15.000 € für dauerhafte Videoüberwachung im Betrieb
Eine auffallend dichte und nahezu lückenlose Videoüberwachung eines Stahlbetriebs stand auf dem Prüfstand. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat entschieden: Die Überwachung verletzte das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters schwer. Der Arbeitgeber muss 15.000,- EUR Geldentschädigung zahlen. Die Richter arbeiteten detailliert heraus, weshalb weder § 26 BDSG noch die DSGVO die Maßnahme trugen. Zugleich zeigt das Urteil, wie schnell eine vermeintlich „sicherheitsgetriebene“ Kamera-Infrastruktur in die Unverhältnismäßigkeit rutschen kann.
Der Sachverhalt – wie sah die Überwachung konkret aus?
Der Betrieb produzierte tonnenschwere Stahlblöcke. Die Halle war groß, Arbeitsbereiche, Lager und Büros lagen unter einem Dach. Im Innenbereich waren rund 34 Kameras angebracht; viele zeichneten rund um die Uhr auf. Die Speicherdauer lag – vereinfacht gesagt – bei rund zwei Tagen. Ton wurde nicht aufgezeichnet. Nach den Feststellungen der Gerichte konnten mehrere Personen im Unternehmen jederzeit auf die Aufnahmen zugreifen. Hinweisschilder wiesen auf die Überwachung hin.
Der Kläger arbeitete überwiegend an einer Schälmaschine. Auch in seiner Umgebung war eine Kamera installiert, die den Auf- und Abladebereich filmte. Während der Tätigkeit zeigte er der Kamera meist den Rücken; sobald er sich umdrehte oder den Arbeitsplatz verließ, wurde auch sein Gesicht erfasst. Über mehrere Kameras ließ sich nachvollziehen, wann er sich in Richtung Büro, Pausenraum oder WC bewegte. Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume selbst waren nicht überwacht.
Der Mitarbeiter fühlte sich einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt. Er wusste nie, ob gerade live zugesehen oder später etwas herausgezoomt und ausgewertet werden würde. Nach seinen Schilderungen gab es Anrufe des Geschäftsführers mit Nachfragen zu Pausenzeiten. Die Arbeitgeberseite begründete die Kameradichte mit Diebstahlsgefahr, Vandalismus, Arbeitssicherheit, Nachverfolgung von Maschinenausfällen und Beweissicherung bei Verladung.
Prozessual wichtig: Über die Kameras hatte es bereits zuvor einen Vergleich mit Auskunftspflichten gegeben. Später kündigte der Arbeitgeber; der Kündigungsrechtsstreit endete ebenfalls per Vergleich. Im vorliegenden Verfahren verlangte der Kläger Unterlassung, Auskunft und ein Schmerzensgeld (Geldentschädigung).
Das Ergebnis in Kürze
Das LAG Hamm sprach dem Mitarbeiter 15.000,- EUR Geldentschädigung zu. Der Unterlassungsantrag blieb im Berufungsverfahren ohne Erfolg, weil nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Wiederholungsgefahr mehr bestand. Der Auskunftsantrag hatte bereits in erster Instanz keinen Erfolg.
Die rechtlichen Maßstäbe – woran misst das Gericht?
Die Entscheidung stützt sich auf den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Für Geldentschädigungen greifen die Zivilgerichte regelmäßig auf § 253 Abs. 2 BGB zurück, in Verbindung u.a. mit § 823 Abs. 1 BGB sowie mit den arbeitsvertraglichen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB). Maßgeblich sind drei Leitfragen:
- Lag ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor?
- War der Eingriff rechtswidrig, also nicht gerechtfertigt?
- Trifft den Arbeitgeber (zumindest) Verschulden und ist der Eingriff so schwerwiegend, dass eine Geldentschädigung angezeigt ist?
Parallel prüfte die Kammer die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Videoverarbeitung. Dabei geht es um die Rechtfertigungen nach BDSG und DSGVO (Einwilligung oder berechtigte Interessen, jeweils unter Verhältnismäßigkeitsprüfung).
