Der Auskunftsanspruch im Markenrecht: Ein Leitfaden von Rechtsanwalt

Markenrechtsverletzungen sind längst keine Seltenheit mehr. Gefälschte Designerwaren, unautorisierte Nutzung geschützter Marken oder gar gezieltes Trittbrettfahren – all dies kann nicht nur den Ruf eines Unternehmens erheblich schädigen, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Verluste verursachen. Doch für betroffene Markeninhaber stellt sich oft eine entscheidende Frage: Wie kann ich herausfinden, wer hinter der Rechtsverletzung steckt und welche Vertriebswege genutzt wurden?
Genau hier setzt der Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG an. Er verschafft dem Markeninhaber die notwendigen Informationen, um rechtliche Schritte gegen den Verletzer einzuleiten und Schadensersatzforderungen durchzusetzen. Doch nicht nur der direkte Markenrechtsverletzer kann zur Auskunft verpflichtet werden – auch Dritte, die mit der Verletzung in Verbindung stehen, müssen unter bestimmten Voraussetzungen Rede und Antwort stehen.
Dieser Beitrag gibt einen detaillierten Überblick darüber, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, welchen Umfang der Anspruch hat und wie er durchgesetzt werden kann. Dabei orientiert sich die Darstellung an der aktuellen Rechtsprechung und praxisnahen Beispielen. Besonders wichtig: Der Beitrag klärt auch darüber auf, wann der Anspruch auf Vorlage und Besichtigung nach § 19a MarkenG greifen kann – ein oft unterschätztes Instrument, um überhaupt erst festzustellen, ob eine Markenverletzung vorliegt.
Warum dieser Beitrag für Markeninhaber essenziell ist
- Erfahren Sie, welche rechtlichen Instrumente Ihnen zur Verfügung stehen, um Markenverletzungen aufzudecken.
- Verstehen Sie, wann nicht nur der direkte Verletzer, sondern auch Dritte (z. B. Händler oder Plattformbetreiber) Auskunft erteilen müssen.
- Nutzen Sie die Rechtsprechung zu Ihren Gunsten – mit konkreten Urteilen und Fallbeispielen.
Ein gut vorbereiteter und durchsetzbarer Auskunftsanspruch kann den entscheidenden Unterschied ausmachen, um Produktpiraterie und Markenmissbrauch effektiv zu bekämpfen. Lassen Sie uns daher im Detail betrachten, welche Möglichkeiten das Markengesetz bietet und wie Sie Ihre Rechte als Markeninhaber optimal durchsetzen können.
Das Wichtigste in Kürze:
- Umfassender Auskunftsanspruch: Markeninhaber haben nach § 19 MarkenG das Recht, von Verletzern und unter bestimmten Voraussetzungen auch von Dritten (z. B. Händlern, Plattformbetreibern) Auskunft über Herkunft und Vertriebswege markenverletzender Produkte oder Dienstleistungen zu verlangen. Dies ermöglicht gezielte rechtliche Schritte zur Schadensersatzdurchsetzung.
- Praktische Durchsetzung: Die Auskunftspflicht umfasst Namen, Adressen, Liefermengen und Preise – jedoch nicht allgemeine Marktanalysen oder Werbekosten (BGH, Az. I ZR 121/21). Wird eine vollständige Auskunft verweigert, kann diese durch Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO erzwungen oder im Eilverfahren gesichert werden (§ 19 Abs. 7 MarkenG).
- Vorlage- und Besichtigungsrecht bei Verdacht: Bereits ein begründeter Verdacht auf eine Markenverletzung reicht aus, um nach § 19a MarkenG eine Vorlage oder Besichtigung von Waren und Unterlagen zu verlangen – insbesondere zur Sicherung von Beweisen, bevor diese vernichtet werden (LG Düsseldorf, Az. 2a O 367/13).
Der unselbständige Auskunftsanspruch
Drittauskunft
Weitere Voraussetzungen
Umfang der Auskunftspflicht
Anspruch auf Vorlage und Besichtigung
Der unselbständige Auskunftsanspruch
Der unselbständige Auskunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch im Zivilrecht und dient der effektiven Durchsetzung eines bestehenden Schadensersatzanspruchs. Er wird von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitet und hat insbesondere im Markenrecht große praktische Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2012, Az. I ZR 82/11 – Völkl).
