Alkoholfreier „Gin“? Warum die Bezeichnung für 0,0-Getränke riskant ist
Alkoholfreie Getränke mit Wacholdernote erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Gerade im Onlinehandel wird gern mit „Gin-Geschmack“ oder „Gin-Feeling ohne Alkohol“ geworben. Nach der aktuellen Rechtsprechung ist das riskant: Die Wortwahl „alkoholfreier Gin“ wird regelmäßig als irreführend eingestuft – und zwar unabhängig davon, ob Sie nur die Produktüberschrift, die Kategoriebeschreibung oder die Meta-Tags so benennen.
Der Fall vor dem LG Hildesheim
Ein Wettbewerbsverband ging gegen einen Händler vor, der ein Getränk in einer Glasflasche mit deutlicher Wacholdernote online als „alkoholfreier Gin“ bewarb. Das Landgericht Hildesheim (Urteil vom 06.06.2025 – Az.: 11 O 4/24) gab dem Verband Recht. Nach Auffassung des Gerichts erwartet der Durchschnittsverbraucher bei „Gin“ eine Spirituose, die bestimmten qualitativen und herstellungsbezogenen Anforderungen genügt. Ein Getränk ohne Alkoholgehalt erfülle diese Erwartungen nicht – selbst dann nicht, wenn Geschmack, Farbe und Aufmachung bewusst an Gin erinnern.
Ausgangspunkt: Was „Gin“ rechtlich bedeutet
Nach der maßgeblichen europäischen Systematik ist „Gin“ eine klar definierte Spirituosenkategorie. Dazu gehört ein Mindestalkoholgehalt von 37,5 % vol. sowie ein bestimmter, wacholderbetonter Charakter, der aus einem alkoholischen Herstellungsprozess resultiert. Ein Produkt, das ohne Alkohol erzeugt und mit Wasser oder Aromen angesetzt wird, ist keine Spirituose. Es handelt sich weder um „Gin“ noch um eine „entalkoholisierte“ Gin-Variante. Die Schutzregelungen sollen den Verbraucherschutz und den Ruf traditioneller Spirituosen sichern.
Warum „alkoholfreier Gin“ die Grenze überschreitet
Das LG Hildesheim betont: Die Verkehrsbezeichnung darf nicht verwässert werden. Ein alkoholfreies Getränk unter dem Schlagwort „Gin“ – sei es als „alkoholfreier Gin“, „Gin-Typ“ oder „Gin-Alternative“ – knüpft unzulässig an die Reputation der Spirituosenkategorie an und prägt falsche Erwartungen an Art, Qualität und Herstellungsprozess. Aus juristischer Sicht kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Verkäufer zusätzlich Hinweise wie „0,0 %“ oder „ohne Alkohol“ anbringt. Solche Klarstellungen ändern regelmäßig nichts daran, dass der Kernbegriff „Gin“ geschützt ist.
Online ist keine Grauzone
Manchmal wird angenommen, im Internet gelte ein „lockerer“ Sprachgebrauch. Das überzeugt rechtlich wenig. Nach dem Hildesheimer Urteil macht es keinen Unterschied, ob Sie im stationären Handel, in einem Webshop, auf Marktplätzen, in Social-Ads oder in Produktfeeds werben. Entscheidend ist, welches Verständnis die Bezeichnung beim Verbraucher auslöst – und das ist online nicht anders als offline. Schon Titel, Breadcrumbs, Filter, Alt-Texte, Hashtags oder Structured Data können ins Gewicht fallen. Wer hier das Wort „Gin“ verwendet, geht ein Abmahnrisiko ein.
Irreführung und Anlehnung an geschützte Kategorien
Wettbewerbsrechtlich bewegt sich die Bezeichnung im Bereich der Irreführung über wesentliche Produkteigenschaften. Zugleich greift der Kategorieschutz für Spirituosenbezeichnungen, der Drittanbieter gerade nicht dazu berechtigt, den Ruf einer geschützten Kategorie für alkoholfreie Produkte auszuschöpfen. Geschmackliche Nähe oder ähnliche Optik ersetzen nicht den rechtlichen Status als Spirituose.
