Zum Hauptinhalt springen

Abmahnfrist von wenigen Stunden bei Online-Fotos zu kurz

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Wenn Fotos ohne Zustimmung ins Netz gestellt werden, ist der Ärger groß – und die Versuchung ebenso, möglichst schnell gerichtliche Schritte einzuleiten. Doch Eile allein genügt nicht. Wer ohne ausreichende Frist zur Unterlassung abmahnt und sofort vor Gericht zieht, kann trotz Rechtsverletzung auf den Kosten sitzen bleiben. Das zeigt eine vielbeachtete Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 18.07.2023 (Az.: 10 W 79/23).

Im Zentrum der Entscheidung steht eine Kernfrage des Abmahnrechts: Wie lang muss eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung sein – insbesondere bei Online-Veröffentlichungen?

 

 

1. Der Sachverhalt: Presseverlag veröffentlicht Fotos ohne Zustimmung

In dem zugrundeliegenden Fall ging es um die Veröffentlichung zweier Fotos, die gegen den Willen und ohne Kenntnis des Abgebildeten durch einen großen deutschen Presseverlag online gestellt worden waren.

Der Betroffene, vertreten durch seinen Anwalt, reagierte prompt:
Am 8. August 2022 um 12:53 Uhr schickte der Rechtsanwalt eine Abmahnung an den Verlag mit der Aufforderung, die Bilder bis spätestens 18:00 Uhr desselben Tages aus dem Netz zu nehmen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.

Dabei wurde zwar für den Fall der Entfernung noch am selben Tag eine Verlängerung der Frist bis zum nächsten Tag in Aussicht gestellt – jedoch lag die Hauptfrist bei lediglich fünf Stunden.

Reaktion des Verlags

Der Verlag meldete sich noch am selben Tag zurück und erklärte, dass eine sofortige Prüfung nicht möglich sei. Grund seien ferienbedingte Abwesenheiten sowohl in der Redaktion als auch in der Rechtsabteilung. Man kündigte aber eine Rückmeldung für den Folgetag an.

Diese erfolgte auch: Am 9. August 2022 – also einen Tag nach der Abmahnung – gab der Verlag wie gefordert eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Trotzdem: Antrag auf einstweilige Verfügung

Trotz dieser Erklärung stellte der Antragsteller bereits am Abend des 8. August 2022 – also noch vor Ablauf der versprochenen Rückmeldung – beim Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Im Nachgang ging es deshalb nur noch um die Kosten des Verfahrens: Hätte der Antragsteller mit seinem Antrag bis zum nächsten Tag gewartet, wäre der Prozess wohl überflüssig gewesen. Die Frage war also: War die gesetzte Frist angemessen, oder war sie so kurz, dass die Antragstellerpartei die gerichtlichen Kosten zu tragen hat?

2. Die Entscheidung des KG Berlin: Fünf Stunden Frist sind unangemessen kurz

Das Kammergericht Berlin entschied zugunsten des Presseverlags: Die gesetzte Frist war unangemessen kurz, und daher waren die gerichtlichen Kosten vom Antragsteller zu tragen.

Die Begründung des Gerichts ist ausführlich und bringt mehrere wichtige Grundsätze zum Ausdruck:

a) Keine generelle Verkürzung der Abmahnfrist bei Online-Veröffentlichungen

Ein zentraler Punkt der Entscheidung: Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz, wonach bei Veröffentlichungen im Internet besonders kurze Fristen (z.B. nur wenige Stunden) angemessen seien. Vielmehr gelten auch im digitalen Raum die allgemeinen Regeln des Abmahnrechts, wie man sie aus dem klassischen Print-Bereich kennt.

Das KG dazu wörtlich:

„Die Überlegung, eine Online-Veröffentlichung sei stets gefährlicher als eine Print-Veröffentlichung, kann im Einzelfall zwar zutreffend sein. Im Fall mangelt es aber schon an jedem Vortrag, welchen Zugriff es auf die Veröffentlichungen konkret gab.“

Im Klartext: Nur weil etwas online veröffentlicht wurde, bedeutet das nicht automatisch, dass eine ultraschnelle Reaktion erforderlich oder rechtlich geboten ist. Es komme vielmehr auf den konkreten Einzelfall an – insbesondere auf die Reichweite, die Schwere des Eingriffs und das tatsächliche Verbreitungsausmaß.

b) Keine besondere Eingriffstiefe dargelegt

Der Antragsteller hatte nicht näher erläutert, warum es sich bei der Veröffentlichung um einen besonders schwerwiegenden Fall handeln sollte. Es wurde nicht glaubhaft gemacht, dass die gezeigten Bilder eine besonders sensible Situation abbildeten oder die Persönlichkeitsrechte in schwerwiegender Weise verletzten.

