Bruttopreis-Pflicht auch für umsatzsteuerfreie Produkte

Die gesetzliche Pflicht zur Angabe des Bruttopreises bei der Werbung für Produkte im Internet ist eigentlich nichts Neues. Dennoch herrschte zuletzt Unklarheit darüber, ob diese Pflicht auch dann besteht, wenn ein Produkt gemäß § 12 Abs. 3 UStG mit einem Umsatzsteuersatz von 0 % verkauft wird. Die Regelung betrifft insbesondere Komponenten von Photovoltaikanlagen wie Solarmodule und Batteriespeicher.
Ein Unternehmen, das auf Google Shopping einen Batteriespeicher bewarb, wollte sich genau darauf berufen – und unterlag letztlich in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Der folgende Beitrag erläutert ausführlich den Sachverhalt, die rechtlichen Grundlagen und die Argumentation der Richter.
Der konkrete Fall – Was ist passiert?
Die Beteiligten
Die Parteien des Verfahrens waren:
- Antragstellerin: Ein konkurrierendes Unternehmen, das ebenfalls Produkte im Bereich Photovoltaik vertreibt.
- Antragsgegnerin: Ein Händler, der auf der Plattform Google Shopping Batteriespeicher für Photovoltaikanlagen anbot.
Die Werbeanzeige bei Google Shopping
Die Antragsgegnerin hatte auf Google Shopping eine Werbeanzeige geschaltet, in der sie einen Batteriespeicher für Photovoltaikanlagen bewarb. In dieser Anzeige war lediglich der Netto-Preis des Produkts angegeben – also ohne Umsatzsteuer.
Einen Hinweis auf die Steuerbefreiung oder auf den Umstand, dass der Preis nur unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich brutto = netto sei, enthielt die Anzeige nicht.
Die rechtliche Auseinandersetzung
Die Antragstellerin sah darin einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung (PAngV), welche vorschreibt, dass gegenüber Verbrauchern stets der Gesamtpreis, also der Brutto-Endpreis inklusive Umsatzsteuer, angegeben werden muss.
Die Antragsgegnerin verteidigte sich mit dem Hinweis auf § 12 Abs. 3 UStG. Danach beträgt der Umsatzsteuersatz für bestimmte Photovoltaik-Produkte null Prozent, wenn diese auf oder in der Nähe von Wohngebäuden installiert werden und vom Betreiber einer Anlage erworben werden.
Da nahezu alle Kunden diese Voraussetzungen erfüllten, sei die Preisangabe ohne Umsatzsteuer korrekt.
Die erste Instanz: LG Gießen verneint Wettbewerbsverstoß
Das Landgericht Gießen entschied zugunsten der Antragsgegnerin. Es argumentierte, dass die Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 3 UStG in der Praxis fast immer erfüllt sei. Daher bestehe kein Anlass, bei der Werbung mit dem Netto-Preis von einer Irreführung oder Rechtsverletzung auszugehen.
Das LG sah keinen Wettbewerbsverstoß und wies den Eilantrag der Antragstellerin ab.
Die zweite Instanz: OLG Frankfurt gibt der Antragstellerin Recht
Die zentrale Frage
Muss ein Händler bei Werbung für umsatzsteuerbefreite Produkte – etwa im Bereich der Photovoltaik – den Brutto-Endpreis angeben, auch wenn dieser faktisch mit dem Netto-Preis identisch ist?
Antwort des OLG Frankfurt: Ja, muss er – jedenfalls dann, wenn die Steuerbefreiung nicht automatisch, sondern nur unter Bedingungen greift.
Entscheidungsgründe des OLG Frankfurt im Einzelnen
Pflicht zur Bruttopreisangabe nach § 3 Abs. 1 PAngV
Das Gericht stellt klar:
„Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, Verbrauchern gegenüber den Gesamtpreis anzugeben, wenn sie – wie hier – mit Preisen wirbt.“
Der Gesamtpreis muss alle Preisbestandteile enthalten, also auch die Umsatzsteuer – auch dann, wenn sie null Prozent beträgt.
Keine Ausnahme bei 0 % USt: § 12 Abs. 3 UStG reicht nicht aus
Das Gericht analysierte § 12 Abs. 3 UStG genau. Dort heißt es:
„Die Steuer ermäßigt sich auf null Prozent für die Lieferung von Solarmodulen an den Betreiber einer Photovoltaikanlage, wenn diese auf oder in der Nähe von Privatwohnungen, Wohnungen oder öffentlichen Gebäuden installiert wird.“
Zentrale Aussage des OLG:
Die Umsatzsteuerbefreiung ist nicht pauschal gegeben, sondern hängt davon ab,
- wer der Käufer ist (Betreiber einer Photovoltaikanlage),
- wo die Anlage installiert wird (Wohngebäude o. ä.),
- und ob der Händler die Voraussetzungen prüft (z. B. durch vom Kunden ausgefüllte Formulare).
