BGH konkretisiert Anforderungen an mittelbare Herkunftstäuschung

Mit seiner Entscheidung vom 10. April 2025 (Az. I ZR 80/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) einen weiteren Meilenstein zur Abgrenzung zulässiger Produktgestaltung von unlauterer Nachahmung gesetzt. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Produktdesign beim Verbraucher die irrige Vorstellung erweckt, es stamme aus demselben Unternehmen wie ein bekanntes Original – obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Die sogenannte mittelbare Herkunftstäuschung stellt eine klassische Fallgruppe im Lauterkeitsrecht dar und hat in diesem Urteil eine deutliche Konturierung erfahren.
Der Ausgangsfall: Der „Stapelstein“ und seine Nachahmer
Klägerin des Verfahrens war die Herstellerin eines bekannten Bewegungsspielzeugs, das unter dem Namen „Stapelstein“ seit 2017 am Markt präsent ist. Das Produkt besteht aus expandiertem Polypropylen (EPP) und zeichnet sich durch eine markante Hohlform mit abgerundeter Silhouette aus. Seine Oberfläche weist eine zweigeteilte Textur auf, die den Steinen eine visuelle und haptische Besonderheit verleiht. Eine dezente Markenprägung rundet das Erscheinungsbild ab, das sich im Markt fest etabliert hat und mit pädagogischem Nutzen beworben wird.
Dem gegenüber standen Spielsteine eines Wettbewerbers, die unter den Bezeichnungen „MeinKreativStein“ und „MeinVerwandlungsStein“ vertrieben wurden. Auch diese bestanden aus EPP, wiesen ähnliche Farbkonzepte auf und verfügten über eine Oberflächenstruktur, die derjenigen des Stapelsteins stark ähnelte. Die Form der Beklagtenprodukte unterschied sich allerdings: Statt einer Hohlform handelte es sich um kompakte, massive Körper. Trotz dieser Abweichung empfand die Klägerin die Produkte als zu ähnlich und warf der Beklagten eine gezielte Nachahmung mit irreführender Wirkung vor.
Der Prozessverlauf: Instanzgerichte sehen Herkunftstäuschung
Das Landgericht Hamburg folgte der Argumentation der Klägerin und untersagte der Beklagten den Vertrieb ihrer Produkte wegen unlauterer Nachahmung. Auch das Oberlandesgericht Hamburg sah die Ähnlichkeiten in Gestaltung und Anmutung als ausreichend an, um bei einem relevanten Teil der Verbraucher den Eindruck zu erwecken, es handele sich bei den Produkten der Beklagten um eine Erweiterung oder Serie der „Stapelstein“-Reihe. Diese Entscheidung stützte sich auf die Annahme, dass durch Material, Oberfläche und Gesamtbild eine Assoziation mit dem Originalprodukt geweckt werde, die über bloße Ähnlichkeit hinausgehe.
Der BGH entscheidet: Maßgeblich ist die prägende Gestaltung
Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil in Teilen auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Dabei bestätigte er grundsätzlich, dass das klägerische Produkt über eine wettbewerbliche Eigenart verfügt. Diese ergebe sich aus dem Zusammenspiel der gestalterischen Elemente wie Form, Material, Struktur und Prägung, das dem Verbraucher als unverwechselbares Produktbild entgegentritt. Diese Eigenart sei jedenfalls in einem Umfang vorhanden, der eine wettbewerbsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Nachahmung rechtfertige.
Gleichwohl stellte der BGH klar, dass nicht jede visuelle oder haptische Ähnlichkeit eine Herkunftstäuschung begründet. Entscheidend sei, ob die übernommenen Gestaltungsmerkmale für das Gesamtbild des Produkts prägend sind. Die Herkunftsvorstellung des Verbrauchers orientiere sich an den auffälligsten und einprägsamsten Merkmalen eines Produkts. Seien diese Merkmale bei der Nachahmung nicht oder nur abgewandelt übernommen worden, könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Publikum eine Produktverbindung herstellt.
Der Streit um die Form: Hohlkörper versus Vollkörper
In der vorliegenden Konstellation kam dem Formunterschied zwischen Original und Nachahmung besondere Bedeutung zu. Der Stapelstein sei gerade durch seine charakteristische Hohlform geprägt, die sich sowohl optisch als auch funktional vom massiven Vollkörper der Nachahmer unterscheide. Während das Berufungsgericht diesen Unterschied als nicht entscheidungserheblich eingestuft hatte, sah der BGH darin eine erhebliche Abweichung, die das Risiko einer mittelbaren Herkunftstäuschung deutlich abschwäche. Es sei nicht ersichtlich, dass Verbraucher ein solch markantes Gestaltungsmerkmal als bloße Modellvariante innerhalb einer Produktserie auffassen würden.
Produktbezeichnung und Kennzeichnung als weitere Faktoren
Zusätzlich betonte der BGH die Bedeutung der äußeren Kennzeichnung des Produkts. Zwar fehle bei den Nachahmungen eine klare Markenprägung wie bei der Klägerin, doch würden die Produkte unter eigenständigen Bezeichnungen vertrieben, die sich zumindest verbal vom Original abgrenzen. Auch dies könne in der Gesamtbetrachtung dazu beitragen, dass der Verbraucher nicht von einer gemeinsamen Herkunft ausgeht. Der Umstand, dass bestimmte Produktarten – insbesondere Spielwaren – häufig ohne Markenhinweis im Onlinehandel angeboten werden, reiche nicht aus, um eine Herkunftsvermutung zu rechtfertigen. Vielmehr müsse stets geprüft werden, wie stark die Assoziation im konkreten Erwerbskontext tatsächlich ausfällt.
Konsequenz: Zurückverweisung an das Berufungsgericht
Da das Berufungsgericht die abweichende Formgestaltung nicht hinreichend gewürdigt hatte und auch die Frage der Verkehrsauffassung nicht ausreichend aufgearbeitet war, wurde das Verfahren zur neuen Verhandlung an das OLG zurückverwiesen. Dort wird nun erneut zu klären sein, wie der durchschnittlich informierte Verbraucher die streitgegenständlichen Produkte im tatsächlichen Erwerbskontext wahrnimmt und ob die Gestaltung der Beklagten – trotz der Unterschiede – tatsächlich den Eindruck einer Serienerweiterung erweckt.
Fazit: Schutz vor Nachahmung braucht prägnante Merkmale
Das Urteil verdeutlicht, dass der Schutz vor unlauterer Nachahmung nicht pauschal durch eine gewisse Ähnlichkeit begründet wird. Vielmehr ist entscheidend, ob gerade die dominanten, den Gesamteindruck prägenden Gestaltungsmerkmale übernommen werden – und ob diese bei einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise zu einer gedanklichen Verbindung mit dem Original führen. Der BGH betont erneut, dass Designschutz über das Lauterkeitsrecht eine differenzierte Prüfung erfordert, bei der auch geringfügige Abweichungen maßgeblich sein können.
Für Hersteller und Markeninhaber ist das Urteil ein deutliches Signal: Wer den Schutz seiner Produkte sicherstellen will, sollte auf klar identifizierbare, prägende Gestaltungsmerkmale setzen. Für Wettbewerber wiederum bedeutet die Entscheidung, dass Produktvarianten zulässig bleiben – solange sie sich ausreichend abgrenzen und keine gezielte Herkunftsassoziation beim Verbraucher hervorrufen.
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