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Automatisierte Google Ads-Sperrung rechtswidrig

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Google ist mit seinem Werbedienst Google Ads für viele Unternehmen unverzichtbar geworden. Besonders digitale Geschäftsmodelle, Start-ups und Nischenanbieter sind auf die Sichtbarkeit über Google angewiesen. Was aber passiert, wenn Google Anzeigen sperrt – ohne eine sachliche Begründung, rein auf Basis algorithmischer Entscheidungen?

Das OLG Hamburg hat am 31.08.2023 (Az.: 15 U 18/23 Kart) hierzu eine wegweisende Entscheidung getroffen. Das Gericht hält eine automatisierte Sperrung von Werbeanzeigen durch Google ohne individuelle Prüfung für rechtswidrig und kartellrechtswidrig, sofern Google damit seine marktbeherrschende Stellung missbraucht.

Der Sachverhalt – Was war passiert?

Die Klägerin betreibt ein Internet-Start-up, das sogenannte „e-Vignetten“, also digitale Mautvignetten für europäische Länder, vermittelt. Das Geschäftsmodell basiert maßgeblich auf Online-Sichtbarkeit, insbesondere über Google Ads.

  • Die Klägerin schaltete Google Ads zur Bewerbung ihrer Dienstleistung.
  • Google verweigerte die Schaltung dieser Werbung mit Hinweis auf interne Werberichtlinien, insbesondere die „Official Services and Documents Directive“ (OSDD-RL).
  • Diese Richtlinie untersagt Werbung für Dienstleistungen, die sich auch über staatliche Stellen beschaffen lassen, insbesondere dann, wenn der Eindruck entstehen könnte, es handle sich um ein offizielles Angebot.

Was der Klägerin jedoch missfiel:
Die Ablehnung der Anzeigen erfolgte vollständig automatisiert – ohne Prüfung, ob im konkreten Fall ein Verstoß gegen die Richtlinie vorlag. Auch eine manuelle Nachkontrolle wurde nicht angeboten. Damit sah sich die Klägerin in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit unbillig behindert und klagte im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Die Entscheidung des OLG Hamburg – Schritt für Schritt analysiert

a) Einstweiliger Rechtsschutz: Wann liegt ein Verfügungsgrund vor?

Das OLG Hamburg setzt sich zunächst mit der Frage auseinander, ob die Klägerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Anspruch auf sofortige Freischaltung der Ads hatte. Entscheidendes Kriterium: Dringlichkeit der Maßnahme.

Zentrale Leitsätze des Gerichts:

  • Eine existenzielle Notlage des Antragstellers ist nicht erforderlich.
  • Es genügt, wenn die wirtschaftlichen Nachteile der Sperrung so erheblich sind, dass ein Abwarten bis zur Hauptsache oder ein Verweis auf Schadensersatz unzumutbar ist.
  • Besonders bei Start-ups, deren Geschäftsmodell auf Umsatzwachstum, Skalierbarkeit und Neukundengewinnung basiert, kann bereits die Beeinträchtigung dieser Aspekte eine Dringlichkeit begründen.

Wichtig:
Das Gericht betont, dass Gewinneinbußen nicht entscheidend sind. Der Fokus liegt auf nicht nachholbaren Umsätzen und der Signalwirkung gegenüber Investoren, Partnern und Zahlungsdienstleistern, die auf Umsatzwachstum und Reichweite achten.

„Der Gewinn spielt in der Wachstumsphase eines Internet-Start-ups keine entscheidende Rolle – entscheidend ist die Erhöhung des Umsatzes und die Neukundenakquise.“

Damit schuf das Gericht einen realitätsnahen Maßstab für einstweilige Verfügungen im Bereich digitaler Geschäftsmodelle.

b) Kartellrechtliche Bewertung: Marktmissbrauch durch Google

Im Kern der Entscheidung steht die Frage, ob Google durch sein Verhalten gegen § 19 GWB (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) verstoßen hat. Das OLG bejaht dies eindeutig.

