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Ärzte-Siegel von FOCUS nicht wettbewerbswidrig

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Das Vertrauen der Patienten in ärztliche Kompetenz ist besonders hoch – und besonders verletzlich. Wer sich in medizinische Behandlung begibt, erwartet Qualifikation, Erfahrung und Seriosität. Umso bedeutender ist die Frage, welche Informationen bei der Arztwahl Orientierung bieten dürfen. Ein beliebtes Werbemittel in der Gesundheitsbranche sind sogenannte Ärztesiegel – allen voran die vom Magazin FOCUS vergebenen Auszeichnungen „TOP MEDIZINER“ und „FOCUS Empfehlung“.

Doch wie aussagekräftig sind solche Siegel wirklich? Und dürfen Ärzte mit ihnen werben, ohne gegen das Lauterkeitsrecht zu verstoßen?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Rechtsstreits zwischen der Wettbewerbszentrale und dem FOCUS-Verlag. Während das LG München I in erster Instanz von einer Irreführung der Verbraucher ausging, hob das OLG München dieses Urteil nun auf. Die FOCUS-Siegel sind zulässig, es liegt kein Wettbewerbsverstoß vor (OLG München, Urteil vom 22.05.2025 – Az.: 29 U 867/23 e).

Der Sachverhalt: Wie FOCUS seine Ärztesiegel vergibt

a) Das Geschäftsmodell

Der Verlag der Zeitschrift FOCUS gibt regelmäßig das Sonderheft „FOCUS Gesundheit“ heraus. Darin erscheinen sogenannte „Ärztelisten“, die Ärztinnen und Ärzte in verschiedenen Fachrichtungen namentlich aufführen – versehen mit Angaben zu Spezialisierung, Behandlungsangeboten, wissenschaftlicher Tätigkeit und Patientenbewertungen.

Auf Basis dieser Listen bietet der Verlag kostenpflichtige Siegel an, nämlich:

  • „TOP MEDIZINER“ – für Ärzte, die auf den entsprechenden Listen erscheinen,
  • „FOCUS Empfehlung“ – eine weitere Auszeichnung auf Grundlage der redaktionellen Recherchen.

Diese Siegel sind Teil eines Lizenzmodells: Nur wer in der Liste genannt ist, darf das Siegel nutzen – jedoch nur gegen eine Gebühr, die bei Erwerb fällig wird. Die ärztlichen Siegel dürfen dann zur Selbstvermarktung, etwa auf der Praxis-Website oder in Printanzeigen, verwendet werden.

b) Die Kritik der Wettbewerbszentrale

Die Wettbewerbszentrale sah in diesem Modell einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot (§ 5 UWG). Ihre Hauptargumente:

  • Die Siegel erweckten den Eindruck objektiver Prüfsiegel, ähnlich wie TÜV-Zeichen.
  • Die Auswahlkriterien seien nicht transparent genug und enthielten starke subjektive Elemente, etwa Empfehlungen durch Kollegen oder Bewertungen von Patienten.
  • Verbraucher könnten daher fälschlich annehmen, dass es sich um das Ergebnis einer neutralen, externen Prüfung handle.

Das Landgericht München I folgte dieser Argumentation (Urt. v. 13.02.2023 – Az.: 4 HK O 14545/21) und untersagte dem FOCUS-Verlag die weitere Vergabe und Nutzung der Siegel in der bisherigen Form.

Die Entscheidung des OLG München – Warum keine Irreführung vorliegt

In der Berufung hob das Oberlandesgericht München das Urteil der Vorinstanz auf. Es verneinte einen Wettbewerbsverstoß gemäß §§ 3, 5 UWG. Nach Auffassung des Senats liegt keine Irreführung über die Herkunft oder Aussagekraft der Siegel vor.

a) Maßstab: Wie versteht der Durchschnittsverbraucher das Siegel?

Zentraler Prüfmaßstab im Wettbewerbsrecht ist stets die Sicht des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers.

Das OLG München stellt klar: Dieser Verbraucher erkennt, dass es sich bei dem Siegel um eine journalistische Empfehlung handelt – nicht um ein amtliches oder technisches Prüfzeichen.

„Entgegen der Auffassung des Klägers versteht der angesprochene Verkehr die streitgegenständlichen Siegel der Beklagten nicht als Prüfzeichen oder Gütesiegel (…)“

Der durchschnittliche Nutzer könne zwischen einem redaktionellen Qualitätshinweis und einem amtlich vergebenen Siegel durchaus unterscheiden. Dies gelte umso mehr, als auf den Siegeln prominent das FOCUS-Logo erscheine. Gerade diese markante Kennzeichnung mache unmissverständlich klar, dass der Ursprung journalistisch und nicht hoheitlich oder technisch sei.

b) Redaktionsarbeit ist kein Täuschungstatbestand

Nach Ansicht des Gerichts stellt die journalistische Arbeitsweise kein Mangel an Seriosität dar, solange nachvollziehbare Kriterien zur Anwendung kommen.