Er ist akzessorisch, das bedeutet, dass er nur geltend gemacht werden kann, wenn bereits ein begründeter Schadensersatzanspruch gegen den Verletzer besteht. Der Zweck des Anspruchs liegt darin, dem Markeninhaber die notwendigen Informationen zur Schadensberechnung zu verschaffen.
Voraussetzungen des unselbständigen Auskunftsanspruchs
Die Rechtsprechung stellt folgende Voraussetzungen für den unselbständigen Auskunftsanspruch auf:
- Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des Markeninhabers:
Der Markeninhaber muss bereits einen begründeten Schadensersatzanspruch gegen den Verletzer haben. Dieser kann sich aus einer widerrechtlichen Benutzung der Marke ergeben, beispielsweise durch Vertrieb von Plagiaten. - Unkenntnis des Markeninhabers über die relevanten Informationen:
Der Markeninhaber darf die benötigten Daten nicht bereits besitzen (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2006, Az. I ZR 27/03 – Parfümtestkäufe). - Zumutbarkeit der Auskunftserteilung für den Verletzer:
Die Informationen müssen für den Verletzer ohne erhebliche Schwierigkeiten beschaffbar sein (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 17.11.2005, Az. 3 U 126/03; BGH, Urteil vom 07.12.1979, Az. I ZR 157/77 – Monumenta Germaniae Historica).
Umfang der Auskunftspflicht
Der unselbständige Auskunftsanspruch erstreckt sich auf alle Informationen, die zur Schadensberechnung erforderlich sind. Laut BGH, Urteil vom 02.10.2012, Az. I ZR 82/11 – Völkl umfasst dies insbesondere:
- Einkaufspreise
- Gestehungskosten
- Liefermengen und Lieferzeiten
- Lieferpreise
- Art und Umfang der Werbung
Es besteht allerdings eine Einschränkung: Falls der Schadensersatz ausschließlich nach der Lizenzanalogie berechnet wird, bezieht sich die Auskunftspflicht lediglich auf die erzielten Netto-Umsätze (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2007, Az. I ZR 33/05 – THE HOME STORE).
Geltendmachung im Prozess
Ein klassisches Beispiel aus der Rechtsprechung verdeutlicht, wie der Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden kann:
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 1. Januar 1994 Handlungen gemäß Ziffer I vorgenommen haben, und zwar unter Übergabe einer geordneten Auflistung, aus der sich die Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreise und die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer ersehen lassen sowie die Einkaufspreise und die Gestehungskosten und unter Nennung des Herstellers und der Lieferanten der mit der streitgegenständlichen Kennzeichnung versehenen Waren sowie unter Bekanntgabe der für diese Waren betriebenen Werbung, unter Angabe der Werbungsträger, Erscheinungszeiten, Auflagenhöhen, Verbreitungsgebiete und der Kosten dieser Werbung. (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2012, Az. I ZR 82/11 – Völkl).
Abgrenzung zu § 19 Abs. 7 MarkenG
Wichtig ist, dass der unselbständige Auskunftsanspruch nur im Rahmen einer Hauptsacheklage geltend gemacht werden kann. § 19 Abs. 7 MarkenG findet hier keine entsprechende Anwendung (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 14.06.2006, Az. 5 U 21/06 – Cerebro Card).
Verjährung und Streitwert
- Der unselbständige Auskunftsanspruch unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.11.2006, Az. 4 U 140/05).
- Der Streitwert des unselbständigen Auskunftsanspruchs beträgt in der Regel nur 10 % des gesamten Prozessstreitwerts (vgl. Ströbele/Hacker, § 19 MarkenG, Rn. 49).
Der unselbständige Auskunftsanspruch ist ein essenzielles Instrument zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Markenrecht. Die Rechtsprechung stellt dabei klare Anforderungen an seine Geltendmachung. Markeninhaber sollten diesen Anspruch gezielt nutzen, um wirtschaftliche Nachteile aus Markenverletzungen effektiv zu kompensieren. Aufgrund der Akzessorietät und der Begrenzung auf die Hauptsacheklage ist jedoch eine strategische Klageführung erforderlich.