Das Gericht dazu:

„Die Verfügungskläger machen eine besondere Schwere der Verletzung durch die abgebildete Situation im Übrigen auch nicht näher geltend und führen zu einer besonderen Eingriffstiefe weder im Einzelnen aus noch machen sie diese glaubhaft.“

Damit fehlte es an einer rechtfertigenden Eilbedürftigkeit, die eine Abmahnfrist von nur fünf Stunden hätte erklären können.

c) Auch große Presseverlage haben Prüfungsfristen verdient

Ein weiterer Aspekt: Der Umstand, dass es sich bei der Antragsgegnerin um einen großen Presseverlag mit eigener Rechtsabteilung handelte, änderte an der Beurteilung nichts.

Das KG betont, dass auch erfahrene Medienhäuser grundsätzlich einen Anspruch auf eine Prüfungsfrist von einigen Tagen haben. Dies gelte insbesondere dann, wenn – wie hier – Urlaubszeiten und Abwesenheiten in der Rechtsabteilung hinzukommen.

Der Verlag hatte sogar angekündigt, sich am Folgetag zu melden. Diese Frist lag bei weniger als 29 Stunden, gerechnet vom Eingang der Abmahnung bis zur angekündigten Rückmeldung.

Das Gericht hierzu:

„Auch in einem solchen Falle ist es aber grundsätzlich richtig, in der Regel wenigstens eine Prüfungsfrist von noch einigen Tagen einzuräumen.“

Und weiter:

„Die Verfügungskläger konnten daher erkennen, dass sie nur einen weiteren Tag vor der Einleitung eines Rechtsstreits warten mussten.“

d) Ergebnis: Unverhältnismäßige Eile = Kostenlast

Da die gesetzte Frist unangemessen kurz war und der Verlag sich zeitnah und kooperativ verhielt, entschied das Kammergericht, dass der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen hat. Denn der Antrag auf einstweilige Verfügung war zu einem Zeitpunkt gestellt worden, zu dem bereits eine außergerichtliche Einigung konkret absehbar war.

3. Rechtliche Einordnung: Wie lang muss eine Abmahnfrist sein?

Eine Abmahnung ist ein wichtiges Instrument des Zivilrechts, um dem Gegner vor einem Gerichtsverfahren die Gelegenheit zu geben, einen Streit einvernehmlich beizulegen. Damit sie wirksam ist, muss sie eine angemessene Frist zur Reaktion enthalten.

Doch was heißt „angemessen“?

Die Rechtsprechung orientiert sich dabei an folgenden Kriterien:

  • Komplexität des Sachverhalts
  • Erreichbarkeit der Gegenseite (z.B. Betriebszeiten, Ferien, Feiertage)
  • Größe und Professionalität des Adressaten
  • Schwere des Eingriffs
  • Gefahr im Verzug oder besondere Dringlichkeit

Eine pauschale Regel, wonach Online-Veröffentlichungen immer nur Fristen von wenigen Stunden rechtfertigen, gibt es nicht. Die Literatur geht vielmehr davon aus, dass selbst bei Online-Berichterstattung in der Regel mehrtägige Fristen angemessen sind.

4. Fazit: Wer zu schnell vor Gericht zieht, riskiert Kostenfalle

Die Entscheidung des KG Berlin liefert wichtige Hinweise für die anwaltliche Praxis und Betroffene:

Online-Veröffentlichung bedeutet nicht automatisch Eilbedürftigkeit
Abmahnungen sollten realistische Fristen setzen
Gerichte erwarten Darlegungen zur Eingriffstiefe und Verbreitungswirkung
Auch große Unternehmen haben Prüfungsrechte und brauchen Zeit zur Reaktion

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Dashcams, also Kameras zur Aufzeichnung von Verkehrsgeschehen aus dem Fahrzeug heraus, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Viele Autofahrer versprechen sich davon Beweismaterial…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die Frage, ob ein Vereinsmitglied ein Anrecht auf die Herausgabe der Mitgliederliste inklusive E-Mail-Adressen hat, ist nicht nur datenschutzrechtlich brisant, sondern berührt auc…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wenn ein Wirtschaftsverband erfolgreich einen Unterlassungstitel gegen ein Unternehmen erwirkt hat, ist das Verfahren in vielen Fällen nicht beendet. Häufig müssen Verstöße gegen…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die Welt der medizinischen Werbung ist in den letzten Jahren zunehmend rechtlich durchdrungen worden. Besonders Begriffe mit starkem Marketingeffekt, wie etwa „Premium“, „Speziali…