Eingriff: Videoaufnahmen als Berührung des Rechts auf eigenes Bild und informationelle Selbstbestimmung
Videoaufnahmen in Arbeitsräumen betreffen in aller Regel das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Gericht bejahte den Eingriff ohne Umschweife: Der Mitarbeiter wurde – jedenfalls zeitweise – identifizierbar erfasst, Bewegungsmuster waren nachvollziehbar, und die Aufnahmen konnten live eingesehen oder später angesehen werden. Zudem war ein Heranzoomen möglich. In Summe war sein Arbeitsalltag über einen sehr langen Zeitraum dokumentiert.
Keine Rechtfertigung über das BDSG
Die Richter prüften verschiedene nationalrechtliche Anknüpfungen und sahen keine tragfähige Grundlage:
- § 4 BDSG (Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume): Die Produktionshalle war kein öffentlich zugänglicher Bereich. Damit schied diese Norm aus.
- § 26 BDSG (Datenverarbeitung für Beschäftigungszwecke): Auch hier griff keine passende Variante. Weder ließen sich dokumentierte Verdachtsmomente oder konkrete Straftatrisiken darstellen noch passte die Maßnahme in die „Erforderlichkeits“-Schranke, die im Beschäftigtendatenschutz stets eng verstanden wird.
Keine Rechtfertigung über die DSGVO
Zwei Wege scheiterten aus Sicht des Gerichts besonders klar:
- Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO): Eine „Einwilligung“ in einer allgemeinen Vertragsklausel trägt im Arbeitsverhältnis regelmäßig nicht. Es fehlt an Freiwilligkeit, weil die Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis strukturell gegen eine echte Wahlfreiheit spricht. Außerdem war der Mitarbeiter nicht über Widerrufsmöglichkeiten transparent belehrt worden. Eine vorformulierte Einverständniserklärung im Arbeitsvertrag kann eine später konkret ausgestaltete Mitarbeiterüberwachung daher kaum wirksam legitimieren.
- Berechtigte Interessen (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO): Hier kommt es auf Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit an. Das Gericht sah Defizite in allen Stufen.
– Eignung/Erforderlichkeit: Pauschale Hinweise auf Diebstahl, Vandalismus, Arbeitssicherheit oder Maschinenausfälle reichten nicht aus, um eine flächendeckende, dauerhafte Innenraumüberwachung zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber hatte nicht konkretisiert, wo sich welche besonders schützenswerten Güter befanden oder warum gerade am Arbeitsplatz des Klägers eine permanente Aufzeichnung nötig war. Mildere Mittel wie eine gezielte Außen- und Eingangsüberwachung, organisatorische Maßnahmen, Schrankensysteme, Schließfächer, Zugangskontrollen, Beleuchtung, mechanische Sicherungen oder anlassbezogene Kontrollen drängten sich als Alternativen auf.
– Angemessenheit: Die nahezu lückenlose Erfassung vieler Bewegungen aller in der Halle arbeitenden Personen schuf einen dauerhaften Konformitätsdruck. Das übersteigt in der Regel das, was Beschäftigte hinnehmen müssen.
Verschulden des Arbeitgebers
Das LAG stellte schuldhaftes Handeln fest. Die Videoüberwachung war bewusst eingeführt und fortgeführt worden, obwohl gewichtige rechtliche Bedenken nahelagen. Nach außen gab es zwar Hinweise, die Maßnahme sei nicht „heimlich“ – das milderte aber nur begrenzt. Entscheidend war die Dauer, die Intensität, die Zugriffsmöglichkeiten auf Live- und gespeicherte Bilder sowie das Ausbleiben überzeugender Umsteuerungsmaßnahmen.
