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Datenschutzwidrige Auswertung dienstlicher Kommunikationsmittel

| Rechtsanwalt Frank Weiß

In Zeiten digitaler Arbeitsprozesse stellt sich zunehmend die Frage, wie weit der Zugriff von Arbeitgebern auf dienstlich bereitgestellte Kommunikationsmittel reichen darf – insbesondere dann, wenn die private Nutzung dieser Kanäle gestattet ist. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Stuttgart hat mit Urteil vom 27.01.2023 (Az.: 12 Sa 56/21) eine wegweisende Entscheidung getroffen, in der es nicht nur um die Zulässigkeit der Auswertung von WhatsApp-Nachrichten ging, sondern auch um grundsätzliche Erwägungen zum Datenschutz, zur Verhältnismäßigkeit und zur Beweisverwertung.

Der Sachverhalt im Detail

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Arbeitnehmer war langjährig bei einer international tätigen Unternehmensgruppe beschäftigt, in einer verantwortungsvollen Position mit umfassendem Zugriff auf vertrauliche Informationen. Im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses wurde ihm ein iPhone zur Verfügung gestellt. Dieses diente sowohl der dienstlichen Kommunikation als auch der Organisation beruflicher Reisen und Aufgaben.

Das Besondere: Die private Nutzung der Kommunikationsmittel war ausdrücklich gestattet. Der Arbeitnehmer nutzte daher nicht nur dienstliche E-Mails, sondern auch die installierte WhatsApp-Anwendung, SMS, die Notizen-App und andere Funktionen für private Zwecke. Im Laufe der Jahre sammelten sich auf dem Gerät:

  • Ca. 9.000 Fotos (teils privater Natur, teils Screenshots)
  • Mehr als 100 Videos
  • Fast 100 Notizen (inklusive Gedanken, Aufgaben, privaten Plänen)
  • Der vollständige Verlauf der WhatsApp-Kommunikation – inklusive Chats mit engen Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten
  • Kalendereinträge, Kontakte und Reisedokumente in der Wallet-App

Nach Aussprache einer außerordentlichen Kündigung übergab der Arbeitnehmer das iPhone an den Arbeitgeber. Dieser veranlasste eine vollumfängliche Durchsicht des Geräts. Es wurden insbesondere die WhatsApp-Nachrichten gesichtet und ausgewertet.

Einige dieser Nachrichten enthielten äußerst kritische Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber, Beschwerden über interne Abläufe und abwertende Formulierungen. Diese Kommunikation wurde vom Arbeitgeber in den arbeitsgerichtlichen Prozess eingeführt, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Parallel machte er eine Verletzung seiner Datenschutzrechte geltend und verlangte Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO.

Die Entscheidung des LAG Stuttgart

Das Landesarbeitsgericht Stuttgart befand die Auswertung der privaten Inhalte als datenschutzrechtlich unzulässig und verwertungsrechtlich unbrauchbar.

Das Gericht stellte fest:

  1. Die WhatsApp-Nachrichten unterliegen dem Schutz der Privatsphäre.
  2. Die Auswertung war unverhältnismäßig und ohne rechtliche Grundlage.
  3. Ein Beweisverwertungsverbot sei die Folge.
  4. Dem Arbeitnehmer stehe ein Schadensersatz in Höhe von 3.000 EUR zu.

Das Gericht folgte im Wesentlichen der Argumentation des Klägers: Ein Zugriff auf private Kommunikation ohne vorherige Ankündigung und ohne technische Trennung der privaten und dienstlichen Inhalte sei ein gravierender Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben.

Darüber hinaus wurden grundlegende Erwägungen zur Reichweite des Arbeitgeberzugriffs angestellt.

Die Leitsätze im Einzelnen und deren rechtliche Bedeutung

1. Verschärfte Verhältnismäßigkeitskontrolle

Der Arbeitgeber kann sich bei erlaubter Privatnutzung nicht auf eine generelle Zugriffsbefugnis berufen. Vielmehr verlangt § 26 Abs. 1 BDSG, dass die Datenverarbeitung zur Vertragsdurchführung erforderlich ist und dass eine Abwägung mit den Grundrechten des Arbeitnehmers erfolgt.

Im Ergebnis heißt das: Ein Zugriff ohne konkreten Verdacht ist unzulässig. Und selbst bei Verdachtsmomenten muss die geringstmögliche Eingriffsform gewählt werden.

2. Keine verdeckte Kontrolle

Nach Art. 5 DSGVO gelten die Grundsätze der Transparenz und Zweckbindung. Das Gericht betont: Der Arbeitnehmer muss über die geplante Datenverarbeitung rechtzeitig informiert werden und die Chance erhalten, private Inhalte zu trennen oder zu entfernen. Ein versteckter Zugriff ist unzulässig.

3. Vermutete Erlaubnis bei fehlender schriftlicher Regelung

In vielen Unternehmen wird die private Nutzung stillschweigend geduldet. Das LAG Stuttgart erkennt dies als zulässige Grundlage an und macht klar: Auch ohne ausdrückliche Regelung ist von einer Erlaubnis auszugehen, wenn die Praxis dies belegt.

4. Übertragung auf weitere Kommunikationskanäle

Wird dem Arbeitnehmer z. B. die private Nutzung von WhatsApp, SMS und Telefon gewährt, darf er redlicherweise davon ausgehen, dass dies auch für E-Mails und Notizen gilt. Ein selektives Verbot einzelner Kanäle ist ohne eindeutige Kommunikation nicht durchsetzbar.

Datenschutzrechtliche Bewertung

Verstoß gegen § 26 BDSG und Art. 5, 6, 82 DSGVO

Die Auswertung erfolgte ohne Einwilligung, ohne Verdachtslage, ohne Vorankündigung – und betraf hochpersönliche Inhalte. Damit lagen gleich mehrere Datenschutzverstöße vor:

Schadensersatz gem. Art. 82 DSGVO

Der zugesprochene Betrag von 3.000 EUR orientiert sich an den Grundsätzen der Generalprävention und Kompensation. Das Gericht folgt der Linie des BAG, wonach eine rein symbolische Entschädigung nicht ausreicht, um Datenschutz ernst zu nehmen.

Fazit

Das Urteil des LAG Stuttgart markiert eine bedeutende Weichenstellung im Datenschutz- und Arbeitsrecht. Die Kernbotschaften lauten:

  • Erlaubte Privatnutzung schützt die Kommunikation umfassend.
  • Arbeitgeber müssen vor Auswertungen informieren und trennen.
  • Datenschutzverstöße können zur Unverwertbarkeit und zu Schadensersatz führen.

Praxistipps für Arbeitgeber:

  • IT-Richtlinien eindeutig formulieren
  • Getrennte Accounts oder Container-Lösungen einsetzen
  • Keine heimliche Datenverarbeitung

Praxistipps für Arbeitnehmer:

  • Private Daten getrennt speichern, wenn möglich
  • Kommunikation dokumentieren (z. B. Screenshots von Duldung der Privatnutzung)
  • Bei Verstoßen rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen

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