Amazon haftet für Markenverletzungen von Drittanbietern

Was passiert, wenn ein französischer Designer einem der größten Online-Händler der Welt wegen Markenverletzung die Stirn bietet? Genau das war der Fall in dem Verfahren, das nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landete. Im Mittelpunkt stand die spannende Frage: Haftet Amazon für Markenrechtsverstöße seiner Drittanbieter – ja oder nein?
Die Antwort des EuGH ist ein deutliches: Ja – unter bestimmten Umständen schon.
In diesem Beitrag zeigen wir leicht verständlich und gleichzeitig juristisch fundiert, wie der EuGH die Haftung von Amazon bewertet hat und was das für Plattformbetreiber, Markeninhaber und Händler bedeutet.
Der Fall: Luxusschuh-Designer vs. Amazon
Der Kläger war kein Unbekannter: ein französischer Modedesigner, bekannt für hochwertige und markengeschützte Luxusschuhe. Auf verschiedenen Amazon-Webseiten tauchten Verkaufsanzeigen für Schuhe auf, die seiner Marke täuschend ähnlich sahen – ohne seine Zustimmung.
Die Besonderheit: Diese Anzeigen stammten nicht von Amazon direkt, sondern von Drittverkäufern auf dem Amazon Marketplace.
Amazon verteidigte sich wie folgt:
- Die fraglichen Angebote seien von unabhängigen Marketplace-Verkäufern.
- Amazon stelle lediglich die Plattform zur Verfügung.
- Die Einbindung des Amazon-Logos sei kein Hinweis darauf, dass Amazon selbst Anbieter sei.
- Die unterstützenden Dienstleistungen (wie Lagerung oder Versand) änderten nichts an dieser rechtlichen Trennung.
Doch der EuGH ließ diese Argumentation nicht durchgehen.
Die zentrale Rechtsfrage: Wann benutzt Amazon selbst ein fremdes Markenzeichen?
Im Zentrum des Rechtsstreits stand Art. 9 Abs. 2 lit. a der Unionsmarkenverordnung (UMV). Dieser besagt:
„Der Markeninhaber kann Dritten die Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens für identische Waren verbieten.“
Aber was heißt „Benutzung“ in diesem Zusammenhang? Und kann man Amazon diese Benutzung zurechnen, wenn andere Anbieter markenverletzende Produkte verkaufen?
Der EuGH beantwortete diese Frage nicht pauschal, sondern konkret bezogen auf die Außendarstellung und das Verhalten von Amazon.
Der Leitsatz des EuGH: Wann Plattformbetreiber wie Amazon haften
Der Leitsatz des Urteils ist wegweisend:
Der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform kann dann als „Benutzer“ einer Marke gelten, wenn für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Nutzer der Eindruck entsteht, dass der Plattformbetreiber selbst Anbieter der markenverletzenden Ware ist.
Entscheidend sind laut EuGH insbesondere drei Faktoren:
- Einheitliche Präsentation der Produkte:
- Amazon zeigt Produkte eigener Händler und Marketplace-Verkäufer nebeneinander an – in derselben Form und ohne klare Abgrenzung.
- Verwendung des Amazon-Logos:
- Das Amazon-Logo erscheint bei allen Angeboten – unabhängig davon, wer tatsächlich verkauft.
- Zusätzliche Dienstleistungen von Amazon:
- Amazon lagert, verpackt und versendet die Produkte auch für Marketplace-Verkäufer (Fulfillment by Amazon, FBA).
- Damit tritt Amazon nicht nur als Plattform, sondern als aktiver Teil des Verkaufsprozesses auf.
Wenn all diese Aspekte zusammentreffen, kann der Eindruck entstehen, dass Amazon selbst Verkäufer ist – und damit auch haftet.
Der neue Maßstab: Die Sicht des Durchschnittsnutzers
Der EuGH stellt nicht auf die juristische Trennung zwischen Amazon und Drittanbietern ab. Stattdessen fragt er: Was denkt ein normaler Amazon-Kunde?
Wenn ein Kunde vernünftigerweise glauben kann, dass Amazon selbst die Ware anbietet, liegt eine Markenbenutzung durch Amazon vor – auch wenn Amazon nur als Mittler agiert hat.
Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher konnten sich Plattformbetreiber oft hinter der Argumentation verstecken, lediglich eine „neutrale technische Infrastruktur“ zu stellen. Diese Schutzbehauptung ist nach diesem Urteil deutlich schwieriger aufrechtzuerhalten.
Was bedeutet das für Amazon konkret?
Amazon muss sich künftig deutlich stärker bemühen, eigene Angebote und die von Drittanbietern klar zu trennen – wenn es nicht haften will.
Mögliche Maßnahmen wären etwa:
- Klarer Hinweis, ob ein Produkt von Amazon oder einem Drittanbieter stammt.
- Trennung der Darstellung (z. B. über gesonderte Layouts oder Logos).
- Kein Amazon-Logo bei Drittanbieter-Produkten, sofern keine direkte Verantwortung übernommen wird.
- Transparenz bei Zusatzleistungen wie Versand oder Lagerung.
Bleiben diese Maßnahmen aus, muss Amazon mit gerichtlichen Auseinandersetzungen und Unterlassungsansprüchen rechnen – insbesondere bei bekannten Marken.
Bedeutung für Markeninhaber
Für Markeninhaber ist das Urteil ein starkes Werkzeug:
✅ Sie können sich künftig direkt gegen Plattformen wenden, wenn dort markenverletzende Produkte erscheinen.
✅ Der oft langwierige Weg über die Identifizierung und Verfolgung einzelner Marketplace-Verkäufer wird dadurch abgekürzt.
✅ Gerade bei Markenfälschungen ist das Urteil ein Meilenstein im Kampf gegen Onlinepiraterie.
Bedeutung für Drittverkäufer auf Amazon
Auch Händler auf dem Amazon Marketplace sollten die Entscheidung nicht auf die leichte Schulter nehmen:
❗ Amazon könnte künftig rigider gegen Verkäufer vorgehen, um die eigene Haftung zu minimieren.
❗ Wer markenrechtlich bedenkliche Produkte anbietet, riskiert Sperrung, Vertragsstrafen oder Regressforderungen durch Amazon.
❗ Mehr denn je sollten Händler darauf achten, nur Originalprodukte mit nachweisbaren Rechten zu vertreiben.
Fazit: Der EuGH bringt Bewegung ins Plattformrecht
Die Entscheidung des EuGH vom 22.12.2022 (C-148/21) ist wegweisend:
- Plattformbetreiber haften nicht automatisch, aber unter bestimmten Umständen sehr wohl für Markenrechtsverletzungen Dritter.
- Entscheidend ist der Eindruck des durchschnittlichen Nutzers, nicht die interne Plattformstruktur.
- Markeninhaber erhalten ein wirksames Mittel, um sich gegen Produktpiraterie auf großen Plattformen zu wehren.
Für Amazon und Co. bedeutet das: Nachbessern ist Pflicht – wer sich der Verantwortung entziehen will, muss auch optisch, technisch und organisatorisch klar trennen.
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