Warum 15.000,- EUR? – Zur Bemessung der Geldentschädigung
Die Summe bewegt sich im oberen Bereich dessen, was Arbeitsgerichte in vergleichbaren Konstellationen zugesprochen haben. Die Kammer stellte vor allem auf diese Kriterien ab:
- Außergewöhnlich lange Dauer: rund 22 Monate fast durchgehender Erfassung im Arbeitsalltag
- Weite räumliche Abdeckung: zahlreiche Kameras im Innenbereich, Nachvollziehbarkeit von Wegen und Aufenthalten
- Eingriffsintensität: live einsehbare Bilder, spätere Auswertung möglich, Zoomen möglich
- Drucksituation: ständiges Gefühl, beobachtet zu werden, wodurch Gespräche, Pausen, kurze Absprachen mit Kollegen gehemmt werden konnten
- Zugriffsorganisation: mehrere Personen hatten Zugriff, ohne dass eine engmaschige Zugriffsbeschränkung und Dokumentation überzeugend dargelegt wurde
- Verschuldensgrad: keine tragfähige vorherige rechtliche Prüfung erkennbar, keine ausreichend konkreten Anpassungsschritte trotz Hinweisen auf Unzulässigkeit
Warum kein Unterlassungsanspruch?
Unterlassungsansprüche setzen regelmäßig Wiederholungsgefahr voraus. Das Arbeitsverhältnis war beendet; eine Rückkehr auf das Betriebsgelände war nicht mehr zu erwarten. Konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftig drohende Beeinträchtigung fehlten. Daher blieb dieser Antrag ohne Erfolg. Für Praxisfälle laufender Arbeitsverhältnisse kann das selbstverständlich anders aussehen.
Praxisleitfaden für Arbeitgeber
Wer Videoüberwachung im Betrieb in Betracht zieht, sollte Schritt für Schritt vorgehen:
- Zweck exakt definieren
Welches konkrete Risiko soll adressiert werden? Wo genau tritt es auf? Wie wahrscheinlich ist es? Welche Rechtsgüter sind betroffen? - Mildere Mittel prüfen und dokumentieren
Mechanische, organisatorische, personelle und IT-gestützte Alternativen gehören auf den Prüfstand – und zwar vor Installation. Oft genügt eine eng begrenzte Außen- oder Zugangskontrolle. - Datenschutzrechtliche Rechtfertigung sauber herleiten
Einwilligungen von Beschäftigten tragen meist nicht. In der Praxis stützt man sich eher auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO – aber nur nach strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung und mit enger räumlicher/zeitlicher Begrenzung. - Transparenz, Löschkonzept, Zugriffskontrolle
Deutliche Hinweisschilder, klare interne Richtlinien, kurze Speicherdauern, strenges Berechtigungskonzept, Protokollierung von Zugriffen und regelmäßige Überprüfung sind Standard. - Datenschutz-Folgenabschätzung (DPIA), wenn erforderlich
Bei systematischer, umfangreicher Beobachtung öffentlich zugänglicher Bereiche oder hoher Eingriffsintensität kann eine DSFA nahe liegen. Sie sollten die Schwellenwerte und Behördenlisten beachten. - Betriebsrat einbinden
Videoüberwachung ist mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Betriebsvereinbarungen mit Schutzmechanismen und Kontrollrechten sind in der Praxis üblich. - Juristische Vorabberatung
Ein kurzer „Legal Check“ vor der Installation verhindert teure Nachbesserungen – und im Ernstfall dokumentiert er die Sorgfalt.
Praxisleitfaden für Arbeitnehmer
- Dokumentieren Sie die Überwachung: Fotos der Hinweisschilder, Lagepläne, sichtbare Kameras, interne Hinweise.
- Sprechen Sie den Arbeitgeber an: Transparenz- und Informationsrechte nutzen, Datenschutzbeauftragten einbeziehen.
- Lassen Sie sich beraten: Je nach Ausgestaltung können Unterlassung, Auskunft und Geldentschädigung in Betracht kommen. In laufenden Arbeitsverhältnissen ist zügiges Handeln oft hilfreich.
Fazit
Die Entscheidung zeigt, wie sorgfältig Videoüberwachung am Arbeitsplatz konzipiert werden sollte. Weitreichende, dauerhafte Innenraumüberwachung lässt sich häufig nicht mit pauschalen Sicherheitsargumenten rechtfertigen. Wer die Erforderlichkeit nicht konkret darlegt, mildere Mittel ausblendet und Zugriff sowie Speicherdauer nicht eng führt, riskiert empfindliche Geldentschädigungen – und eine deutliche Rüge wegen massiver Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Ansprechpartner
Dipl. Wirtschaftsjurist / FH Killian Hedrich
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