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Vereinsmitglied kann Anspruch auf Mitgliederliste inkl. E-Mail-Adressen haben

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Frage, ob ein Vereinsmitglied ein Anrecht auf die Herausgabe der Mitgliederliste inklusive E-Mail-Adressen hat, ist nicht nur datenschutzrechtlich brisant, sondern berührt auch zentrale Aspekte der innerverbandlichen Demokratie. Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm (Urteil vom 26.04.2023 – Az. 8 U 94/22) hat diese Frage nun grundlegend beantwortet – mit praxisrelevanten Folgen für Vereinsmitglieder und Vorstände gleichermaßen.

Ausgangspunkt: Informationsbegehren eines Vereinsmitglieds

Der Kläger war Mitglied in einem großen Verein mit etwa 5.500 weiteren Mitgliedern. Ziel seines Begehrens war es, eine Gegenposition zu bestimmten Entscheidungen des Vorstands aufzubauen und für diese innerverbandlich zu werben – also klassische vereinsinterne Opposition zu betreiben. Um in diesem Zusammenhang Unterstützer zu gewinnen und zur bevorstehenden Mitgliederversammlung mobilisieren zu können, beantragte er beim Verein die Herausgabe einer Mitgliederliste, die nicht nur Namen und Anschriften, sondern auch die E-Mail-Adressen aller Mitglieder enthalten sollte.

Sein Anliegen begründete er damit, dass nur eine direkte, kostengünstige Kontaktaufnahme per E-Mail eine effektive Organisation seiner Position ermögliche. Ein postalischer Versand sei ihm aufgrund der immensen Kosten (bei rund 5.500 Mitgliedern) wirtschaftlich nicht zumutbar.

Der Verein lehnte das Gesuch jedoch mit Hinweis auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ab. Die Weitergabe der E-Mail-Adressen an ein einzelnes Mitglied sei mit den datenschutzrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar.

Die Satzung: Kommunikation per E-Mail vorgesehen – aber keine Mitteilungspflicht

Ein Blick in die Satzung des Vereins zeigte: Die Möglichkeit der Kommunikation per E-Mail wurde dort ausdrücklich mehrfach vorgesehen. So war etwa geregelt, dass Einladungen zu Mitgliederversammlungen auch per E-Mail verschickt werden können. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Mitglieder, dem Verein eine E-Mail-Adresse zur Verfügung zu stellen, bestand hingegen nicht.

Das OLG Hamm hielt dies jedoch nicht für ausschlaggebend – im Gegenteil: Die Satzung zeige gerade, dass der Verein selbst E-Mail-Kommunikation als reguläres Mittel der Mitgliederinformation anerkenne. Daraus leitete das Gericht im Weiteren auch Konsequenzen für die datenschutzrechtliche Beurteilung ab.

Entscheidung des OLG Hamm: Anspruch auf Mitgliederliste inklusive E-Mail-Adressen

a) Informationsanspruch aus dem Mitgliedschaftsverhältnis

Das Gericht stellte zunächst klar, dass ein Vereinsmitglied grundsätzlich einen Anspruch darauf haben kann, eine Mitgliederliste zur Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte zu erhalten. Dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus dem Mitgliedschaftsverhältnis, also aus dem schuldrechtlichen Vertrag zwischen Mitglied und Verein, der durch Beitritt und Satzung zustande kommt.

Ein solcher Informationsanspruch ist vor allem dann gegeben, wenn der Zugriff auf die Mitgliederdaten notwendig ist, um eigene Rechte innerhalb des Vereins wahrzunehmen – wie etwa die Ausübung des Rede-, Antrags- oder Wahlrechts. Der Kläger wollte mit anderen Mitgliedern in Kontakt treten, um für seine Position im Vorfeld der Mitgliederversammlung zu werben. Das OLG Hamm erkannte darin ein berechtigtes Interesse, das auf die Durchsetzung legitimer Mitgliedschaftsrechte abzielt.

b) Überwiegendes Interesse des Klägers

Zentraler Aspekt des Urteils war die Frage, ob dieses berechtigte Interesse des Klägers das Interesse einzelner Mitglieder an Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung überwiegt. Das Gericht bejahte dies eindeutig.

In den Entscheidungsgründen heißt es:

„Der Kläger hat auch ein überwiegendes Interesse daran, die E-Mail-Adressen der Kon-Mitglieder zu erhalten (...).“

Das Gericht betonte vor allem die wirtschaftliche Zumutbarkeit:

„Wäre er auf den postalischen Versand von Erklärungen angewiesen, so würde dies die unmittelbare Kontaktaufnahme mit den (hier: rund 5.500) Mitgliedern wirtschaftlich weitgehend vereiteln.“

Das sogenannte Kosteninteresse des Klägers sei besonders schützenswert – denn eine demokratische Willensbildung innerhalb eines Vereins dürfe nicht an finanziellen Hürden scheitern.