Drittauskunft
Der in § 19 MarkenG geregelte selbständige Auskunftsanspruch gewährt dem Markeninhaber weitergehende Auskünfte als der unselbständige Auskunftsanspruch. Er ist darauf gerichtet, Informationen über die Herkunft und den Vertriebsweg widerrechtlich gekennzeichneter Waren oder Dienstleistungen zu erlangen. Damit dient er der Aufklärung von Markenverletzungen, insbesondere solcher, die durch Dritte begangen wurden. Aufgrund dieser Funktion wird der selbständige Auskunftsanspruch auch als "Anspruch auf Drittauskunft" bezeichnet.
Im Gegensatz zum unselbständigen Auskunftsanspruch, der lediglich ein "Anhängsel" eines Schadensersatzanspruchs ist, kann der selbständige Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG unabhängig von einem bestehenden Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden.
Adressaten des Auskunftsanspruchs
Der Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG kann sowohl gegen den unmittelbaren Verletzer als auch gegen Dritte geltend gemacht werden, mit denen der Verletzer in Kontakt gekommen ist. Je nach Anspruchsgegner unterscheiden sich die Voraussetzungen für die Durchsetzung des Anspruchs.
Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs nach § 19 MarkenG
a) Allgemeine Voraussetzungen
- Gläubiger: Der Anspruch steht dem Markeninhaber oder einem sonst nach dem Markengesetz berechtigten Dritten zu.
- Verletzungshandlung: Es muss eine Markenrechtsverletzung vorliegen.
- Keine Unverhältnismäßigkeit: Gemäß § 19 Abs. 4 MarkenG darf die Auskunftserteilung nicht unverhältnismäßig sein.
b) Vom Anspruchsgegner abhängige Voraussetzungen
- Wenn der Anspruchsgegner der unmittelbare Verletzer ist:
- Es sind keine weiteren besonderen Voraussetzungen erforderlich.
- Wenn der Anspruchsgegner ein Dritter ist:
- Es muss ein besonderer Zusammenhang des Dritten zur Verletzungshandlung bestehen (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-4 MarkenG).
- Die Rechtsverletzung muss offensichtlich sein oder es muss bereits eine Verletzungsklage erhoben worden sein.
- Der Dritte darf kein Zeugnisverweigerungsrecht haben.
Bedeutung des Drittauskunftsanspruchs
Der selbständige Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG stellt ein wirksames Mittel dar, um Verstöße gegen das Markenrecht aufzudecken und eine effektive Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Insbesondere durch die Einbeziehung Dritter können umfassende Informationen über die Vertriebswege und Herkunftsquellen von Plagiaten oder rechtsverletzenden Waren erlangt werden. Damit trägt der Anspruch wesentlich zur Stärkung des Markenschutzes und zur Durchsetzung der Rechte der Markeninhaber bei.
Weitere Voraussetzungen
Der Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG dient dazu, dem Markeninhaber entscheidende Informationen über den Umfang einer Markenrechtsverletzung zu verschaffen. Dies ist besonders wichtig für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Allerdings unterliegt dieser Anspruch bestimmten Voraussetzungen, die sowohl allgemeine als auch vom Anspruchsgegner abhängige Bedingungen umfassen.
Allgemeine Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs
Die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs setzt grundsätzlich drei zentrale Voraussetzungen voraus:
Berechtigter Anspruchsteller: Wer kann Auskunft verlangen?
Grundsätzlich steht der Anspruch nur dem Markeninhaber zu. Dies umfasst sowohl den eingetragenen Markeninhaber als auch Gemeinschaftsmarkeninhaber oder Inhaber einer nationalen Marke. Ein Lizenznehmer kann den Auskunftsanspruch nur mit Zustimmung des Markeninhabers geltend machen (§ 30 Abs. 3 MarkenG).
Beispiel:
Ein Unternehmen besitzt die eingetragene Marke für eine Luxus-Handtaschenlinie. Ein exklusiver Lizenznehmer, der mit dem Vertrieb der Marke in Deutschland beauftragt ist, kann selbst keinen eigenständigen Auskunftsanspruch gegen einen Fälscher geltend machen, es sei denn, der Markeninhaber erteilt ihm ausdrücklich die Erlaubnis.
Vorliegen einer Markenrechtsverletzung
Ein Auskunftsanspruch besteht nur, wenn tatsächlich eine Verletzungshandlung vorliegt. Das bedeutet, dass das geschützte Zeichen widerrechtlich genutzt wurde, ohne dass der Markeninhaber zugestimmt hat. Dies kann u.a. durch Identitätsverletzung (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) oder Verwechslungsgefahr (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) geschehen.