Das Gericht betont:
„§ 12 Abs. 3 UStG befreit nicht generell jeden Verbraucher, der das Produkt bestellt, von der Umsatzsteuer.“
Kein gesicherter Endpreis – Bedingungen müssen erst noch erfüllt werden
Weil die Steuerbefreiung erst nach Prüfung durch den Händler greift, ist der Netto-Preis kein sicherer Endpreis. Es handelt sich also nicht um eine verlässliche Information für den Verbraucher – sondern bestenfalls um einen Bedingungspreis.
Werbung mit einem solchen Preis ohne jeglichen Hinweis verstößt laut Gericht gegen die PAngV.
Kein Raum für Aufklärung bei Google Shopping? Kein Freibrief!
Die Antragsgegnerin wandte ein, dass auf der Plattform Google Shopping kein Platz für längere Erläuterungen zur Steuerbefreiung bestehe.
Dazu das OLG:
„Eine Plattform darf schlicht nicht verwendet werden, wenn sie keinen Raum für rechtmäßiges Handeln bietet.“
Mit anderen Worten: Wenn es technisch nicht möglich ist, die erforderlichen Preisangaben und Hinweise rechtskonform darzustellen, darf die Plattform nicht genutzt werden.
Keine Parallele zum BGH-Fall „Wir helfen im Trauerfall“
Die Antragsgegnerin verwies auf die Entscheidung des BGH vom 14.01.2016 (I ZR 61/14), in der der Bundesgerichtshof bestimmte Preisbestandteile als nicht anzugeben ansah, weil sie im Voraus nicht bezifferbar waren.
Doch das OLG Frankfurt grenzt diesen Fall ab:
„Im Streitfall steht die Höhe der zu zahlenden Umsatzsteuer fest. Sie reduziert sich lediglich auf null Prozent, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.“
Es handelt sich also nicht um einen unbestimmten, sondern um einen konkret feststellbaren Preisbestandteil, der vom Vorliegen objektiv prüfbarer Umstände abhängt.
Kein Bagatellverstoß – sondern erhebliche Marktverzerrung
Das Gericht führt aus:
„Es handelt sich nicht um einen Bagatellverstoß. Die Preisvergleichsmöglichkeiten der Verbraucher mit Angeboten von Anbietern, die sich rechtstreu verhalten, werden erheblich erschwert.“
Ein solcher Verstoß gegen die PAngV kann daher auch wettbewerbsrechtlich verfolgt werden.
Wettbewerbsrechtliche Bewertung: Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG
Das OLG Frankfurt bejaht auch einen Verfügungsanspruch der Antragstellerin aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 Nr. 2 UWG.
Besonders relevant: Die Anzeige richtete sich nicht nur an Verbraucher, sondern auch an Gewerbetreibende. Diese könnten fälschlich annehmen, dass es sich um einen echten Brutto-Preis handelt – und das Produkt besonders günstig ist.
Die Irreführung hat daher eine wettbewerbsrechtliche Relevanz.
Fazit: Händler müssen umdenken – 0 % Steuer heißt nicht 0 % Pflicht
Auch bei umsatzsteuerbefreiten Produkten muss der Brutto-Gesamtpreis angegeben werden. Händler dürfen sich nicht darauf verlassen, dass „praktisch jeder“ die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 UStG erfüllt. Rechtlich zählt allein, dass nicht jeder sie erfüllt.
Wer bei Google Shopping oder anderen Plattformen nur mit Netto-Preisen wirbt, riskiert Abmahnungen und Unterlassungsklagen – auch bei vermeintlich „steuerfreien“ Produkten.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
Onlinehändler, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien, sollten folgende Punkte beachten:
✅ Immer den Gesamtpreis inklusive USt. (ggf. 0 %) angeben
✅ Bei steuerfreien Umsätzen: Hinweis ergänzen, z. B. „0 % USt. gem. § 12 Abs. 3 UStG bei Nachweis“
✅ Kein Verzicht auf Bruttoangabe – auch wenn USt. effektiv null ist
✅ Plattformen wie Google Shopping nur dann nutzen, wenn rechtssichere Angaben möglich sind
✅ Rechtzeitig interne Prozesse schaffen, um USt.-Voraussetzungen sauber zu prüfen
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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