Das Gericht stellte zudem klar, dass das Interesse einzelner Mitglieder, nicht belästigt zu werden, zwar nachvollziehbar sei, im konkreten Fall aber nicht schwerer wiege als das Interesse des Klägers an der Kontaktaufnahme:

„Das – mögliche – gegenläufige Interesse einzelner Mitglieder an Nichtbelästigung wiegt für sich nicht schwer (...).“

Datenschutzrechtliche Bewertung: Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO

a) Vertragsbeziehung als Rechtfertigung

Spannend ist die rechtliche Herleitung: Das OLG Hamm prüfte, ob die Weitergabe der E-Mail-Adressen datenschutzrechtlich zulässig ist – und bejahte dies unter Verweis auf Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist. Der Vertrag im konkreten Fall ist das Mitgliedschaftsverhältnis – und dieses umfasst laut Gericht auch Nebenpflichten wie die Möglichkeit effektiver Kommunikation.

„Was zur Erfüllung des Vertrags erforderlich ist, bestimmen die Rechte und Pflichten des Vertrags. Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflichten ist dabei nicht vorzunehmen.“

Entscheidend sei, ob die Verarbeitung (hier: die Weitergabe der E-Mail-Adressen) für die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte erforderlich ist – und das sei vorliegend der Fall. Denn: Ohne die Information über die übrigen Mitglieder könne der Kläger seine Rechte nicht effektiv ausüben.

b) Kein objektiver Maßstab, sondern privatautonomer Interessenausgleich

Ein bemerkenswerter Aspekt der Entscheidung ist, dass das OLG Hamm keinen objektiven Maßstab für die Beurteilung der Erforderlichkeit anlegt. Im Gegensatz zum öffentlichen Datenschutzrecht (etwa im Verhältnis Bürger–Staat) gehe es hier um ein privatrechtliches Verhältnis, bei dem der von den Parteien gewählte privatautonome Interessenausgleich im Mittelpunkt steht:

„Bei der Bewertung als ‚erforderlich‘ ist dabei – anders als im Verhältnis zwischen Bürger und Staat – kein objektiver Maßstab anzulegen, sondern der von den Parteien privatautonom gewählte Interessenausgleich zugrunde zu legen.“

Das bedeutet: Die Mitglieder eines Vereins bestimmen durch Beitritt und Satzung selbst, welche Rechte und Pflichten gelten – und genau daran ist auch die datenschutzrechtliche Zulässigkeit zu messen.

Praktische Konsequenzen für Vereine und Mitglieder

Für Vereinsmitglieder:

  • Sie können unter bestimmten Umständen die Herausgabe einer Mitgliederliste mit E-Mail-Adressen verlangen.
  • Entscheidend ist ein nachvollziehbares, überwiegendes berechtigtes Interesse, etwa zur Kontaktaufnahme mit Blick auf eine Mitgliederversammlung.
  • Das Urteil gibt Ihnen ein starkes Instrument zur Durchsetzung Ihrer Mitwirkungsrechte an die Hand.

Für Vereinsvorstände:

  • Der Verweis auf Datenschutz allein reicht nicht aus, um ein solches Begehren pauschal abzulehnen.
  • Die Entscheidung macht deutlich: Sorgfältige Interessenabwägung ist erforderlich.
  • Die Satzung sollte präzise regeln, welche Kommunikationsformen vorgesehen sind und wie mit E-Mail-Adressen umzugehen ist.
  • Eine transparente Datenschutzpraxis stärkt nicht nur das Vertrauen der Mitglieder, sondern schützt auch vor unnötigen Rechtsstreitigkeiten.

Empfehlungen zur Satzungsgestaltung

Nach dem Urteil empfiehlt es sich dringend, Satzungen zu überarbeiten oder zu konkretisieren. Folgende Aspekte sollten geregelt werden:

  • Pflicht zur Mitteilung einer E-Mail-Adresse bei Eintritt in den Verein.
  • Klarstellung, dass Mitgliederlisten zu bestimmten Zwecken weitergegeben werden dürfen (z. B. zur Vorbereitung von Mitgliederversammlungen).
  • Verfahren für die Antragstellung auf Herausgabe und deren Umfang.
  • Verbot von werblicher Nutzung der Daten durch Mitglieder (nur vereinsbezogene Kommunikation erlaubt).

Fazit: Stärkung der Vereinsdemokratie durch digitale Kommunikation

Die Entscheidung des OLG Hamm ist ein starkes Signal: Datenschutz darf nicht zur Blockade innerverbandlicher Demokratie führen. Wer seine Rechte als Vereinsmitglied effektiv wahrnehmen möchte, darf nicht auf teure und umständliche Wege verwiesen werden. Die E-Mail ist längst ein selbstverständliches Kommunikationsmittel – das gilt auch im Vereinsleben.

Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass die DSGVO Raum für Interessenabwägung lässt – und dass Vereinsrecht und Datenschutzrecht keine Gegensätze sein müssen. Voraussetzung ist jedoch eine durchdachte Satzung und eine sorgfältige Interessenanalyse im Einzelfall.

Benötigen Sie Unterstützung bei der Auslegung Ihrer Vereinssatzung oder bei datenschutzrechtlichen Fragestellungen im Vereinskontext?
Wir beraten Sie gerne individuell und rechtssicher – als Vorstand, Vereinsmitglied oder Datenschutzverantwortlicher.

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