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Auskunftei muss Insolvenzdaten 6 Monate nach Aufhebung löschen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Das Landgericht Münster hat mit Urteil vom 04.07.2023 (Az.: 16 O 238/22) entschieden, dass Wirtschaftsauskunfteien Insolvenzvermerke spätestens sechs Monate nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens löschen müssen. Grundlage ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Verbindung mit § 3 der Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsBekV).

Der Fall im Detail

Der Kläger beantragte beim Amtsgericht Münster die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Dieses wurde nach Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben, wobei eine Restschuldbefreiung nicht Bestandteil der Aufhebung war. Es handelte sich also nicht um eine Verbraucherinsolvenz mit Entschuldung, sondern um einen erfolgreichen Abschluss durch Zahlung oder vergleichbare Regelung. Damit war das Verfahren formell abgeschlossen, ohne dass der Kläger weiterhin als insolvent zu betrachten gewesen wäre.

Die Beklagte, eine großläufig agierende Wirtschaftsauskunftei, hatte den Verfahrensverlauf – einschließlich Eröffnung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens – in ihrer Datenbank gespeichert. Zusätzlich fanden sich drei weitere Einträge zu abgeschlossenen kaufmännischen Mahnverfahren mit konkreten Hauptforderungen über mehrere Tausend Euro.

Trotz ausdrücklicher Aufforderungen durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers, diese Negativmerkmale zu löschen, lehnte die Beklagte die Entfernung ab. Sie berief sich auf ein fortbestehendes berechtigtes Interesse ihrer Vertragspartner an einer umfassenden Bonitätseinschätzung.

Der Kläger begründete seine Klage mit der Behauptung, die Einträge beeinträchtigten seine wirtschaftliche Existenz erheblich. Er habe keinen Zugang zu Krediten, keine Möglichkeit, Mobilfunk- oder Mietverträge abzuschließen, und werde allgemein als geschäftlich nicht vertrauenswürdig wahrgenommen – trotz eines soliden Einkommens.

Die Entscheidung des LG Münster

Das Gericht verurteilte die Beklagte in vollem Umfang:

  1. Löschungspflicht: Die gespeicherten Einträge zum Insolvenzverfahren und zu den Mahnverfahren müssen gelöscht werden.
  2. Unterlassung: Die Beklagte darf diese Daten nicht erneut speichern oder verarbeiten.
  3. Kostenerstattung: Vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 579,17 EUR sind zu erstatten.

Zentrale Entscheidungsgründe im Detail

1. Anwendbarkeit der DSGVO und Qualifikation der Daten als personenbezogen: Das Gericht stellt fest, dass die Beklagte personenbezogene Daten verarbeitet i.S.d. Art. 4 DSGVO. Die Speicherung, Verknüpfung und Weitergabe der Insolvenz- und Mahnverfahrensdaten an Dritte stellt eine Verarbeitung dar.

2. Keine Rechtmäßigkeit nach Art. 6 DSGVO: Die Auskunftei konnte sich nicht auf eine Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 lit. a) berufen. Auch Art. 6 Abs. 1 lit. e (Verarbeitung im öffentlichen Interesse) fand keine Anwendung, da private Wirtschaftsauskunfteien nicht hoheitlich tätig sind. Art. 6 Abs. 1 lit. f (berechtigtes Interesse) wurde besonders intensiv geprüft:

  • Zwar bestehen berechtigte Interessen der Auskunftei und Dritter (z.B. Kreditgeber), um sich über die Zahlungsfähigkeit von Vertragspartnern zu informieren.
  • Diese werden jedoch vom überragenden Interesse des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung und wirtschaftliche Teilhabe überlagert.

3. Bedeutung des § 3 InsBekV: Auch wenn die Verordnung für öffentliche Bekanntmachungen gilt, nutzt das Gericht die dort verankerte 6-Monatsfrist als normative Bewertungsgrundlage im Rahmen der DSGVO-Interessenabwägung. Der Gesetzgeber habe bereits entschieden, dass eine längere Speicherung nicht notwendig sei.

4. Realität wirtschaftlicher Ausgrenzung: Das Gericht stellt fest, dass der Kläger faktisch vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen wird. Kein Scorewert, kein Kredit, kein Mobilfunkvertrag, keine Mietwohnung – obwohl keine aktuelle Zahlungsunfähigkeit mehr besteht.

5. Zuspitzung: Keine Restschuldbefreiung, sondern Planerfüllung: Gerade weil das Verfahren nicht mit Restschuldbefreiung endete, sondern mit einem Insolvenzplan, war die wirtschaftliche Rehabilitation des Klägers besonders stark. Die Beklagte konnte keine Argumente liefern, warum ihre Auskunftsinteressen hier überwiegen sollten.

6. Paralleldatenbanken sind kein Freibrief: Die Beklagte berief sich darauf, dass die Daten öffentlich zugänglich gewesen seien. Doch das Gericht wies darauf hin, dass dies kein Freibrief sei, um eine eigene Paralleldatenbank ohne Löschfristen zu führen. Öffentliche Daten unterliegen ebenfalls dem Datenschutzrecht.

7. Unterlassungsanspruch wegen Wiederholungsgefahr: Die unrechtmäßige Verarbeitung begründete die Wiederholungsgefahr. Deshalb sprach das Gericht ein Unterlassungsgebot aus und drohte ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR an.

8. Anwaltskosten und Vollstreckung: Die Beklagte musste dem Kläger die Rechtsanwaltskosten erstatten. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Fazit

Das LG Münster hat eindrucksvoll klargestellt: Schuldner dürfen nicht dauerhaft durch öffentliche Insolvenzinformationen stigmatisiert werden. Wer wie der Kläger wirtschaftlich wieder auf eigenen Beinen steht, hat ein Recht darauf, dass alte Vermerke aus Bonitätsdatenbanken verschwinden. Das Urteil hat Strahlkraft und ist ein wichtiger Meilenstein für das "Recht auf Vergessenwerden" im Wirtschaftsleben.

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