Darf mit „kostenlos“ geworben werden, wenn personenbezogene Daten fließen?
Darf ein Unternehmen eine Leistung als „kostenlos“ anpreisen, wenn zwar kein Geld verlangt wird, aber personenbezogene Daten erhoben und zu Werbezwecken genutzt werden? Genau diese Frage hat der Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der Ausgang betrifft nicht nur Facebook, sondern das gesamte datenbasierte Geschäftsmodell der Digitalwirtschaft – von Apps über Kundenkarten bis hin zu Newslettern.
Worum geht es?
Ein Verbraucherverband griff die bei Facebook verwendete Aussage „Facebook ist und bleibt kostenlos“ an. Hintergrund ist, dass Nutzer bei der Registrierung persönliche Daten angeben und einer Verarbeitung zu kommerziellen Zwecken zustimmen. Ist „kostenlos“ dann noch zulässig – oder erwartet der Verbraucher eine wirklich gegenleistungfreie Leistung?
Der Fall wanderte durch die Instanzen; nun hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH eine Grundsatzfrage vorgelegt. Damit steht eine Klärung bevor, die für Werbung, Consent-Flows und Produktkommunikation weitreichende Folgen haben kann.
Die Vorlagefrage des BGH
„Erfasst der Begriff der ‚Kosten‘ im Sinne von Nr. 20 des Anhangs I in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG auch die Preisgabe personenbezogener Daten und Einwilligung in ihre Nutzung zu kommerziellen Zwecken?“
Damit geht es um die Auslegung eines per-se-Verbots („Blacklist“) des EU-Lauterkeitsrechts. Entscheidend ist, ob „Kosten“ nur Geldzahlungen meinen oder auch Daten als Gegenleistung einschließen.
Der rechtliche Rahmen
Die „Blacklist“ des EU-Lauterkeitsrechts
Im Anhang I zur Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken findet sich ein Katalog stets unlauterer Praktiken. Werbung mit „gratis/umsonst/kostenfrei“ ist dort verboten, wenn für die Leistung gleichwohl Kosten anfallen. Ausgenommen sind nur unvermeidbare Aufwände (etwa beim Eingehen auf das Angebot oder bei Abholung/Lieferung). Zum Zeitpunkt der beanstandeten Aussage (Februar 2015) war dies im deutschen Recht als Nr. 21 aF des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG umgesetzt; heute entspricht dem Nr. 20 des Anhangs.
Daten als Gegenleistung – europarechtlicher Kontext
Im Verbrauchervertragsrecht ist längst angelegt, dass digitale Inhalte auch dann bereitgestellt werden können, wenn der Verbraucher statt Geld personenbezogene Daten liefert. Diese Idee prägt zahlreiche digitale Geschäftsmodelle. Die offene Frage ist jedoch, ob dieses Denken eins zu eins auf die Werbeaussage „kostenlos“ im Lauterkeitsrecht übertragen werden darf.
Warum der EuGH gefragt werden muss
Der BGH sieht gute Argumente in beide Richtungen. Der Wortlaut „Kosten“ legt zwar Geld nahe; zugleich sollen „Gratis“-Behauptungen Missbrauch vermeiden, weil gerade sie besonders anlocken. Daten haben Marktwert, vor allem bei werbefinanzierten Diensten. Ob dieser Wert als „Kosten“ im Sinne der Blacklist zählt, ist bislang nicht abschließend europarechtlich geklärt. Genau hier setzt die Vorlage an.
Mögliche Antworten – und was das praktisch bedeutet
EuGH: Daten zählen als „Kosten“
Stellt der EuGH klar, dass die Preisgabe personenbezogener Daten und die Einwilligung in deren kommerzielle Nutzung als „Kosten“ zu verstehen sind, hätte das spürbare Folgen:
- „Kostenlos“-Claims wären regelmäßig unzulässig, sobald über das technisch Unvermeidbare hinaus Daten erhoben und verwertet werden.
- Klarstellungen im Kleingedruckten würden voraussichtlich nicht reichen, weil die Blacklist gerade ohne Einzelfallprüfung greift.
- Kommunikationsalternativen wie „kostenlos nach Registrierung“ ändern am Ergebnis wenig, wenn die Registrierung mit vermarktbarer Datennutzung verbunden ist.
- Unternehmen müssten Claim-Strategien anpassen und Datenflüsse strikt auf das Notwendige begrenzen, um rechtliche Risiken zu senken.
EuGH: Daten zählen nicht als „Kosten“
Versteht der EuGH „Kosten“ enger – also ohne Daten als Gegenleistung –, verlagert sich die Prüfung:
- „Kostenlos“-Werbung bliebe nicht automatisch unlauter; sie wäre aber an Irreführungskriterien zu messen. Im vorliegenden Verfahren hat der BGH eine Irreführungsprüfung allerdings nicht vorgenommen, weil insoweit keine Rügen erhoben wurden; entscheidungserheblich ist allein die Blacklist-Frage.
- Transparenz wird dann zentral: Werbedarstellung, Einwilligungsdialoge und Datenschutzhinweise müssten klar kommunizieren, dass der Dienst durch Werbung und Daten finanziert wird.
- Einzelfallfaktoren wie Platzierung, Schriftbild und unmittelbare Aufklärung gewinnen an Gewicht.
FAQ kompakt
Gilt das nur für Social-Media-Plattformen?
Nein. Alle digitalen Dienste, die sich über Daten refinanzieren, können betroffen sein – etwa Apps, Kundenkarten-Programme, Newsletter-Clubs oder Streaming-Ausprobierangebote.
Reicht „kostenlos“ plus „es fallen keine Gebühren an“?
Das hängt von der EuGH-Antwort ab. Selbst dann braucht es klare, unmittelbare Aufklärung darüber, wie und wofür Daten genutzt werden.
Darf ich stattdessen „frei zugänglich“ sagen?
Das ist oft treffsicherer, wenn keine Geldzahlung geschuldet ist. Stimmen Datenflüsse und Aufklärung, sinkt das Risiko – eine Einzelfallprüfung bleibt sinnvoll.
Muss ich meine Claims jetzt sofort ändern?
Viele Unternehmen passen ihre Claims proaktiv an, um Vollharmonisierungs-Risiken zu vermeiden. Eine präventive Anpassung kann sich lohnen, gerade bei großreichweitigen Kampagnen.
Fazit
Der BGH hat die entscheidende Weiche gestellt: Ob Daten als „Kosten“ gelten, wird der EuGH klären. Bis zur Entscheidung empfiehlt sich eine vorsichtige Claim-Strategie, reduzierte Datenerhebung und transparente Kommunikation. So bleiben Sie handlungsfähig – unabhängig davon, wie der EuGH antwortet.
Ansprechpartner
Dipl. Wirtschaftsjurist / FH Killian Hedrich
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