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1&1 Internet AG darf Kunden das Widerrufsrecht nicht verweigern

OLG Koblenz, Urteil vom 28.03.2012, Az. 9 U 1166/11
| Rechtsanwalt Frank Weiß

Das Oberlandesgericht Koblenz entschied: Ändert ein Verbraucher wesentliche Inhalte eines Vertrages, den er mit einem Unternehmen geschlossen hatte, so gilt das Widerrufsrecht des Verbrauchers auch für die telefonisch getätigten Änderungen des Vertrages (OLG Koblenz, Urteil vom 28.03.2012, Az. 9 U 1166/11). Vorangegangen war eine Klage der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. gegen die 1&1 Internet AG.

Sachverhalt
Die Verbraucherin V hatte ihren Vertrag mit dem Internetanbieter 1&1 fristgerecht gekündigt. Der Vertrag wurde über Telefon- und Internetdienstleistungen geschlossen und sah eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten vor. Nach Abgabe der Kündigung, jedoch vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit kontaktierte ein Mitarbeiter von 1&1 die Verbraucherin V. Dieser bot ihr am Telefon den Abschluss eines neuen Vertrages, zu – wie er sagte – verbesserten Konditionen an. Der neue Vertrag sah ebenfalls eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten vor.

Aufgrund der überzeugenden Verkaufsargumente des Mitarbeiters, willigte V zunächst in den Abschluss eines neuen Vertrages ein. Dies geschah am Telefon. Nach einiger Zeit bereute V ihre Entscheidung allerdings, weswegen sie 1&1 gegenüber via E-Mail erklärte, am Vertrag nicht mehr festhalten zu wollen. Hieraufhin teilte der Internetanbieter V mit, ihr stehe ein Widerrufsrecht nur beim Abschluss neuer Verträge zu. Bei der von ihr durchgeführten telefonischen Einwilligung handele es sich aber um die Änderung des bereits bestehenden Vertrages. Es liege also eine bloße Inhaltsänderung vor, wegen der ihr kein Widerrufsrecht zustehe.

Aufgrund dieses Verhaltens machte der Verbraucherschutzverband Bundeszentrale die Rechte der V geltend und wandte sich an das örtlich und sachlich zuständige Oberlandesgericht Koblenz.

Auch bei telefonisch getätigten Änderungen kommt Verbrauchern ein Widerrufsrecht zu – rechtliche Würdigung des OLG
Das OLG sah die Klage des Verbraucherverbandes als zulässig und begründet an. Der Verbraucherin V stehe auch bei der telefonischen Durchführung von Änderungen an einem bestehenden Vertrag ein Widerrufsrecht zu.

Juristisch spannend war an dem Fall die Frage, ob V ein Widerrufsrecht aus dem Recht für Fernabsatzverträge zukommt (vgl. § 312d des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)). Dieses setzt das Bestehen eines Fernabsatzvertrages voraus, sodass es zunächst zu klären galt, ob V durch ihr Telefonat einen solchen abgeschlossen hatte. Bezüglich des Vorliegens eines Fernabsatzvertrages führte das OLG Koblenz aus, dass auch die Änderung eines bestehenden Fernabsatzvertrages als ein solcher anzusehen sei.

Deshalb gelte das Widerrufsrecht eines Verbrauchers aus § 312d BGB auch dann, wenn ein Verbraucher – wie im vorliegenden Fall – via Fernkommunikationsmittel grundsätzliche Inhalte eines bestehenden Vertrages ändert. Im zu begutachtenden Fall lag die grundsätzliche Inhaltsänderung in der Änderung des Leistungsgegenstands, so das Gericht.

Weiterhin argumentierten die Richterinnen und Richter, dass V beim Abschluss dieses Abänderungsvertrages ebenso schutzwürdig sei wie beim Abschluss des Ursprungsvertrags. Es könne im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob V einen gänzlich neuen Vertrag mit 1&1 abgeschlossen hat oder nur einen bestehenden Vertrag änderte. Deshalb habe auch eine Verpflichtung von 1&1 bestanden, V über das ihr zustehende Widerrufsrecht hinzuweisen (vgl. §§ 312c, 355, 360 BGB). Ein Widerrufsrecht hätte nach Ansicht des zuständigen Senats nur dann entfallen können, wenn V im Voraus, d. h. unmittelbar bevor das Telefonat mit 1&1 stattfand, über die neuen Vertragsbedingungen informiert worden wäre. Nur in diesem Falle wäre V nicht schutzwürdig gewesen. Da dem allerdings nicht so war, sahen die Richterinnen und Richter den Widerruf des Vertrages durch V als zulässig an. Die Klage war damit begründet und 1&1 hätte V das Widerrufsrecht nicht versagen dürfen.

Kommentar und Bewertung des Urteils
Das Urteil des OLG dürfte für die juristische Ausbildung Relevanz haben, da es sich als Examensfall hervorragend eignet. Mit dem Fall lässt sich dogmatisches Geschickt abfragen. So kann durchaus erwartet werden, dass auch Examenskandidaten die Abänderung eines Vertrages als Vertragsabschluss einordnen.

Aber auch für die Praxis könnte das Urteil bedeutsam sein. Vor allem für Onlinehändler, die regelmäßig Fernabsatzverträge abschließen, könnte die Rechtsprechung des OLG Koblenz im Rahmen von Umtauschgeschäften Relevanz zeigen.

OLG Koblenz, Urteil vom 28.03.2012, Az. 9 U 1166/11

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