Was heißt das für Ihre Praxis
Produktnamen rechtssicher wählen
Vermeiden Sie in der Hauptbezeichnung jegliche „Gin“-Begriffe. Sichere Alternativen können sein:
- Alkoholfreies Wacholdergetränk
- Wacholder-Botanical Drink ohne Alkohol
- Wacholder-Infusion 0,0 %
- Botanical-Mix alkoholfrei
Diese Formulierungen beschreiben die Geschmacksrichtung, ohne die geschützte Bezeichnung zu verwenden. Vermeiden Sie Begriffe, die Gin unmittelbar enthalten oder nahelegen, etwa „Gin-Style“, „Gin-Alternative“ oder „Gin-Typ“.
Aufmachung, Bildsprache und Flaschenform
Die Gesamterscheinung kann die Erwartung „Spirituose“ verstärken. Wenn alkoholfreie Produkte klassische Gin-Flaschen imitieren und mit Gin-typischer Etikettengestaltung auftreten, steigt das Risiko einer Irreführung. Eine klare, sachliche Kennzeichnung mit gut sichtbarem „alkoholfrei/0,0 %“ und ohne „Gin“ wirkt dem entgegen.
Online-Shop, Marktplätze und SEO
- Titel & Kurzbeschreibung: Kein „Gin“ in Title, H1, Produkt-Tiles oder Teaser-Texten.
- Kategorien & Filter: Keine Einsortierung unter „Gin“ oder „Gin-ähnlich“. Besser eigene Kategorie für alkoholfreie Wacholdergetränke/Botanical Drinks.
- Meta-Tags & Structured Data: Auch hier „Gin“ vermeiden. Nutzen Sie „alkoholfrei“, „Wacholder“, „Botanical“.
- Ads & Social: Keine „Gin“-Claims in Headlines, Anzeigentexten, Bildoverlays oder Hashtags.
- Produktvergleiche: Aussagen wie „wie Gin“ sind heikel. Besser „Wacholdernote inspiriert von klassischen Drinks“, ohne die geschützte Bezeichnung zu verwenden.
Kennzeichnung auf Etikett und Verpackung
- Deutliche Angabe „alkoholfrei/0,0 %“ an prominenter Stelle.
- Keine Spirituosen-Kategorie auf dem Label.
- Zutaten & Herstellungsweise transparent, ohne Anklänge an Destillation mit Ethylalkohol.
Häufige Fragen
Reicht ein deutlicher Hinweis „0,0 %“ aus?
Ein „0,0 %“-Hinweis ist für Transparenz sinnvoll, hebt die Schutzwirkung des Begriffs „Gin“ jedoch in der Regel nicht auf. Die Verkehrserwartung an „Gin“ als Spirituose bleibt bestehen.
Darf ich „Gin“ in Vergleichsaussagen nennen?
Vergleiche wie „schmeckt wie Gin“ können missverständlich wirken, wenn sie die Kategorienähe überbetonen. Neutrale, geschmacksbezogene Beschreibungen sind meist die bessere Wahl.
Ist „entalkoholisierter Gin“ zulässig?
Die Bezeichnung setzt einen Ausgangs-Gin und ein Entalkoholisierungsverfahren voraus. Bei reinen Null-Prozent-Getränken ohne vorherige Spirituosenherstellung trifft das nicht zu. Die sichere Linie ist eine „Gin“-freie Benennung.
Dürfen wir „Gin“ zumindest als Zutat anführen?
Wenn kein Gin verwendet wird, darf er nicht als Zutat erscheinen. Aromen mit Wacholderbezug werden zutreffend bezeichnet, ohne die Spirituosenkategorie zu nennen.
Fazit
Das Urteil des LG Hildesheim unterstreicht, dass „Gin“ als Spirituosenbegriff rechtlich geschützt ist. Alkoholfreie Wacholdergetränke dürfen regelmäßig nicht so benannt werden, als handele es sich um „alkoholfreien Gin“ – auch nicht online. Wer klare, beschreibende Alternativen nutzt und Daten, Labels sowie Werbemittel konsistent ausrichtet, reduziert das Risiko deutlich und kommuniziert zugleich transparent gegenüber Verbrauchern.
Ansprechpartner
Frank Weiß
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