Wichtige Argumente des Gerichts:

  • Google ist im Bereich der suchwortgebundenen Werbung marktbeherrschend.
  • Als marktbeherrschendes Unternehmen unterliegt Google besonderen Pflichten: Es darf seine Marktmacht nicht missbräuchlich nutzen.
  • Eine vollautomatisierte Sperrung von Anzeigen – ohne Einzelfallprüfung – ist ein solcher Missbrauch, wenn sie ohne sachliche Rechtfertigung erfolgt.
  • Die Ablehnung der Werbung muss transparent, überprüfbar und verhältnismäßig sein. Eine algorithmisch gesteuerte Pauschalbetrachtung wird diesem Anspruch nicht gerecht.

„Die überragende Marktstellung der Antragsgegnerin erfordert im Falle einer Anzeigenablehnung eine individuelle Prüfung. Eine pauschale Ablehnung ist weder angemessen noch sachlich gerechtfertigt.“

c) Google hat die Möglichkeit zur Einzelfallprüfung – und muss sie auch nutzen

Google argumentierte, eine manuelle Prüfung sei zu aufwendig. Das ließ das OLG nicht gelten.

  • Google habe technisch und organisatorisch längst Verfahren zur Einzelfallprüfung etabliert – etwa durch das Zertifizierungsverfahren nach der OSDD-RL.
  • Auch Anbieter ohne staatliche Autorisierung können über „regionale oder geschäftliche Ausnahmeregelungen“ werben, wenn eine manuelle Überprüfung ergibt, dass kein Verstoß gegen die Richtlinie vorliegt.
  • Damit ist eine individuelle Prüfung nicht nur möglich, sondern bereits vorgesehen – Google nutzte sie im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Fazit: Die technische Möglichkeit zur Einzelfallprüfung besteht – sie muss auch angewendet werden.

Bedeutung für Unternehmen und Werbetreibende

a) Google muss sich an kartellrechtliche Grenzen halten

Google kann sich nicht hinter internen Richtlinien verstecken. Wer algorithmisch entscheidet, muss kontrollierbar und überprüfbar entscheiden. Das Urteil zeigt klar: Die Macht der Plattformen findet ihre Grenzen im Wettbewerbsrecht.

b) Unternehmen können sich gegen algorithmische Willkür wehren

Insbesondere für Start-ups oder Anbieter mit digitalen Geschäftsmodellen ist das Urteil von enormer Bedeutung:

  • Sie können eine sofortige Freischaltung ihrer Anzeigen verlangen, wenn die Ablehnung unbegründet ist.
  • Umsatzeinbußen und verlorene Skalierungsmöglichkeiten reichen als Eilgrund aus.
  • Die Entscheidung stärkt das Recht auf digitale Sichtbarkeit gegenüber marktbeherrschenden Plattformen.

c) Recht auf individuelle Prüfung

Google (und andere Plattformen) müssen sicherstellen, dass Entscheidungen über das Verbot von Werbung nicht blind algorithmisch erfolgen, sondern – zumindest im Zweifelsfall – durch Menschen überprüft werden.

Fazit: Signalwirkung weit über Google hinaus

Die Entscheidung des OLG Hamburg ist ein Wendepunkt im digitalen Kartellrecht. Sie zeigt:

  • Marktmacht verpflichtet zu Fairness.
  • Automatisierung ersetzt keine Rechtsstaatlichkeit.
  • Eilrechtsschutz kann auch ohne Insolvenzgefahr durchgesetzt werden.

Wer sich künftig durch algorithmische Entscheidungen ungerecht behandelt fühlt, hat gute Chancen, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen – insbesondere, wenn der Plattformanbieter marktbeherrschend ist.

Handlungsempfehlung für Werbetreibende

  • Lassen Sie Sperrungen nicht einfach stehen.
  • Verlangen Sie eine Begründung.
  • Dokumentieren Sie alle Vorgänge.
  • Prüfen Sie einstweiligen Rechtsschutz.
  • Nutzen Sie anwaltliche Hilfe

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