Der Verlag verwende bei der Erstellung der Ärztelisten sowohl objektive Faktoren – wie:

  • Mitgliedschaften in Fachgesellschaften,
  • Weiterbildungstätigkeiten,
  • wissenschaftliche Publikationen,

als auch subjektive Einschätzungen, z. B.:

  • Empfehlungen von Fachkollegen,
  • Patientenbewertungen.

Zwar seien subjektive Elemente enthalten – doch das Gericht wertet diese nicht als problematisch. Vielmehr akzeptiere der Verkehr solche Mischformen längst, etwa auch bei Restaurantbewertungen oder Arbeitgeberrankings.

„Subjektive Elemente sind (…) bekannt und akzeptiert.“

c) Keine Verwechslungsgefahr mit echten Prüfsiegeln

Ein wesentliches Argument: Die Gestaltung des Siegels lasse keine Verwechslungsgefahr mit anerkannten Prüfzeichen wie TÜV oder Stiftung Warentest entstehen. Dies sei u.a. deshalb ausgeschlossen, weil:

  • das FOCUS-Logo großflächig integriert ist,
  • FOCUS weithin als Medienunternehmen bekannt ist,
  • vergleichbare Siegel auch von anderen Verlagen existieren (z. B. FAZ, Stern).

Damit fehle es an der wettbewerbsrechtlich relevanten Irreführung. Eine Täuschung über Herkunft oder Bedeutung liege nicht vor.

d) Gesamtwürdigung durch das OLG

Das Gericht nimmt eine umfassende Würdigung der äußeren Gestaltung, des bekannten Markenimages und der Bewertungsmethodik vor. Ergebnis: Es liegt keine Irreführung über das „Was“ (Worauf bezieht sich das Siegel?) und „Wer“ (Wer verleiht es?) vor.

Bewertung und rechtliche Einordnung

Die Entscheidung des OLG München steht in der Tradition einer zunehmend differenzierten Rechtsprechung zur Werbung mit Bewertungen und Rankings.

a) Klare Abgrenzung zwischen journalistischer Empfehlung und Gütesiegel

Das Gericht zieht eine wichtige Trennlinie: Ein journalistisch begründetes Siegel ist kein objektives Prüfzeichen – muss es aber auch nicht sein. Voraussetzung ist lediglich, dass dies für den Verbraucher erkennbar ist.

Die Begründung stärkt die redaktionelle Freiheit von Verlagen, ohne die Grenzen zur unlauteren Werbung zu verwischen.

b) Transparenz ist kein Allheilmittel, aber wichtig

Obwohl das OLG keine Irreführung annimmt, bleibt eine gewisse Erwartung an die Transparenz der Kriterien bestehen. Auch künftig gilt: Wer mit Qualität wirbt, muss zumindest im Hintergrund nachvollziehbar erklären können, wie diese zustande kommt.

c) Kein Freifahrtschein für Werbesiegel

Das Urteil ist kein Blankoscheck. Siegel, die den Anschein einer hoheitlichen Prüfung erwecken, bleiben kritisch zu prüfen. Auch Täuschungen über Lizenzkosten, Exklusivität oder Selektivität können weiterhin lauterkeitsrechtlich relevant sein.

Fazit: Redaktionssiegel erlaubt – aber kein Spielraum für Täuschung

Mit seiner Entscheidung hat das OLG München ein wichtiges Signal gesetzt: Die bekannten Ärztesiegel von FOCUS sind rechtlich zulässig, sofern sie als redaktionelle Empfehlungen erkennbar bleiben. Die bloße Kombination aus journalistischer Recherche und kostenpflichtiger Lizenz stellt keine wettbewerbsrechtliche Irreführung dar.

Für Ärzte bedeutet das Rechtssicherheit beim Einsatz dieser Siegel. Für Patienten bleibt wichtig: FOCUS-Siegel sind keine amtlichen Zertifikate – sondern Orientierungshilfen aus der Pressewelt.

Die Rechtsprechung macht deutlich: In einer komplexen Medien- und Werbewelt bleibt der Schutz des Verbrauchers wichtig – aber auch der Schutz publizistischer Freiheit. Die Balance zwischen beiden Werten hat das OLG München hier gewahrt.

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