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„100 % kompostierbar“ – Irreführende Werbung

BGH, Beschluss vom 15.09.2015, Az. VI ZR 391/14
| Rechtsanwalt Frank Weiß

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 15.09.2015 unter dem Az. VI ZR 391/14 entschieden, unter welchen Voraussetzungen geschlussfolgert werden darf, dass Werbung für kompostierbare Tragetaschen mit dem Satz „100 % kompostierbar“ eine Irreführung darstellt. Der BGH kam zu dem Schluss, das sei dann nicht zulässig, wenn man hierfür eine Befragung eines Bruchteils von Kompostanlagenbetreibern heranzieht, die behaupten, die Taschen auszusortieren. Ein Beweisangebot der Klägerinnen dürfe jedoch nicht übergangen werden, wenn diese unter Nennung von Zeugen behaupten, die kompostierbaren Kunststoffe würden im Prozess bleiben.

Der BGH hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen, um hinsichtlich des Beweisangebotes das rechtliche Gehör zu gewährleisten.

Die Klägerinnen haben „Bio-Tragetaschen“ hergestellt und unter anderem an den Einzelhandel verkauft, welcher die Taschen an Endverbraucher weiterverkauften. Die Taschen enthielten Aufdrucke, die die Taschen als umweltfreundlich und „100 % kompostierbar“ bewarben.

Der Beklagte gab im April 2013 Pressemitteilungen zu den Taschen heraus. In der Überschrift hieß es, die Einzelhändler würden die Verbraucher „mit vermeintlich nachhaltigen Einkaufstüten“ täuschen. Die Taschen bestünden in Wirklichkeit jedoch überwiegend aus Erdöl und kämen nicht in den Kompostier- oder Recycleprozess. In den industriellen Kompostieranlagen sortiere man die Tüten zusammen mit den herkömmlichen Plastiktüten als eine Art Störstoff aus. Mehr als 80 deutsche Anlagen hätten berichtet, dass die Taschen praktisch nicht kompostiert werden. Zwar seien sie nach einer DIN Norm biologisch abbaubar. Die Norm offenbare jedoch eine Schwäche. Denn nach Maßgabe dieser Norm müssen die Taschen binnen 12 Wochen zu 90 % zersetzt sein. Deutsche Kompostierungsanlagen hingegen arbeiten mit erheblich kürzeren Zeiträumen von einer bis acht Wochen. In einer weiteren Pressemitteilung wurde zudem berichtet, der Beklagte habe die Einzelhändler wegen einer Täuschung der Verbraucher abgemahnt.
Daraufhin haben die Einzelhandelsketten den Verkauf der Tüten eingestellt. Mit der erhobenen Klage beanspruchen die Klägerinnen den Ersatz des durch den Abbruch der Lieferverträge entstandenen Schadens. Die Klage ist in zwei Instanzen gescheitert.
Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Klägerinnen ihr Ziel weiter. Die Beschwerde hat auch Erfolg.
Denn, so führt der BGH aus, nach Artikel 103 GG seien Gerichte verpflichtet, Vorträge der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne müssen auch erhebliche Beweisanträge behandelt werden. Wenn ein erhebliches Beweisangebot nicht berücksichtigt werde, verstoße dies gegen Artikel 103 des GG. So verhalte es sich auch im Streitfall. Zu Recht werde beanstandet, dass das Berufungsgericht gehörswidrig den Vortrag der Klägerinnen übergangen habe.

Das Berufungsgericht habe seine Feststellung im Wesentlichen auf eine Umfrage unter Betreibern von 80 Anlagen gestützt, die von der Beklagten durchgeführt worden sei. Das Gericht habe die Umfrage als tragfähig angesehen, obwohl es davon ausgegangen sei, dass nur ca. 8 % der deutschen Anlagen in die Umfrage eingeflossen seien. Zur Begründung habe es ausgeführt, dass sich aus dem Vortrag der Klägerinnen nicht ergebe, in welchem Umfang andere Anlagen die fraglichen „Bio-Tragetaschen“ kompostiert hätten. Es habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerinnen die Anlagen nur als Beispiel angeführt hätten. Darüber hinaus hätten die Klägerinnen einen Zeugen benannt und vorgetragen, es sei „bei einer Mehrzahl der deutschen Bioabfallkompostanlagen davon auszugehen […], dass die kompostierbaren Kunststoffe im Prozess verbleiben“. Da das Gericht diesen Beweis nicht erhoben habe, habe es das rechtliche Gehör verletzt. Denn das Beweisangebot sei erheblich gewesen und seine Nichtberücksichtigung finde keine Stütze im Prozessrecht.
Die Behauptung der Klägerinnen widerspreche der Feststellung des Berufungsgerichts. Wenn als Bioabfall deklarierte Kunststoffe, also auch die „Bio-Tragetaschen“, bei den meisten Kompostierungsanlagen nicht aussortiert werden, könne nicht angenommen werden, dass die Kompostierung solcher Taschen praktisch nicht stattfinde.

Eine Gehörsverletzung sei trotz des Umstands anzunehmen, dass die Klägerinnen in zweiter Instanz ihr nicht berücksichtigtes Beweisangebot nicht wiederholt hätten.

BGH, Beschluss vom 15.09.2015, Az. VI ZR 391/14

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