Beispiel:
Wenn ein Drittunternehmen gefälschte Markenprodukte verkauft, liegt eine eindeutige Markenverletzung vor. Hingegen ist eine markenrechtliche Auseinandersetzung zwischen zwei konkurrierenden Unternehmen nicht automatisch eine Markenverletzung – dies muss in einem gerichtlichen Verfahren geklärt werden.
Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme (§ 19 Abs. 4 MarkenG)
Die Inanspruchnahme des Schuldners darf nicht unverhältnismäßig sein. Dabei wird das Interesse des Markeninhabers an der Auskunft mit dem Geheimhaltungsinteresse des Dritten abgewogen. Ziel ist es, eine unzulässige wirtschaftliche Ausforschung der Konkurrenz zu vermeiden.
Rechtsprechung zur Unverhältnismäßigkeit:
- BGH, Urteil vom 23.03.2006, Az. I ZR 27/03 – Parfümtestkäufe:
In Einzelfällen kann die Erfüllung des Auskunftsanspruchs unverhältnismäßig sein, wenn bereits alle Schäden der Schutzrechtsverletzung ausgeglichen wurden oder die Verletzung ein einmaliger Vorfall war. - OLG Hamburg, Urteil vom 28.11.2002, Az. 3 U 33/02 – Pflasterspender:
Offensichtliche Rechtsverletzungen, bei denen eine Fehlentscheidung ausgeschlossen ist, rechtfertigen die Inanspruchnahme von Dritten auf Auskunft.
Beispiele für Unverhältnismäßigkeit:
- Ein Unternehmen verklagt einen Einzelhändler auf Auskunft über die Herkunft von Produkten, obwohl bereits feststeht, dass der Händler keine weiteren Waren mehr vertreibt.
- Ein Konkurrent verlangt weitreichende Informationen zu Lieferketten, die über das notwendige Maß hinausgehen und Betriebsgeheimnisse offenbaren würden.
Vom Anspruchsgegner abhängige Voraussetzungen
Je nachdem, ob der Markeninhaber die Auskunft direkt vom Verletzer oder von einem Dritten fordert, gelten unterschiedliche Anforderungen.
Anspruch gegen den direkten Verletzer
Wird der Auskunftsanspruch direkt gegen den Verletzer gerichtet, gelten keine zusätzlichen Voraussetzungen über die allgemeinen Anforderungen hinaus. Der Markeninhaber muss lediglich die oben genannten Bedingungen erfüllen.
Beispiel:
Ein Unternehmen vertreibt gefälschte Markenhandtaschen. Der Markeninhaber kann direkt vom Händler Auskunft über den Lieferanten und die Vertriebswege verlangen.
Anspruch gegen einen Dritten
Soll ein Dritter auf Auskunft in Anspruch genommen werden, müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein. Der Anspruch richtet sich nach § 19 Abs. 2 Satz 1 MarkenG und setzt voraus, dass der Dritte in gewerblichem Ausmaß mit der Verletzung in Verbindung steht.
Erforderlicher Zusammenhang zur Verletzungshandlung
Nicht jeder beliebige Dritte kann zur Auskunft verpflichtet werden. Ein enger Zusammenhang zwischen dem Dritten und der Markenverletzung muss bestehen, z. B. wenn der Dritte:
- rechtsverletzende Ware in seinem Besitz hatte,
- rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm,
- für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte, oder
- an der Herstellung oder dem Vertrieb der markenverletzenden Waren beteiligt war.
Beispiel:
Ein Logistikunternehmen lagert Produkte für einen Händler. Stellt sich heraus, dass diese Produkte Fälschungen sind, kann das Logistikunternehmen zur Auskunft über die Herkunft verpflichtet werden – jedoch nur, wenn es in gewerblichem Ausmaß gehandelt hat.
Wirtschaftlicher Vorteil erforderlich
Der Auskunftsanspruch gegen Dritte greift nur, wenn diese im gewerblichen Ausmaß tätig wurden. Dies bedeutet, dass sie durch die Verletzung wirtschaftliche Vorteile erlangt haben.
Offensichtliche Rechtsverletzung oder anhängige Klage
Eine Marke muss entweder offenkundig verletzt sein oder eine Verletzungsklage muss bereits anhängig sein. Eine Verletzung ist offensichtlich, wenn sie so eindeutig ist, dass eine Fehlentscheidung ausgeschlossen ist (OLG Hamburg, Urteil vom 28.11.2002 – Pflasterspender).
