zumindest im Raum. Und um diesen Anspruch durchsetzen zu können, müsse der Gegner zunächst identifiziert werden können. Diese Identifikation sei aber nur mit Hilfe der Auskunft durch Google möglich. Die notwendige Erforderlichkeit der Maßnahme sei damit gegeben.

Ein weitreichender Auskunftsanspruch – unabhängig vom Verbreitungsweg

Besonders interessant ist die Feststellung des Gerichts, dass der Auskunftsanspruch nicht auf solche Fälle beschränkt ist, in denen der Anbieter selbst die Plattform zur Veröffentlichung der Bewertung darstellt. Das bedeutet: Es kommt nicht darauf an, ob die beanstandete Äußerung über Gmail veröffentlicht wurde, sondern allein darauf, ob der Anbieter über Bestandsdaten verfügt, die bei der Rechtsverfolgung helfen. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts könne im Einzelfall schwerer wiegen als der Datenschutz oder das Telekommunikationsgeheimnis. Diese Abwägung fiel hier zugunsten des klagenden Unternehmens aus.

Die Entscheidung: Google muss Daten herausgeben

Das Gericht verpflichtete Google daher zur Herausgabe von Name und Adresse der beiden Nutzer, die sich mit den streitgegenständlichen Gmail-Adressen bei Kununu registriert hatten. Die datenschutzrechtlichen Bedenken des Unternehmens hielt das Gericht für unbegründet – vielmehr sah es im TDDDG eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für den Anspruch. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Antragsteller auferlegt, da es sich um ein einstweiliges Auskunftsverfahren handelte, in dem die Geltendmachung von Hauptansprüchen erst noch zu klären ist. Inhaltlich aber ist das Unternehmen seinem Ziel, die Verfasser der Bewertungen zur Verantwortung zu ziehen, ein großes Stück nähergekommen.

Rechtliche Tragweite und Konsequenzen für die digitale Praxis

Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz – für Unternehmen, für Bewertungsportale und auch für Anbieter digitaler Dienste. Die juristische Realität im Netz verschiebt sich. Anonymität ist kein unantastbares Rechtsgut. Wer öffentlich in den geschäftlichen oder persönlichen Ruf eines anderen eingreift, muss damit rechnen, identifizierbar gemacht zu werden. Der Weg über eine sogenannte „Kettenauskunft“ – also die gestufte Herausgabe von Daten über verschiedene Dienste hinweg – wird durch diesen Beschluss ausdrücklich gebilligt. Es reicht künftig nicht mehr aus, sich hinter einer Gmail-Adresse zu verbergen.

Fazit: Unternehmen sind nicht schutzlos – auch nicht bei Anonymität

Für Unternehmen bedeutet das: Der rechtliche Schutz gegen rufschädigende Bewertungen wird konkret greifbar – selbst wenn der einzige Hinweis auf den Verfasser eine anonyme E-Mail-Adresse ist. Für Anwälte, die Mandanten in Reputations- und Bewertungsfragen vertreten, öffnet sich ein neuer strategischer Ansatz. Mit der richtigen juristischen Herangehensweise kann eine anonyme Online-Attacke zur identifizierten Tatsachenfrage werden – mit allen zivil- und gegebenenfalls strafrechtlichen Konsequenzen.

Und für E-Mail-Anbieter wie Google, GMX oder Outlook gilt: Sie müssen sich auf zunehmende Auskunftsanträge einstellen. Denn wo das TDDDG gilt, endet der bloße Verweis auf Datenschutz und Betriebsgeheimnis dort, wo Persönlichkeitsrechte schwer wiegend verletzt werden. Die Entscheidung des LG München I ist kein Freifahrtschein zur massenhaften Datenherausgabe – aber ein klarer Fingerzeig darauf, dass im Streitfall nicht der technische Kanal zählt, sondern das tatsächliche Schutzbedürfnis der Betroffenen.

Wer in einem öffentlichen Raum wie dem Internet spricht, sollte also bedenken, dass seine Worte – auch wenn sie anonym formuliert sind – Konsequenzen haben können. Das gilt für Privatpersonen genauso wie für ehemalige Mitarbeiter, Konkurrenten oder „Internet-Trolle“. Die Anonymität ist ein Recht – aber kein Schutzschild gegen das Gesetz.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
I. Einleitung: Greenwashing im Fokus der Justiz Wer als Unternehmen mit Begriffen wie „nachhaltig“, „klimaneutral“ oder „CO₂-neutral“ wirbt, verspricht mehr als nur ein gutes Gew…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Am 13. September 2024 hat das österreichische Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter dem Aktenzeichen W298 2274626-1/8E eine richtungsweisende Entscheidung zur datenschutzrechtlich…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Der Online-Handel mit Biozid-Produkten unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Trier (Urt. v. 25.10.2024 – Az. 7 HK O 44/24) verdeutlicht…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
1. Der Fall „Katze NÖ“ – Hintergrund und Sachverhalt Die Klägerin ist Grafikdesignerin und Illustratorin. Im Jahr 2021 entwarf sie eine stilisierte Comic-Zeichnung einer Katze, d…