120.000 € Schadensersatz wegen intimer Videos

In einer zunehmend digitalisierten Welt, in der private Inhalte schnell in den öffentlichen Raum überschwappen können, ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte wichtiger denn je. Besonders intim wird es, wenn private Videos – einst in einer Beziehung ausgetauscht – nach deren Ende für jedermann im Internet abrufbar gemacht werden. Genau dies war der Gegenstand eines bemerkenswerten Falls, über den das Landgericht Düsseldorf im Juni 2023 zu entscheiden hatte. Die Entscheidung: Der Beklagte wurde zur Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 120.000 Euro verurteilt – eine Summe, die selbst in der Rechtsprechung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Seltenheitswert hat.
Der Sachverhalt im Detail
Die Parteien hatten sich über die Dating-Plattform Tinder kennengelernt. Im Laufe der intensiver werdenden Beziehung kam es zum Austausch zahlreicher intimer Inhalte. Die Klägerin übersandte dem Beklagten 15 intime Videos, darunter auch Aufnahmen mit explizit sexuellen Inhalten – Masturbationsszenen, Nahaufnahmen des Intimbereichs sowie Oralsex- und Penetrationsszenen mit Sexspielzeug.
Der Kontext: Die Videos waren freiwillig und im Vertrauen auf die Vertraulichkeit der Beziehung übersandt worden.
Einige Zeit später beendete der Beklagte die Beziehung. Statt sich zurückzuziehen, veröffentlichte er die Videos auf mehreren Porno-Portalen im Internet. Besonders brisant:
- Die Videos waren unter dem Klarnamen der Klägerin hochgeladen worden,
- begleitet von ihrem Alter, ihrer Herkunft ("Deutschland"),
- versehen mit einem Profilbild, das die Klägerin nackt zeigte.
Darüber hinaus versah der Beklagte die Videos mit reizvollen Titeln in Deutsch und Englisch, um gezielt ein breiteres Publikum zu erreichen. Die Videos wurden teilweise bis zu 9.387 Mal angesehen.
Die Klägerin war in nahezu allen Videos eindeutig zu erkennen – durch das Gesicht, ihre Stimme oder direkte Ansprache in die Kamera.
Die Klage: Wiedergutmachung für einen massiven Eingriff
Die Klägerin verlangte vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 120.000 Euro wegen schwerwiegender Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere ihrer Intimsphäre. Zudem begehrte sie Unterlassung.
Der Beklagte hingegen behauptete, die Veröffentlichung sei versehentlich erfolgt, als er die Videos in einem "privaten Account" speichern wollte. Diesem Vortrag folgte das Gericht nicht.
Die Entscheidung des LG Düsseldorf: Klare Worte, klares Urteil
a) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Das LG Düsseldorf sah den absolut geschützten Kernbereich der Intimsphäre der Klägerin verletzt. Dabei verwies die Kammer auf die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach in Fällen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Geldentschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB in Betracht kommt.
"Die Schwere der Persönlichkeitsverletzungen im Streitfall rechtfertigt die Zahlung einer Geldentschädigung, die sich nach der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, nach Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie nach dem Grad seines Verschuldens richtet."
b) Vorsätzliches Handeln des Beklagten
Das Gericht kam nach eingehender Würdigung zu dem Schluss, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt hatte. Entscheidende Hinweise:
- Zeitlicher Ablauf: Das erste Video wurde am 10.02.2021 hochgeladen. Die restlichen Videos folgten zwei Tage später – just an dem Tag, an dem der Account erstellt wurde.
- Bewusste Titulierung: Anzügliche Titel in mehreren Sprachen ließen keinen Rückschluss auf Versehen zu.
- Identitätsoffenbarung: Die Nutzung von Klarnamen, Alter, Herkunft und Nacktbild sprengt den Rahmen jeder "Privatnutzung".
Das Argument, es sei ein "Only-me"-Account gewesen, zerfiel angesichts dieser Details. Vielmehr war die Zielrichtung eindeutig: Öffentliche Bloßstellung und gezielte Schädigung.
c) Besondere Umstände der Veröffentlichung
Besonders gravierend war laut Gericht:
- Die Videos wurden weltweit abrufbar gemacht,
- mindestens über mehrere Monate bis fast ein Jahr,
- auf drei verschiedenen Pornoplattformen,
- die Videos enthielten grafisch-explizite Szenen,
- die Klägerin war deutlich identifizierbar.
Darüber hinaus fand das Gericht erschwerend:
- Wiederholtes Veröffentlichen unter neuem Titel → je ein neuer Tatentschluss
- Nutzung von Suchmaschinenoptimierung durch Namen und Angaben → leichte Auffindbarkeit
- Berufliche Stellung des Beklagten: als Inhaber eines Immobilienunternehmens mit gehobenem Kundenklientel
Die Höhe des Schadensersatzes: Warum 120.000 Euro?
Das LG führte aus, dass bei Eingriffen in die Intimsphäre grundsätzlich mehrere Tausend Euro je Veröffentlichung angemessen seien. Bei 15 Veröffentlichungshandlungen und dem Grad der Eskalation ergab sich ein Gesamtbetrag von 120.000 Euro.
Das Gericht stellte eine vergleichende Rechtsprechungsübersicht auf:
- LG Kiel: 25.000 Euro für 3 Nacktfotos
- LG Berlin: 15.000 Euro für Privatporno
- AG Neukölln: 3.000 Euro für Weiterleitung eines Kurzvideos
- OLG Hamm: 7.000 Euro für Intimfoto einer 16-Jährigen
Verglichen damit war die Dimension des vorliegenden Falls ungleich gravierender. Die Kammer berücksichtigte zudem die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten – ein Argument, das der BGH in seiner Rechtsprechung für zulässig hält.
Juristische und gesellschaftliche Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil setzt einen deutlichen Akzent:
- Persönlichkeitsrechte gelten auch im Internet und enden nicht mit dem Beziehungs-Aus.
- Die Entscheidung bestätigt, dass das digitale Verbreiten intimer Inhalte schwerwiegende Folgen hat.
- Die Höhe der Entschädigung soll auch generalpräventive Wirkung entfalten: Wer die Intimsphäre verletzt, zahlt.
Fazit: Ein Urteil mit Signalwirkung
Das Landgericht Düsseldorf hat mit seiner Entscheidung vom 14.06.2023 ein wegweisendes Urteil zum Schutz der digitalen Intimsphäre gefällt. Die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes ist ein deutliches Signal an potenzielle Täter: Intime Inhalte sind kein Spielzeug für verletzte Egos, sondern unterliegen dem strengen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Für Betroffene ist dieses Urteil ein wichtiges Zeichen: Der Rechtsstaat nimmt digitale Übergriffe ernst – und stellt sich schützend vor ihre Würde.
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