Beispiel:
Eine bekannte Marke entdeckt massenhaft gefälschte Produkte auf einer Handelsplattform. Da die Rechtsverletzung offensichtlich ist, kann der Markeninhaber Auskunft von der Plattform über den Verkäufer verlangen.
Kein Zeugnisverweigerungsrecht nach ZPO
Ein Dritter kann nicht zur Auskunft gezwungen werden, wenn ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 383–385 ZPO zusteht. Dies gilt insbesondere für Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten.
Beispiel:
Ein Journalist interviewt einen Großhändler für gefälschte Luxusartikel. Da ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann er nicht zur Auskunft über die Identität des Händlers verpflichtet werden.
Die Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs bei Markenverletzungen ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Während der Markeninhaber grundsätzlich einen berechtigten Anspruch auf Auskunft hat, muss stets eine Abwägung mit den Interessen des Anspruchsgegners stattfinden. Insbesondere bei Dritten müssen zusätzliche Bedingungen erfüllt sein, etwa ein enger wirtschaftlicher Bezug zur Verletzung und das Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts. Die Rechtsprechung hat klare Leitlinien für den Umfang des Auskunftsanspruchs entwickelt und schützt sowohl die Rechte des Markeninhabers als auch berechtigte Geheimhaltungsinteressen Dritter.
Umfang der Auskunftspflicht
Der Auskunftsanspruch nach § 19 Abs. 3 MarkenG soll dem Markeninhaber ermöglichen, die Herkunft und den Vertriebsweg markenverletzender Waren oder Dienstleistungen nachzuvollziehen. Die auskunftspflichtige Partei hat umfassende Angaben zu machen, die jedoch auf bestimmte, gesetzlich definierte Informationen beschränkt sind. Eine Überschreitung dieser Grenzen kann nicht verlangt werden, selbst wenn der Markeninhaber weitergehende Informationen für die Durchsetzung seiner Rechte als vorteilhaft erachten würde.
Inhalt des Auskunftsanspruchs nach § 19 Abs. 3 MarkenG
Nach den gesetzlichen Vorgaben umfasst der Auskunftsanspruch zwingend folgende Angaben:
Herkunft und Vertriebsweg der markenverletzenden Waren/Dienstleistungen
Der Anspruchsgegner muss offenlegen:
- Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und Vorbesitzer der betroffenen Waren oder Dienstleistungen.
- Namen und Anschriften gewerblicher Abnehmer und Verkaufsstellen, für die die Produkte bestimmt waren.
Diese Informationen dienen dazu, die vollständige Lieferkette aufzudecken und damit die Verantwortlichen für die Verletzungshandlung zu identifizieren. Dies ist besonders relevant in Fällen von Produktfälschungen, bei denen oftmals komplexe Lieferketten bestehen.
Beispiel:
Ein Markeninhaber entdeckt gefälschte Parfüms mit seiner eingetragenen Marke im Handel. Der Händler muss auf Anfrage Auskunft darüber erteilen, von wem er die Ware bezogen hat und an welche weiteren gewerblichen Abnehmer er sie weiterverkauft hat.
Wichtige Einschränkung: Kein Anspruch auf umfassende Marktforschung
Der Auskunftsanspruch umfasst nur die Herkunft der Ware bis zum Verletzer und den nachfolgenden Vertriebsweg ab dem Verletzer – jedoch nur hinsichtlich gewerblicher Abnehmer. Private Endkunden oder Konsumenten müssen nicht offengelegt werden.
Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 14.07.2022, Az. I ZR 121/21 – Google-Drittauskunft
Plattformen wie Google müssen keine Angaben über die Kosten von Anzeigen geben, die zur Bewerbung markenverletzender Produkte genutzt wurden. Die Preisgabe solcher Informationen ginge über den eigentlichen Auskunftsanspruch hinaus.
Angaben zur Menge und zum Preis
Neben den Namen und Adressen muss der Auskunftspflichtige auch konkrete Angaben zur wirtschaftlichen Dimension der Markenverletzung machen:
- Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Waren
- Preise, die für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen bezahlt wurden
Diese Informationen sind essenziell, um den finanziellen Schaden der Markenverletzung einschätzen zu können.
