Bank haftet nicht bei Enkeltrick: Keine Schutzpflicht bei hoher Barabhebung älterer Kundin

Einleitung: Vertrauen, Verantwortung und rechtliche Klarheit
Darf eine Bank eingreifen, wenn eine ältere Kundin plötzlich 25.000 Euro in bar abheben möchte – obwohl sie sonst nie mehr als 300 Euro abhebt? Muss die Bank in solchen Fällen nachfragen oder warnen?
Diese Fragen hatte das Landgericht Dortmund zu beantworten. Die Entscheidung bringt Klarheit: Die Bank haftet nicht. Prüf- und Schutzpflichten greifen nur in extremen Ausnahmefällen.
Im Zentrum steht das Urteil LG Dortmund, 3 O 340/23 vom 24.01.2024. Der Fall beleuchtet die Grenzen des Verbraucherschutzes im Bankrecht und führt tief in die rechtliche Systematik rund um Aufklärungs- und Warnpflichten bei Bargeldtransaktionen.
Der Fall: 25.000 Euro in bar – und die stille Tragödie dahinter
Eine 67-jährige Kundin der beklagten Bank wird Opfer eines klassischen Enkeltricks. Ein Anrufer gibt sich als Polizeibeamter aus und behauptet, ihre Tochter habe einen schweren Verkehrsunfall verursacht. Um ihre Freilassung zu ermöglichen, müsse eine Kaution von 25.000 Euro beim Landgericht hinterlegt werden.
In der Annahme, ihrer Tochter zu helfen, kontaktiert die Kundin am 17.07.2023 gegen 15:55 Uhr das KundenDialogCenter der Bank und erkundigt sich, ob sie noch am selben Tag 25.000 Euro in bar abheben könne. Die Mitarbeiterin versucht, die nächstgelegene Filiale zu erreichen, was jedoch nicht gelingt. Sie schlägt vor, das Geld für den Folgetag bereitzustellen. Die Kundin lehnt dies ab. Schließlich wird das Geld in der Hauptstelle reserviert, die jedoch um 16:30 Uhr schließt.
Kurz nach 16:30 Uhr erscheint die Kundin in der Hauptstelle. Trotz der späten Uhrzeit wird ihr das Geld nach erfolgter Legitimationsprüfung ausgehändigt. Später übergibt sie das Geld an die Betrüger.
Die Klage: Verletzung von Schutzpflichten durch die Bank?
Die Klägerin argumentiert:
- Die Bank hätte aufgrund der auffälligen Summe und ihrer Nervosität erkennen müssen, dass etwas nicht stimmt.
- Ein einfaches Nachfragen hätte sie vom Irrtum abhalten können.
- Daher liege ein Verstoß gegen die verhaltensbezogenen Schutzpflichten der Bank vor.
Das Landgericht Dortmund sieht dies anders.
Die Entscheidung des LG Dortmund: Keine Prüfpflicht bei nervösem Verhalten
Kernaussage: Keine grundsätzlichen Prüf- oder Schutzpflichten der Bank
Das Gericht stellt klar:
„Es ist gemeinhin anerkannt, dass sich ein Zahlungsdienstleister (...) auf eine rein formale Prüfung (...) beschränken darf.“
Banken sind keine Kontrollinstanzen, die das Verhalten ihrer Kunden überwachen müssen. Insbesondere bei Barabhebungen am Schalter ist die Schwelle für zusätzliche Schutzpflichten sehr hoch.
§ 675o Abs. 2 BGB: Bank muss Anweisungen ausführen
Nach § 675o Abs. 2 BGB ist die Bank verpflichtet, legitime Zahlungsaufträge umzusetzen, solange sie „ordnungsgemäß autorisiert“ sind. Im Klartext: Wenn die Kundin ihren Wunsch klar äußert und der Auftrag formal korrekt ist, muss die Bank auszahlen.
Wann bestehen Schutzpflichten der Bank überhaupt?
Das Urteil stellt nicht in Abrede, dass es Warn- und Hinweispflichten geben kann – aber nur in engen Ausnahmefällen.
Voraussetzungen für Warnpflichten:
- Objektive Evidenz
- Massive Verdachtsmomente
- Hinweise auf Betrug, Zwang oder Irrtum
- Ungewöhnlich viele, sich gegenseitig verstärkende Umstände
Allein eine hohe Summe oder auffälliges Verhalten genügt nicht. Es müsste etwa hinzukommen:
- Der Kunde redet von einem Unfall oder einer Kaution
- Erwähnt eine dritte Person, die das Geld braucht
- Wirkt verwirrt, steht unter offensichtlichem Druck
Im Fall der Klägerin gab es laut Urteil keine derart klaren Verdachtsmomente.
Das rechtliche Spannungsfeld: Verbraucherschutz vs. Vertragsfreiheit
Diese Entscheidung bewegt sich im Spannungsfeld zweier Grundprinzipien:
- Schutz des Kunden vor Überrumpelung, Betrug oder Fehleinschätzungen
- Vertragsautonomie und Bankpraktikabilität
Warum die Entscheidung nachvollziehbar ist:
- Banken führen tausende Transaktionen täglich durch.
- Eine Pflicht, jede Barabhebung psychologisch zu analysieren, wäre praktisch nicht umsetzbar.
- Die Entscheidung schützt auch die Vertraulichkeit und Entscheidungsfreiheit mündiger Bankkunden.
Was bedeutet das für den Alltag?
Für Bankkunden:
- Es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Fürsorge oder Rückfrage bei Barabhebungen.
- Vorsicht und Eigenverantwortung sind entscheidend.
- Präventionskampagnen („Vorsicht Enkeltrick“) sind wertvolle Schutzmechanismen – aber außerhalb des Gerichts.
Für Banken:
- Sie dürfen formale Auszahlungspflichten erfüllen, ohne in die Motive des Kunden einzudringen.
- Haftung entsteht nur, wenn konkrete, zusätzliche Hinweise auf Missbrauch vorliegen – z. B. Wortwahl, dritte Person, emotionale Ausnahmesituation.
Fazit: Die Bank ist kein Vormund – auch bei ungewöhnlichen Abhebungen
Das Urteil des LG Dortmund bringt Klarheit in eine emotionale und rechtlich komplexe Situation:
- Die Bank muss nicht warnen, wenn ältere Kunden hohe Beträge abheben – solange keine objektiven Anhaltspunkte für einen Irrtum oder Betrug vorliegen.
- Eine gewisse Nervosität, ein ungewohnt hoher Betrag oder das Alter des Kunden reichen nicht aus.
- Wer Geld abhebt, trägt – so hart es klingen mag – die volle Verantwortung für seine Entscheidung.
Die Verantwortung für Prävention liegt also nicht im Schalterraum, sondern in der Aufklärung: durch Medien, Familie – und vielleicht auch durch diesen Artikel.
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Frank Weiß
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