Beispiel:
Ein Unternehmen vertreibt gefälschte Marken-Handtaschen. Der Markeninhaber kann verlangen, dass der Händler die genaue Anzahl der verkauften Taschen sowie die gezahlten Einkaufspreise angibt.
Ausnahmen und Einschränkungen
- Keine Auskunftspflicht für Werbemittel
Der BGH entschied, dass Google nicht verpflichtet ist, Angaben zur Anzahl der Klicks auf markenverletzende Anzeigen oder den damit erzielten Umsatz zu machen (BGH, Urteil vom 14.07.2022, Az. I ZR 121/21 – Google-Drittauskunft). - Beschränkung auf direkte Verletzungshandlungen
Die Pflicht zur Angabe der Mengen erstreckt sich nur auf Verletzungshandlungen mit der konkret betroffenen Marke – nicht auf ähnliche, aber nicht identische Markenverstöße (BGH, Urteil vom 23.03.2006, Az. I ZR 27/03 – Parfümtestkäufe).
Unvollständige oder verweigerte Auskunft
Die bloße Erteilung einer unzureichenden oder lückenhaften Auskunft genügt nicht. Der Schuldner muss vollständige und präzise Angaben machen. Andernfalls kann der Markeninhaber die Auskunftsleistung zwangsweise durchsetzen.
Rechtsprechung:
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.08.2022, Az. 6 W 41/22
Wenn keine aussagekräftigen Unterlagen über die Herkunft der markenverletzenden Waren vorliegen, muss der Schuldner aktiv nachforschen – z. B. indem er bei seinen Vorlieferanten Informationen einholt.
Maßnahmen zur Durchsetzung:
- Zwangsvollstreckung gemäß § 888 ZPO
Weigert sich der Schuldner, die geforderte Auskunft zu erteilen, kann das Gericht Zwangsgeld oder Zwangshaft verhängen. - Einstweilige Verfügung gemäß § 19 Abs. 7 MarkenG
Liegt eine offensichtliche Rechtsverletzung vor, kann der Auskunftsanspruch auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden.
Bedeutung für die Praxis
Warum der Auskunftsanspruch so wichtig ist
Ohne eine präzise Auskunft über Lieferketten und Vertriebswege wäre es für Markeninhaber kaum möglich, gezielt gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Besonders in Fällen von Produktpiraterie hilft der Auskunftsanspruch dabei:
- Netzwerke von Fälschern aufzudecken
- Einen weiteren Vertrieb der rechtsverletzenden Ware zu verhindern
- Schadensersatzforderungen vorzubereiten
Einschränkungen für den Anspruchsteller
Markeninhaber müssen beachten, dass der Auskunftsanspruch zwar weitreichend, aber nicht grenzenlos ist:
- Er darf nicht zur unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Ausforschung der Gegenseite führen.
- Die Pflicht zur Auskunft über Preise für Werbeanzeigen oder Google Ads ist ausgeschlossen.
- Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 383–385 ZPO kann die Auskunftspflicht beschränken.
Konsequenzen für Unternehmen und Plattformbetreiber
Für Händler, Distributoren und Plattformbetreiber bedeutet dies, dass sie in markenrechtlichen Auseinandersetzungen erhebliche Auskunftspflichten treffen können. Sie sollten daher sicherstellen, dass:
- Ihre Lieferketten rechtskonform sind,
- Sie bei Nachfrage nachvollziehbare Unterlagen vorlegen können,
- Sie nicht unnötig Betriebsgeheimnisse oder sensible Geschäftsinformationen offenlegen.
Der Umfang des Auskunftsanspruchs ist in § 19 Abs. 3 MarkenG klar definiert und auf essenzielle Informationen beschränkt. Während Markeninhaber weitreichende Rechte haben, unterliegt der Anspruch engen Grenzen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Interessen Dritter und eine potenzielle wirtschaftliche Ausforschung. Unternehmen, die mit markenrechtlich geschützten Produkten arbeiten, sollten sich bewusst sein, dass sie in einem Markenrechtsstreit zur Offenlegung von Lieferketten und Verkaufsstrukturen verpflichtet sein können. Die Durchsetzung des Anspruchs kann notfalls über einstweilige Verfügungen oder Zwangsvollstreckung erfolgen.
Anspruch auf Vorlage und Besichtigung
Der Anspruch auf Vorlage und Besichtigung gemäß § 19a MarkenG unterscheidet sich wesentlich vom allgemeinen Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG. Während der Auskunftsanspruch dazu dient, eine bereits festgestellte Markenverletzung weiter aufzuklären und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche zu beziffern, soll der Anspruch aus § 19a MarkenG erst einmal klären, ob überhaupt eine Markenrechtsverletzung vorliegt. Er kann daher bereits bei einem begründeten Verdacht geltend gemacht werden und ist zeitlich vor dem eigentlichen Auskunftsanspruch angesiedelt.
In der markenrechtlichen Praxis wird dieser Anspruch vergleichsweise selten geltend gemacht, da er insbesondere im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen Anwendung findet. Dennoch kann er ein wertvolles Instrument sein, um Verdachtsfälle zu untersuchen und frühzeitig Beweise für eine Rechtsverletzung zu sichern.
Voraussetzungen des Anspruchs auf Vorlage und Besichtigung
Damit der Anspruch auf Vorlage und Besichtigung durchgesetzt werden kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
Anspruchsberechtigung: Wer kann den Anspruch geltend machen?
Nur der Markeninhaber selbst kann den Anspruch auf Vorlage und Besichtigung beanspruchen. Anders als beim allgemeinen Auskunftsanspruch nach § 19 MarkenG kann ein Lizenznehmer diesen Anspruch nicht eigenständig durchsetzen – selbst mit Zustimmung des Markeninhabers nicht.
Beispiel:
Ein Unternehmen, das eine eingetragene Marke für Kosmetikprodukte besitzt, erfährt von einer potenziellen Markenverletzung durch einen Händler. Der Markeninhaber kann die Besichtigung der mutmaßlich gefälschten Produkte verlangen, nicht jedoch ein Vertriebspartner oder Lizenznehmer ohne direkte Markenrechte.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Markenverletzung
Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus. Vielmehr muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass tatsächlich eine Markenverletzung vorliegt. Dies wird anhand objektiver Indizien geprüft.
Rechtsprechung und Praxis:
- LG Düsseldorf, Urteil vom 04.02.2015, Az. 2a O 367/13:
Testkäufe mit vorliegenden Quittungen oder Rechnungen können eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Markenverletzung begründen. Ein pauschales Bestreiten der Vorwürfe durch den Anspruchsgegner reicht dann nicht aus. - Praxis:
Wer eine Verdachtslage schaffen will, sollte dokumentierte Testkäufe oder andere belastbare Beweismittel vorlegen können. Screenshots von Verkaufsplattformen, Werbematerialien oder Aussagen von Kunden können ebenfalls hilfreich sein.
Beispiel:
Ein Markeninhaber erfährt, dass ein Händler auffallend preiswerte „Originalprodukte“ seiner Marke verkauft. Durch einen Testkauf wird festgestellt, dass es sich um Fälschungen handelt. Dies genügt als Nachweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für eine Markenverletzung.
Erforderlichkeit zur Begründung von Ansprüchen
Die Vorlage und Besichtigung muss erforderlich sein, um mögliche Ansprüche des Markeninhabers zu begründen. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn eine spätere Schadensersatzforderung vorbereitet wird.
Rechtsprechung:
- LG Düsseldorf, Urteil vom 04.02.2015, Az. 2a O 367/13:
Bereits der Nachweis der möglichen Berechnung eines Schadensersatzanspruchs genügt, um die Erforderlichkeit einer Besichtigung zu begründen.
Beispiel:
Ein Hersteller von Luxusuhren will feststellen, ob ein Händler tatsächlich Fälschungen verkauft oder nur Restbestände eines autorisierten Vertriebspartners. Da sich dies durch eine Besichtigung klären lässt, ist die Vorlage erforderlich.
Keine Unverhältnismäßigkeit der Geltendmachung
Ähnlich wie beim allgemeinen Auskunftsanspruch darf auch der Anspruch auf Vorlage und Besichtigung nicht unverhältnismäßig sein. Hierbei wird eine Abwägung zwischen dem Interesse des Markeninhabers an der Offenlegung und dem Geheimhaltungsinteresse des Anspruchsgegners vorgenommen (§ 19a Abs. 2 MarkenG).
Beispiel für Unverhältnismäßigkeit:
- Der Markeninhaber fordert die Offenlegung von internen Unternehmensdokumenten und Geschäftsstrategien, die über die Markenrechtsverletzung hinausgehen.
- Es handelt sich um einen einmaligen Vorfall ohne wirtschaftliche Relevanz.
Beispiel für Verhältnismäßigkeit:
- Es gibt klare Hinweise auf eine systematische Markenrechtsverletzung.
- Die Besichtigung ist die einzige Möglichkeit, die Authentizität der Ware zu überprüfen.
Umfang des Anspruchs auf Vorlage und Besichtigung
Sind die Voraussetzungen erfüllt, muss der Anspruchsgegner dem Markeninhaber Einsicht in relevante Unterlagen und Waren gewähren.
Offenlegung relevanter Urkunden
Der Anspruchsgegner kann zur Vorlage folgender Dokumente verpflichtet sein:
- Quittungen und Rechnungen, die den Erwerb oder Verkauf markenverletzender Produkte dokumentieren.
- Lieferdokumente zur Nachverfolgung der Warenherkunft.
- Zahlungsbelege, falls die Preisgestaltung eine Rolle spielt.
Besichtigung von Waren und Geschäftsunterlagen
Der Markeninhaber kann verlangen, dass ihm die mutmaßlich markenverletzenden Produkte zur Besichtigung vorgelegt werden. Falls die Markenverletzung gewerblich erfolgte, kann sich die Pflicht auch auf:
- Bank- und Finanzunterlagen,
- Lagerbestände,
- Produktionsaufzeichnungen erstrecken.
Beispiel:
Ein Onlinehändler verkauft möglicherweise gefälschte Markenschuhe. Der Markeninhaber kann verlangen, dass ihm Muster der Schuhe vorgelegt werden. Falls sich der Verdacht erhärtet, können weiterführende Dokumente wie Lieferverträge offengelegt werden.
Einschränkungen durch Geheimhaltungsinteressen
Das Geheimhaltungsinteresse des potenziellen Markenverletzers wird in die Abwägung einbezogen. Unternehmensinterne Daten oder Geschäftsgeheimnisse dürfen nicht preisgegeben werden, es sei denn, sie sind für die Feststellung einer Markenverletzung unerlässlich.
Beispiel:
Ein Händler wird verdächtigt, gefälschte Elektronikprodukte eines bekannten Herstellers zu verkaufen. Der Markeninhaber kann Musterprodukte zur Prüfung verlangen, aber nicht Einsicht in den gesamten Geschäftsbericht des Händlers.
Durchsetzung des Anspruchs
Einstweilige Verfügung bei Beweisgefahr
Besteht die Gefahr, dass der Anspruchsgegner die Beweise vernichtet oder verschwinden lässt, kann der Markeninhaber eine einstweilige Verfügung nach § 19a Abs. 3 MarkenG beantragen.
Praxisbeispiel:
Ein Unternehmen vertreibt gefälschte Luxusuhren über ein Online-Portal. Da es möglich ist, dass der Händler nach einer Abmahnung alle gefälschten Uhren entfernt, beantragt der Markeninhaber eine einstweilige Verfügung auf Besichtigung der Restbestände.
Folgen einer unberechtigten Geltendmachung
Stellt sich heraus, dass keine Markenrechtsverletzung vorliegt, kann der Markeninhaber wegen unberechtigter Inanspruchnahme schadensersatzpflichtig werden (§ 19a Abs. 5 MarkenG). Dies dient als Schutz gegen missbräuchliche Anfragen.
Beispiel:
Ein Unternehmen verlangt von einem Händler die Vorlage von Finanzunterlagen, um angebliche Markenrechtsverstöße zu prüfen. Nach gerichtlicher Prüfung stellt sich heraus, dass keine Verletzung vorlag. Der Händler kann nun Schadensersatz für die unberechtigte Offenlegung seiner Daten verlangen.
Der Anspruch auf Vorlage und Besichtigung nach § 19a MarkenG stellt ein wichtiges Instrument dar, um in Zweifelsfällen festzustellen, ob eine Markenverletzung vorliegt. Er ermöglicht eine frühzeitige Beweissicherung, ohne dass eine gesicherte Rechtsverletzung vorliegen muss. Allerdings unterliegt er strengen Voraussetzungen und darf nicht unverhältnismäßig geltend gemacht werden. Unternehmen sollten sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein, insbesondere der Schadensersatzpflicht bei missbräuchlicher Nutzung dieses Anspruchs.
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